Erweiterung des Kärcher Firmenareals in Winnenden

Sauber gemacht

Thomas Geuder
8. März 2016
Da auf dem historischen Firmen-Areal für den gestiegenen Flächenbedarf kein Platz war, erwarb Kärcher in Winnenden das 130.000 m² große Areal einer ehemaligen Ziegelei für künftige Erweiterungen. (Bild: Brigida González)

Projekt: Erweiterung des Kärcher Firmenareals (Winnenden, DE) | Architektur: Reichel Schlaier Architekten GmbH (Stuttgart, DE) | Bauherr: Alfred Kärcher GmbH & Co. KG (Winnenden, DE) | Hersteller: diverse | weitere Projektdaten siehe unten

Wenn es etwas gibt, was die Klassische Moderne und das Schwabenland gemeinsam haben, dann sind es: Sauberkeit und Ordnung. Was dem Schwaben die Kehrwoche, ist dem Baumeister die Reduktion. Was dem Schwaben die Sorgfalt, ist dem Baumeister die Klarheit. So gesehen sind Schwaben und moderne Baumeister Brüder im Geiste. Wen sollte es da also noch wundern, dass sich die Weissenhofsiedlung, Ergebnis der Werkbundausstellung von 1927, auch in Stuttgart befindet. Wie sehr sich der Leiter dieses damaligen Vorhabens Mies van der Rohe letztendlich mit schwäbischen Tugenden identifizierte, ist leider nicht überliefert. Nur wenige Jahre nach der Werkbundausstellung jedenfalls gründete Alfred Kärcher im benachbarten Bad Cannstatt das Unternehmen, das in den folgenden Jahrzehnten schwäbische Sauberkeit zum weltweiten Exportschlager gemacht hat. Das «Dampfdurckreinigungsgerät» heißt heute schlicht «Kärcher», entsprechend steht «kärchern» für das gründliche Reinigen. Sauberkeit und Ordnung eben.

Der zentrale Platz verbindet das Besucher- und Kundenzentrum, das Auditorium und das Bürogebäude und wird zum markanten Zentrum des neuen Areals. (Bild: Brigida González)

Die vielen kleinen und großen Reinigungsmaschinen jedenfalls haben das Familienunternehmen heute zum Weltmarktführer in diesem Bereich gemacht, Tendenz noch immer steigend. So wurde im neuen Jahrtausend bald klar, dass das Stammwerk im rund 20 km von Stuttgart entfernten Winnenden (wo sich das Unternehmen bereits seit 1939 befindet) zu klein werden würde. 2011 kaufte man deswegen die angrenzende, 130.000 m² große Fläche der Ziegelei Pfleiderer auf, die lediglich durch eine Bahnlinie von Hauptsitz getrennt ist. Den 2012 ausgelobten internationalen Architektur-Wettbewerb konnten Reichel Schlaier Architekten aus Stuttgart für sich entscheiden. Ihre Idee: Das Umfeld – kleinformatige Ein- und Mehrfamilienhäuser, Industriebauten und Einkaufszentren, Bahnareal, Gleisanlage und große Parkplatzfläche – ist hier sehr heterogen. So planten die Architekten auf dem Areal nicht einen großen, hohen Baukörper, sondern drei kleine Gebäude, auf die sich die verschiedenen Nutzungen Verwaltung, Veranstaltung und Präsentation verteilen. Wichtig bei der Formensprache war ihnen auch die Ablesbarkeit der Nutzung. Zwischen den Gebäuden entsteht ein reizvoller Platz, ein Ort zum Treffen, der multifunktional genutzt werden kann. Von hier aus schiebt sich außerdem eine gläserne Fußgängerbrücke über die Bahngleise zum bestehenden Kärcher-Areal. Die drei Gebäude im Einzelnen:

Im neuen Bürogebäude werden auf 4 Etagen 700 Arbeitsplätze geschaffen. Die Büroflächen des ca. 100 x 50 m großen Baukörpers sind ringförmig um einen grünen Innenhof angeordnet. (Bild: Brigida González)

