Vorträge und Podiumsdiskussion

Star-Architektur und ihr Einfluss auf die Stadt

Jochen Paul
15. Februar 2018
Wissenschaftszentrum phæno in Wolfsburg (Bild: Nadia Alaily-Mattar / TUM)

Nachdem das Guggenheim-Museum gebaut war, kam es zu einem kompletten Imagewandel der bisherigen Industrie- und Arbeiterstadt und bescherte der Region einen wirtschaftlichen und touristischen Boom. Seitdem hat sich der „Bilbao-Effekt“ zu einem „travelling concept“ entwickelt, auf den Politiker und Stadtplaner weltweit hoffen, wie Gastgeber Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TU München, in seiner Einleitung ausführte: Attraktive Bauten sollen ihre Städte ökonomisch und sozial besser positionieren.
Aber lässt sich das planen, und treten die erhofften Effekte auch ein? Das haben Forscherinnen und Forscher der TU München zusammen mit der HafenCity Universität Hamburg und der Technischen Universität Berlin anhand von drei Gebäuden herauszufinden versucht: dem Kunsthaus Graz (Peter Cook, Colin Fournier), dem Wissenschaftszentrum „phaeno“ in Wolfsburg (Zaha Hadid Architects) und dem Kultur- und Kongresszentrum (Atelier Jean Nouvel).

Kunsthaus Graz (Bild: Nadia Alaily-Mattar / TUM)

Drei Ansätze
Entscheidend für die Auswahl waren vier Kriterien: Sie sollten öffentlich finanziert, zwischen 1995 und 2005 in Zentraleuropa errichtet worden sein, als Kultur- oder Bildungsinstitution genutzt werden und aus einem Architektenwettbewerb hervorgegangen sein. Soweit die Gemeinsamkeiten.​
​Das Kunsthaus Graz konnte erst im dritten Anlauf realisiert werden, nachdem davor zwei Wettbewerbe für andere Standorte gescheitert waren; zudem stellte sich nach Baubeginn heraus, dass die geplante transluzente Außenhaut nicht realisierbar war. „Gerettet“ haben das Ausstellungshaus, so der Grazer Stadtrat für Kultur und Hochbauten, Helmut Strobl, am Ende die Bartenbach academy und realities:united. Seitdem bildet das Kunsthaus – zusammen mit Vito Acconcis „Insel in der Mur“ – eine Brücke, die zwei bis dato getrennt wahrgenommene und sozial sehr unterschiedliche Stadtteile verbindet.
Um die Verbindung der Stadt zum Volkswagenwerk ging es in Wolfsburg: Nachdem VW mit der „AutoStadt“ (Henn Architekten) die von Peter Koller 1937 geplante Sichtachse vom Stadtzentrum zum Schloss verstellt hatte, ging es darum, die Brachfläche in unmittelbarer Bahnhofsnähe zu einem städtebaulichen Bindeglied zu entwickeln. Der Siegerentwurf ständerte das Raumprogramm auf und gab damit der Stadt etwas zurück, leidet aber laut Walter Nägeli, damals Vorsitzender des Preisgerichts, „bis heute daran, dass er sich an eine Öffentlichkeit adressiert, die es in Wolfsburg noch nicht gibt“.
Für das KKL dagegen war die Vorgabe, als „Standort“ für klassische Musik erstklassig zu bleiben, was mit Armin Meilis Bau von 1934 nicht länger möglich gewesen wäre. Ausschlaggebend für den Erfolg trotz Streitigkeiten mit dem Totalunternehmer und einer „Bestellungsänderung“ während der Bauphase waren laut Thomas Held, dem Geschäftsführer der Trägerstiftung, fünf Faktoren: die wirtschaftliche Notwendigkeit, die architektonische Ambition, das mehrheitsfähige Programm („alles unter einem Dach“), die Finanzierung in Public Private Partnership und eine Kommunikation, die den Architekten Jean Nouvel in den Mittelpunkt stellte.

Kultur- und Kongresszentrum in Luzern (Bild: Nadia Alaily-Mattar / TUM)

Im Anschluss an die drei Vorträge stellte Dr. Nadia Alaily-Mattar die Forschungsergebnisse vor: Die drei Projekte hätten zwar jedes für sich positive ökonomische Effekte, aber gleichzeitig nicht zu einer deutlichen Neupositionierung geführt. Ebenso wenig lasse sich ein kausaler Zusammenhang zwischen den ökonomischen Effekten der Projekte und den sozioökonomischen Veränderungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt oder im Tourismus, feststellen. Auch seien nicht alle wirtschaftlichen Effekte sofort sichtbar: „In Wolfsburg ist mit der Realisierung von phaeno das Selbstbewusstsein der Politiker und der lokalen Verwaltung gestiegen.“ Dieser Effekt könne langfristig aber durchaus positive ökonomische Effekte auf die Stadt haben.
Last not least lasse sich in allen drei Fällen eine Verschiebung der räumlichen Relationen der Stadt beobachten. Diese strukturellen Veränderungen seien die nachhaltigsten Effekte der Projekte – unabhängig vom „Star-Faktor“ des Architekten.
 
Repositioning cities through star architecture
– how does it work?, Journal of Urban Design
Nadia Alaily-Mattar, Johannes Dreher, Alain Thierstein
DOI: 10.1080/13574809.2017.1408401