Historismus wiederentdeckt

Carsten Sauerbrei
14. August 2018
Die Straßenfassade wurde in Anlehnung an die bauzeitliche Gliederung saniert und durch zwei neu errichtete, zeitgenössisch gestaltete Dachgeschosse ergänzt. (Bild: Walter Vielain)

Das Berliner Parlamentsviertel reicht vom Ensemble rund um das Reichstagsgebäude am Rande des Tiergartens bis weit hinein nach Berlin-Mitte. Dort, entlang der Wilhelmstraße als einem Schwerpunkt des historischen und gegenwärtigen Politikbetriebs, entstanden seit den späten 1990er-Jahren zahlreiche Neubauten für den Bundestag. Es wurden aber auch einst in der DDR ebenfalls für Verwaltungs- oder politische Aufgaben genutzte Gebäude saniert, so 2011 das Bürogebäude für Bundestagsabgeordnete von Lieb + Lieb Architekten  und nun das Ende Juni übergebene Gebäude in der Wilhelmstraße 64 mit Besprechungsräumen und insgesamt 80 Abgeordnetenbüros.

Im Treppenhaus zeugen freigelegte, historische Spuren von der bauzeitlichen Gestaltung. (Bild: Walter Vielain)

Das Berliner Büro «avp architekten» gewann 2011 den Wettbewerb zur Grundsanierung des ursprünglich 1911 als Hotel Königshof eröffneten Gebäudes mit dem Konzept, die in der Nachkriegszeit und in den 1970er-Jahren überformten Straßenfassade in Anlehnung an das bauzeitliche Erscheinungsbild zu sanieren und auch im Inneren mit der Erschließung über das freigelegte, historische Treppenhaus an die historische Struktur anzuknüpfen. In Ergänzung dazu wurden die oberhalb der historischen Traufe liegenden Dachgeschosse als zeitgenössisch gestaltete Stahlkonstruktionen neu errichtet, mit denen «avp architekten» die abgebrochenen Bestandsgeschosse durch bodentiefe Fenster in den Gauben neu interpretierten.

Verbunden mit dem historischen Treppenhaus entstanden neue, großzügige Erschließungsflächen. (Bild: Walter Vielain)

Um sich an das historische Erscheinungsbild des Hotel Königshofs mit einer Ladenfront im Erdgeschoss anzunähern, entschieden «avp architekten» das Erdgeschoss mit großzügigen Verglasungen und nach innen versetzten, an Türen erinnernde Fensterelemente wieder zur Straße zu öffnen. Aus den gleichen Gründen erhielt das Erdgeschoss eine gebänderte Steinputzfassade inklusive Zahnfries, wurden alle Kastenfenster straßenseitig mit farblich abgesetzten Laibungen gerahmt und teilweise geschossübergreifend zusammengefasst sowie letzte Reste des in der Nachkriegszeit beseitigten Fassadendekors freigelegt.

An das Erscheinungsbild der einstigen Ladenfront im Erdgeschoss erinnern raumhohe Verglasungen und zurückgesetzte Glasflächen. (Bild: Walter Vielain)

Historisches Flair vermitteln im Inneren vermitteln vor allem die freigelegten Stufenunterseiten im Treppenhaus, über das sowohl der Straßenflügel wie auch der als Ersatzneubau wiedererrichtete Hofflügel erschlossen werden. An den rauen Charme der historischen Spuren und den Steinputz der Straßenfassade anknüpfend ließen «avp architekten» auch die Wände des Treppenhauses sowie die daran angrenzenden, großzügigen, neuen Erschließungsflächen mit dem gleichen, rau wirkenden Material verputzen. Im Kontrast dazu stehen die tageslichthellen, sachlich-funktional eingerichteten Büro- und Besprechungsräume, die mit großzügigen Ausblicken zu Straße und grünem Innenhof aufwarten.

Anstelle des abgebrochenen Bestands entstanden in den neu errichteten Dachgeschossen tageslichthelle, sachlich-funktional eingerichtete Büroräume. (Bild: Walter Vielain)