Beim Bürogebäude mit leicht wirkender und transparenter Fassade suchen die Architekten Schlichtheit und Zurückhaltung, in denen farbige Elemente in der Firmenfarbe Gelb von innen nach außen leuchten. Diese Offenheit herrscht auch im Innenraum mit verglasten Flurtrennwänden für verschiedene Bürolandschaften, Einzel-, Team- oder Großraumbüros, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der verschiedenen Abläufe. Herz des Gebäudes ist ein begrünter Innenhof, an den sich die Cafeteria anschließt. Eine diagonale Verbindungsbrücke im zweiten Obergeschoss verkürzt die Wege für die Mitarbeiter und ist außerdem ein verlängerter Arm der Verbindungsbrücke zur bestehenden Areal. Zentrales Anliegen von Architekten wie Bauherren in der Gestaltung des Gebäudes und der Bürobereiche war es, Orte zu schaffen, die eine spontane Kommunikation zwischen Mitarbeitern, auch über Abteilungen hinweg, fördern, besondere Kommunikationsflächen, Freiräume mit frischer Luft und schöner Bepflanzung, Rückzugsorte wie auch Flächen zum gemeinsamen Austausch.

Das großzügige Foyer im Auditorium öffnet sich zweiseitig zum Platz und bietet bei Veranstaltungen ausreichend Freiraum. (Bild: Brigida González)

Das weit auskragende, geschwungene Dach des verglasten Audiotriums zeigt schon in seiner Außenwirkung, dass diesem Teil des Gebäudeensembles eine besondere Bedeutung zukommt. In seinem Inneren befindet sich ein Saal mit Platz für 800 Personen. Durch mobile Trennwände kann er in zwei bis drei Einheiten unterteilt werden. Ein geschliffener Gussasphaltboden in Foyer und Saal betont die Einheit der zusammenhängenden Veranstaltungsfläche. Ins Auge fällt ein 50 m langes Kärcher-Bildmotiv auf der geschwungenen Trennwand zum Veranstaltungssaal, das von einer Lichtlinie in der Decke beleuchtet wird und das Foyer und auch den Platz des Gebäudeensembles charakterisiert.

Einzige gestaltprägende Öffnung im L-förmigen Besucher- und Kundenzentrum ist eine drei Meter hohe, verlaste Fuge. (Bild: Brigida González)

Das L-förmige Besucher- und Kundenzentrum begrenzt den Platz nach Norden und Westen und bildet mit seiner Ziegelfassade einen Kontrapunkt zu den beiden verglasten Gebäuden. Der Ziegel als Material ist außerdem ein Verweis auf die historische Ziegelei, die sich hier einst befand und von der zumindest der Schornstein noch überlebt hat. Der großen, ungeteilten Fassadenflächeln aus Ziegel tauchen den Platz außerdem in ein warmes Licht. Im Inneren befindet sich eine 800 m² große und 8 m hohe Halle, die flexibel genutzt werden kann, etwas für hauseigene Messen oder auch Veranstaltungen für Kunden wie Mitarbeiter. Auf der Zwischenebene darüber, die sich als leichte Stahlkonstruktion von den Wänden löst, befindet sich ein besonderer Ausstellungsbereich: In der nur von oben belichteten Fläche werden Preise und Auszeichnungen der Firma ausgestellt. Die Materialsprache erinnert bewusst an einen Rohbau, reduziert und klar gegliedert, sodass die Architektur nicht von dem ablenkt, was gezeigt werden soll.

Das Fachwerk der Fußgängerbrücke ist als Schutz vor Witterung auf der Außenseite mit Industrieglas verkleidet. (Bild: Brigida González)

Überhaupt: Die Auswahl der Materialien spiegelt die Philosophie von Kärcher bis ins Detail. Hochwertige Produkte, allesamt von namhaften Herstellern (die Liste befindet sich unten), geschickt zusammengestellt, sauber durchdacht. Kein Element scheint überflüssig. Was da ist, spricht von einer ungewohnt hohen, dennoch nicht übertriebenen Klarheit. Das liegt auch daran, dass die Reduktion immer wieder durchbrochen wird von Farben und Materialien, die eine warme, einladende und gemütliche Atmosphäre erzeugen. Sauber und ordentlich, aber nicht unterkühlt, so könnte man die den Charakter des urschwäbischen Unternehmens Kärcher, ja, womöglich sogar der Schwaben an sich beschreiben. Sauber gemacht jedenfalls ist auch das Kärcher-Areal aus der Feder von Reichel Schlaier Architekten.
 

