Erweiterungsbau Bündner Kunstmusem

Eigenständiger Partner

Thomas Geuder
25. Oktober 2016
An der Stelle des sogenannten Sulser-Baus errichteten die Architekten von Barozzi Veiga aus Barcelona einen Erweiterungsbau für das Kunstmuseum in Chur. (Bild: Simon Menges c/o Brigitta Horvat)

Projekt: Erweiterungsbau Bündner Kunstmusem (Chur, CH) | Architektur: Barozzi Veiga (Barcelona, ES) | Bauherr: Hochbauamt Kanton Graubünden (Chur, CH) | Hersteller: Sulser AG (Trübbach (Wartau), CH), Kompetenz: Fassadenelemente aus Sichtbeton mit Easy to Clean Oberflächenschutz

In den Jahren 1874–76 errichtete der Architekt Johannes Ludwig die Villa Planta am Rande der Churer Altstadt, damals noch als privates Wohnhaus für Jacques Ambrosius von Planta, im seinerzeit beliebten neoklassizistischen Stil mit Portikus, zusätzlich aber mit zahlreichen orientalistischen Motiven, pompejanischen Malereien und (in byzantinischer Manier) goldener Kuppelbemalung samt Halbmond auf der Kuppelspitze. Jacques Ambrosius von Planta war Kaufmann und dadurch viel im ägyptischen Alexandrien unterwegs, worauf mit dem architektonischen Stilmix hingewiesen werden sollte. Der Kanton Graubünden nutzt den Bau seit 1919 für kulturelle Zwecke, 1927 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft sogar ein schlichter, zweigeschossiger Bau von dem Architekten Walther Sulser errichtet, in dem fortan das Natur- und Nationalpark-Museum ihren Platz fand. Als sich um die Jahrtausendwende nun abzeichnete, dass der Platz für die stets wachsende Sammlung und Wechselausstellungen nicht mehr ausreichen würde, wurde der Wunsch nach einer baulichen Erweiterung immer drängender. 2011 schließlich konnte ein internationaler Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden, den das Architekturbüro Estudio Barozzi Veiga aus Barcelona für sich entscheiden konnte. Ihre Idee: den Sulser-Bau durch einen Neubau zu ersetzen, der oberirdisch eine klare und präzise Antwort auf das architektonische Umfeld darstellt und trotz seiner solitären Wirkung dennoch in deinen Dialog mit der Villa Planta tritt. Wegen der beträchtlichen Einschränkungen des Baugrundstücks wollten die Architekten an diesem Ort keinen voluminösen Bau schaffen, folglich waren sie stets um eine Minimierung des äußeren Gebäudevolumens bemüht: «So widersprüchlich es klingen mag, wir haben es immer für vorrangig gehalten, einen neuen öffentlichen Raum zu schaffen, der sich ungeachtet seiner kleinen Größe ebenso in das Museum integrieren lässt wie die Grünanlagen der Villa und der umliegenden Gebäude.» Der Trick: Die Planer von Barozzi Veiga entschieden sich, quasi die logische Reihenfolge des Nutzungsprogramms umzukehren und einen Großteil der Ausstellungsflächen in die Untergeschosse zu verlegen. Der Zugang mitsamt dem Foyer befinden sich (selbstredend ebenerdig) in den oberen Geschossen. Verbunden ist der Neubau mit der Villa von außen nicht sichtbar im Untergrund.

Die starken Einschränkungen des Grundstücks zwangen die Architekten zum Umdenken, die die logische Reihenfolge des Nutzungsprogramms quasi umkehrten. (Bild: Simon Menges c/o Brigitta Horvat)

Um trotz aller äußerlichen Eigenständigkeit des Erweiterungsbaus dennoch einen Dialog zwischen Alt und Neu zu erzeugen, suchten die Architekten eine Balance der architektonischen Strukturen, vor allem im Bezug auf die palladianischen Einfluss der Villa sowie deren Ornamentik: Genau wie die Villa ist das neue Gebäude symmetrisch aufgebaut und bedient sich der Geometrie, um den gestalterischen Zusammenhalt der gesamten Anlage zu gewähren. Die Villa und der Neubau werden so vom Besucher als räumliche Einheit verstanden. Wesentlich für die Wahrnehmung des Neubaus jedoch ist der Dialog, den dessen Ornamentik mit dem Bestandsbau eingeht: Die Villa Planta sorgt mit dem deutlich erkennbaren orientalischen Einfluss in der Gestaltung des Baukörpers für eine gewisse Unabhängigkeit vom gesamten Umfeld – eine architektonische Idee, die auch mit der Fassadenkomposition des Neubaus erreicht werden soll. Das Fassadenmotiv seinerseits besteht aus einem sich stetig wiederholenden, abstrakten Flachrelief, das sich wie eine Haut über den kompletten Baukörper legt und somit an die orientalische Motivik der Villa erinnert. Diese Außenhaut ist als selbsttragende Fassade mit Hinterlüftung konzipiert, die sehr scharfkantigen Betonelemente (Jurakalk mit Weißzement, Sulser AG) sind mit einer speziellen Matrizenform erzeugt und schließlich mit einem «Easy to Clean»-Oberflächenschutz versehen. Das Gebäude selbst baut auf zwei vertikalen, parallelen Baukernen auf, zwischen denen sich im Erdgeschoss das Foyer bildet: ein weiter, offener Raum, der auf klare und direkte Weise mit der Villa Planta verbunden ist. Hier im Foyer erfolgt übrigens auch die Anlieferung, bei der der Kunsttransporter direkt im Raum parken und in der geschützten Sicherheitszone ent- und beladen werden kann. So haben die Architekten einen Erweiterungsbau geschaffen, der oberflächlich betrachtet ein Neubau ist, auf räumlicher, gestalterischer und inhaltlicher Ebene aber immer wieder direkten Bezüge zum bestehenden Nachbarn aufnimmt.

