Da Vincis Bosporus-Brücke aus Eis

Eisig, eisig

Katinka Corts
13. Januar 2016
Die Eisbrücke soll 35 Meter frei überspannen (Bild: TU Eindhoven)

Kurz nach Weihnachten hat sich eine erste Gruppe von insgesamt 150 Studenten der TU Eindhoven auf den Weg nach Finnland gemacht. In Juuka, 500 km nordöstlich von Helsinki und 100 km westlich der russischen Grenze gelegen, wollen die angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure eine papierverstärkte Eisbrücke über einen kleinen Fluss bauen. Der Entwurf dafür ist mehr als 500 Jahre alt und stammt von Leonardo da Vinci: 1502 beauftragte ihn der Sultan von Istanbul, eine steinerne Brücke zur Überquerung des Bosporus zu entwickeln. Die drei Bögen des 240 Meter überspannenden Bauwerks sollten sich gegenseitig stützen, sodass keine Unterkonstruktion notwendig gewesen wäre. Gebaut wurde die Brücke jedoch nicht.
 

Die Anker halten den Ballon an der korrekten Position, mit dem Netz wird die Brückenhülle geformt
In der jetzt zweiten Projektwoche wird im großen Ballon gearbeitet

Als Hauptattraktion für das in Juuka stattfindende Eisfestival soll das statische System nun, verkleinert auf 65 Meter Länge und eine freie Überspannung von 35 Metern, in Eis gebaut erprobt werden. Als Unterkonstruktion und Schalung nutzt das Team einen riesigen Ballon, der am Bauplatz zunächst im Untergrund verankert wurde. Die aufgeblasene Hülle wird mit einem Seilnetz in die passenden Form gebracht und anschließend mit Wasser besprüht – sobald es gefroren ist, folgt die nächste Schicht. Dem Wasser werden zwei Prozent Zellulosefasern beigemischt, was die Tragfähigkeit der Konstruktion verdreifacht und die Duktilität verzwanzigfacht.

Insgesamt sollen so innerhalb von sechs Wochen 900 Tonnen Eis verbaut werden. Stillstehen dürfen die Geräte nicht – nur bei Dauerarbeit können die Studenten verhindern, dass die Maschinen einfrieren. Sobald alle Ballons ausreichend mit Eis bedeckt sind und die Konstruktion stabil steht, werden die entleerten Ballons entfernt. Das temporäre Bauwerk, dessen Fertigstellung bis Mitte Februar geplant ist, soll sowohl Fußgänger als auch (jedoch nur bei der Eröffnungsfeier) ein Fahrzeug tragen können. Schmilzt die Brücke im Frühling, werden die Zellulosereste als Kompost verwendet.

Insgesamt werden an der Brücke 150 Studenten und andere Freiwillige arbeiten. Sie kommen aus den Niederlanden, aus Belgien, England, Schottland, Portugal, Finnland und der Schweiz. Der Eindhover Forscher Arno Pronk leitet das Projekt, zudem sind zehn weitere Institutionen, unter anderem die Universität von Gent und die Aalto-Universität von Helsinki, beteiligt. Den Baufortschritt kann man auf der Projekt-Website verfolgen, und auch auf der Facebook-Seite «Bridge in Ice» ist der aktuelle Projektstand zu erfahren.

Zu Leonardo da Vincis Brücke wurde bereits viel geforscht, ihre Tragfähigkeit nachgewiesen und an Modellen erprobt. Seit 2001 gibt es in Norwegen eine Fußgängerbrücke aus Holz, die auf dem Bauprinzip basiert. Weitere Brücken und kleinere Eisbrücken werden auf der Projekt-Website www.leonardobridgeproject.org vorgestellt.
 

Die Brücke über den Bosporus, entworfen 1502 von Leonardo da Vinci (Bild: Paris Manuscript L, Folio 65v and 66r)

Die Eisbrücke ist nicht das erste Bauwerk, das im Rahmen eines Forschungs- und Semesterprojekts an der Eindhover University of Technology entsteht. Bereits zum Jahreswechsel 2014/2015 hatten die Studenten Roel Koekkoek und Thijs van de Nieuwenhof zusammen mit zehn weiteren Studenten und vielen Helfern einen Eisdom, optisch angelehnt an Gaudis Sagrada Familia, errichtet, ebenfalls in Jukka. Mit ihren Arbeiten und Testbauten wollen die Eindhover zeigen, dass sich Eis durchaus als Baumaterial eignet. «Mit Eis-Kompositen können schlanke und glatte, sichere und günstige Bauten errichtet werden, die temporär nutzbar sind», so Projektleiter Arno Pronk. Und am Brückenprojekt merkt man, dass es hier nicht primär um Eishotels oder Eventhallen geht: Auch für die Erschließung bietet sich ein solcher Komposit-Bau an, zum Beispiel für Straßen in arktischen Gebieten.

Bild: TU Eindhoven / structuralice.com
Bild: TU Eindhoven / structuralice.com
Bild: TU Eindhoven / structuralice.com

Weitere Informationen
– TU Eindhoven, Structuralice
– zum aktuellen Projektstand auf Facebook