Große Holztische, Tresen entlang der Fassade bieten im Bürogebäude unterschiedliche Möglichkeiten der Kommunikation und schaffen eine behagliche, informelle Atmosphäre. (Bild: Brigida González)
Die Gebäudetiefe von 13,5 m woll eine durchgängige, natürliche Belichtung und Belüftung sowie eine hohe Flexibilität der Raumaufteilungen erlauben. (Bild: Brigida González)
Die gebogene Wand im Auditorium ist mit akustisch wirksamen Elementen verkleidet, die durch vertikale Eichenholzprofile optisch gegliedert werden. (Bild: Brigida González)
Eine Zwischenebene im Besucher- und Kundenzentrum ist als leichte, sich scheinbar von den Wänden lösende Stahlkonstruktion ausgebildet. (Bild: Brigida González)
Direkt vom Foyer gelangt man in den zentralen Ausstellungraum: Eine 800 qm große und 8 m hohe Halle, die flexibel auch für Messen genutzt werden kann. (Bild: Brigida González)
Lageplan (Quelle: Reichel Schlaier Architekten)
Grundriss Erdgeschoss und 2. Obergeschoss Bürogebäude (Quelle: Reichel Schlaier Architekten)
Grundriss Erdgeschoss und Schnitt Auditorium (Quelle: Reichel Schlaier Architekten)
Grundriss Erdgeschoss und 1. Obergeschoss Besucher- und Konferenzzentrum (Quelle: Reichel Schlaier Architekten)

Projekt
Erweiterung des Kärcher Firmenareals
Winnenden, DE

Architektur
Reichel Schlaier Architekten GmbH
Stuttgart, DE

Bauherr
Alfred Kärcher GmbH & Co. KG
Winnenden, DE

Architektur LPH 6-9
Alfred Kärcher GmbH & Co. KG
zusammen mit
ABP Projektmanagement GmbH
Stuttgart, DE

Projektsteuerung
Mahl Projektsteuerung
Schwäbisch Hall, DE

Tragwerk
Pfefferkorn Ingenieure
Stuttgart, DE

Tragwerk Brücke
Fritz Deufel Ingenieurgesellschaft mbH
Deizisau, DE

Bauphysik
Horstmann + Berger Ingenieurbüro für Bauphysik
Altensteig, DE

Brandschutz
LW Konzept
Stuttgart, DE

Fertigstellung
2014/15

Fotografie
Brigida González

Hersteller
Schalter: LS990, CD500, WG800. Albrecht Jung GmbH & Co. KG, Schalksmühle, DE
Downlights: Panos Infinity. Zumtobel Lighting GmbH, Dornbirn, DE
Pendelleuchte: Fly. Kartell
Pendelleuchte: Kao Kit A + Kit B. Artemide S.p.A., Mailand, IT
Pendelleuchte: Quadrature. Siteco GmbH, Traunreut, DE
Pendelleuchte: Toldbod. Louis Poulsen, Kopenhagen, DK
Platz, Anbau-Wandleuchte: maxxi poppy, C2 LED. Viabizzuno, Bentivoglio, IT
Downlights außen: Euro 195. Regent Beleuchtungskörper AG, Basel, CH
Wallwasher: i-Léd Xenia. Linea Light, IT
Nadelvlies: M 745. DLW Flooring, Bietigheim-Bissingen, DE
Kautschuk: noraplan sentica. Nora Systems GmbH, Weinheim, DE
Alu-Pfosten-Riegel-Fassade: FW50+, AWS 75 BS.HI, ADS 75 HD.HI. Schüco International KG, Bielefeld, DE
Automatik-Schiebetür: Dorma Flex green, TS 93. Dorma Deutschland GmbH, Ennepetal, DE
Lamellen-Raffstore, Fallarm-Markise: Typ 330, Bespannung Soltis 92. Warema Renkhoff SE, Marktheidenfeld, DE
Systemtrennwände: System 2000. Strähle Raum-Systeme GmbH, Waiblingen, DE
Rasterdecke: Pagos Galaxie. Rockwool Rockfon GmbH, Gladbeck, DE
glatte Abhangdecke: StoSilent A-Tec. Sto AG, Stühlingen, DE
Betonpflaster: Barretto Noble. Kronimus AG, Iffezheim, DE


Projektvorschläge
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