Weniger Sonne für hohe Temperaturen

Thomas Geuder
12. April 2016
Im Neubau des Fraunhofer-Zentrums für Hochtemperatur-Leichtbau HTL werden Hochtemperatur-Werkstoffe für die Energie, Antriebs- und Wärmetechnik sowie Luft- und Raumfahrt entwickelt. (Foto: Yohan Zerdoun / ksg / Okalux)
Projekt: Fraunhofer-Zentrum HTL (Bayreuth, DE) | Architektur: kister scheithauer gross architekten und stadtplaner (Leipzig/Köln, DE) | Hersteller: OKALUX GmbH (Marktheidenfeld, DE), Kompetenz: OKASOLAR F U | weitere Projektdaten siehe unten

Ein Mal im Jahr ist Bayreuth der Nabel der Welt – zumindest der Welt der klassischen Musik, wenn Ende August die Bayreuther Festspiele, besser bekannt als die Richard-Wagner-Festspiele, stattfinden. Doch die oberfränkische Stadt hat auch mehr zu bieten, etwa das markgräfische Opernhaus, das seit Juni 2012 zum UNESCO-Weltkurturerbe gehört, oder auch die angesehene Universität im Süden der Stadt, deren Fakultätsgebäude sich um einen klassisch kreisrunden Platz gruppieren, gelegen an dem 16 ha großen ökologisch-botanischen Garten. Die Stadt Bayreuth sieht außerdem im Ausbau der Technologiekompetenz einen wichtigen Beitrag für die zukünftige Stadtentwicklung, weswegen sie zahlreiche Impulsprojekte ins Leben rief, von denen eines die sogenannte Technologieachse ist, die Verbindung also der Universität Bayreuth mit dem Technologiepark in Wolfsbach, ein Stadtteil südwestlich des Stadtkerns, auf der anderen Seite der Autobahn 9. Hier ist der Sitz des Kompetenzzentrums für Neue Materialien, ein Dienstleistungsunternehmen, das an Innovationen interessierte Firmen in Werkstofffragen berät und anwendungstechnisch unterstützt. Und hier ist seit 2015 auch der Sitz des Fraunhofer-Zentrums für Hochtemperatur-Leichtbau HTL, das dem Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg angehört und in dem Hochtemperatur-Werkstoffe für die Energie, Antriebs- und Wärmetechnik sowie Luft- und Raumfahrt entwickelt werden.

Die Fassadengestaltung ist aus der traditionellen Glasurtechnik Craquelé abgeleitet und wird als ein wiederkehrendes Netzmuster in der Hülle entwickelt. (Foto: Yohan Zerdoun / ksg)

Errichtet wurde das markante Gebäude von kister scheithauer gross architekten und stadtplaner aus Leipzig, die mit ihrem Entwurf einen bundesweit ausgelobten, zweistufigen Wettbewerb für sich entscheiden konnten. «Schon während der Jurysitzung war ich überzeugt, dass der Entwurf von ksg exakt unserem Wunsch nach einem funktionalen und zugleich ausdrucksstarken Forschungsgebäude gerecht werden kann», erinnert sich Dr. Friedrich Raether, Leiter des Fraunhofer-Zentrums HTL. Das ist vor allem auf die Fassadengestaltung zurückzuführen: Sämtliche geschlossenen Hüllflächen des in einen quadratischen Technik- und Labor-Bereich und einen schmalen Büroriegel gegliederten Baus sind mit einer Fassadenkeramik verkleidet (Sonderanfertigung aus Terrart, NBK Keramik GmbH), deren Design aus der aus dem sogenannten Craquelé-Effekt abgeleitet ist, eine Art unregelmäßiges Netz kleiner Risse und Sprünge auf der Oberfläche von Materialien, das während des Abkühlvorgangs von Materialien entstehen kann und gerade bei Glasuren oftmals künstlich herbeigeführt wird. ksg architekten haben dieses Muster formal reduziert und auf sechs Plattenformate mit drei verschiedenen Grautönen gebracht. Auf der Fassade zusammengesetzt erzeugen die sogar eine dreidimensionale Illusion aus Vor- und Rücksprüngen. Den Planern gelingt so, das Thema des Instituts auf die Fassade zu projizieren und den Forschungsschwerpunkt des Instituts sichtbar nach außen zu tragen.