Der Neubau in direkter Nachbarschaft zur historischen Villa Planta (links) soll sich respektvoll ins städtische Umfeld einfügen und dennoch starken Charakter zeigen. (Bild: Simon Menges c/o Brigitta Horvat)
Grundriss Erdgeschoss mit Lageplan (Quelle: Barozzi Veiga)
Grundriss Untergeschoss (Quelle: Barozzi Veiga)
Ansicht Südfassade und Schnitt (Quelle: Barozzi Veiga)
Fassadendetailschnitt (Quelle: Barozzi Veiga)
Um eine saubere Geometrie und Optik zu erzeugen, bestehen die Eckelemente jeweils aus einem Guss. Insgesamt 168 Betonelemente mit einem Gewicht von 140 kg bis 15 t wurden verbaut. (Bild: Bündner Kunstmuseum Chur / Stephan Schenk)
Konsequenz im Detai: Auch das goße Tor für die Anlieferung muss sich dem Fassadenbild fügen – zumindest formal. (Bild: Simon Menges c/o Brigitta Horvat)
Nach dem Eintreten durch das großzügige Portal an der Grabenstrasse folgt – quer zur Laufrichtung – ein weites, offen wirkendes Foyer. (Bild: Simon Menges c/o Brigitta Horvat)
Im Innenraum können die Ausstellungsflächen dank einer vereinfachten Struktur flexibel auf die jeweiligen Ausstellungen zugeschnitten werden. (Bild: Simon Menges c/o Brigitta Horvat)

Projekt
Erweiterungsbau Bündner Kunstmusem
Chur, CH

Architektur
Barozzi Veiga
Fabrizio Barozzi , Alberto Veiga
Barcelona, ES

Team: Katrin Baumgarten (Projektleitung), Paola Calcavecchia, Shin Hye Kwang, Maria Eleonora Maccari, Anna Mallen, Verena Recla, Laura Rodriguez, Ivanna Sanjuan, Arnau Sastre, Cecilia Vielba

Hersteller
Sulser AG
Trübbach (Wartau), CH

Kompetenz
Fassadenelemente aus Sichtbeton mit Easy to Clean Oberflächenschutz, schalungsglatt mit Wabenmatrize, Jurakalk mit Weißzement

Weitere Hersteller
Stahlfenster: Paul Tobler AG
Stahltür außen: Merkle Metallbau AG
Türen innen: Jos. Berchtold AG
Boden: Walo Bertschinger AG
Wände: Knauf
Akustikdecken: Rheintal Gips + Fassade AG
Beleuchtung: Isolag AG, Tulux AG, Zumtobel
Lastenaufzug: Emch Aufzüge AG
Personenaufzug: Müller-Leuthold AG

Bauherr
Hochbauamt Kanton Graubünden
Chur, CH

Ausführende Planer
Schwander & Sutter Architekten
Chur, CH

Landschaftsarchitektur
Paolo Bürgi Landschaftsarchitekt
Camorino, CH

Tragwerk
Ingenieurbüro Flütsch
Chur, CH

Fassadenplaner
x-made SLP
Barcelona, ES und Basel, CH

Lichtplaner
Michael Josef Heusi GmbH
Zürich, CH

Bauphysik
Kuster + Partner AG
Chur, CH

Nettogesamtfläche
4.000 m²

Wettbewerb
2012, 1. Platz

Fertigstellung
2016

Fotografie
Simon Menges c/o Brigitta Horvat
Bündner Kunstmuseum Chur / Stephan Schenk


Projektvorschläge
Sie haben interessante Produkte und innovative Lösungen im konkreten Projekt oder möchten diesen Beitrag kommentieren? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Die Rubrik «Praxis» ent­hält aus­schließ­lich redak­tio­nell er­stellte Bei­träge, die aus­drück­lich nicht von der Indus­trie oder anderen Unter­nehmen finan­ziert werden. Ziel ist die un­ab­hängige Be­richt­er­stat­tung über gute Lösungen am kon­kreten Pro­jekt. Wir danken allen, die uns dabei unter­stützen.