Im Scheibenzwischenraum des Lichtlenksystems in den oberen Fenstern sind feststehende Lamellen integriert, die einen Großteil der solaren Strahlung nach außen reflektieren. (Foto: Yohan Zerdoun / ksg)

Obwohl es beim Fraunhofer-Zentrum HTL um hohe Temperaturen geht, ist es für den Innenraum doch wichtig, das Sonnenlicht zwar hinein zu lassen, dennoch den solaren Energieertrag zu begrenzen. Das gilt vor allem in den Technik- und Laborräumen, wo es um eine blendfreie und gute Arbeitsatmosphäre geht. So planten die Architekten hier großzügige, ähnlich schräg wie die Fassadenplatten geformte Fenster, die den Raum mit viel natürlichem Licht versorgen. Die obere Hälfte dieser Fenster ist mit Funktionsgläsern ausgestattet, in deren Scheibenzwischenraum ein Lichtlenksystem aus feststehenden Lamellen integriert ist, die einen Großteil der solaren Strahlung nach außen reflektieren und dadurch den Innenraum vor direkter Sonneneinstrahlung schützen (Okasolar F U, Okalux). In den Raum gelangt so vor allem horizontales, indirektes Licht. Im Scheibenzwischenraum werden für diese Lamellen 16 mm benötigt, die horizontale Durchsicht beträgt dabei immerhin noch 57 %. So erhalten die Technik- und Laborräume ein angenehmes, diffuses und natürliches Allgemeinlicht, und die Kühllasten im Sommer können deutlich gesenkt werden – was nicht zuletzt die Gesamtenergiebilanz des Gebäudes optimiert.

Das neue Gebäude gliedert sich in einen quadratischen, eingeschossigen Technik- und Labor-Bereich mit teilweise zweigeschossigen Hallen und einen schmalen zwei- bis dreigeschossigen Büroriegel. (Foto: Yohan Zerdoun / ksg)
Lageplan (Quelle: ksg)
Grundriss 2. Obergeschoss (Quelle: ksg)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: ksg)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: ksg)
OKASOLAR F U reflektiert einen Großteil der solaren Strahlung nach außen. OKASOLAR F O als Ergänzung dazu (nicht verbaut) lenkt das einfallende Tageslicht tief in den Raum. (Quelle: Okalux)
Die Durchsicht der Lamellen im Scheibenzwischenraum beträgt immerhin noch 57 % - genug für eine natürliche Grundbeleuchtung im Raum und für den Außenraumbezug. (Foto: Yohan Zerdoun / Okalux)
Der Büroteil mit Räumen für Besprechungen und Präsentationen im Erdgeschoss ragt über das abschüssige Gelände hinaus und bietet den Nutzern einen weitläufigen Blick über Bayreuth. (Foto: Yohan Zerdoun / ksg)
Auch im Boden der Gemeinschafträume findet sich die Struktur der Fassade wieder. (Foto: Marc Lins / ksg)
Winterimpression: Auf 5.800 m² BGF entstanden Nutzflächen von 2.600 m² für Laborräume, Werkstätten, Ofenhallen, Bereiche für die Produktentwicklung, Chemikalienlager, Auswerteräume sowie Büro- und Besprechungsräume. (Foto: Marc Lins / ksg)
Projekt
Fraunhofer-Zentrum HTL
Bayreuth, DE

Architektur
kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH
Leipzig/Köln, DE

Team: Johannes Kister (verantwortlicher Partner), Kathrin Winterhagen (Projektleitung), Ulrike Lösch und Friedrich Bankel (Bauleitung), Daniela Dvorak, Dorothee Heidrich, Tina Schelz, Anja Klinkert, Raushana Baltabaeva

Hersteller
OKALUX GmbH
Marktheidenfeld, DE

Kompetenz
OKASOLAR F U

Weitere Hersteller
Fassadenkeramik: Sonderanfertigung aus Terrart, NBK Keramik GmbH

Bauherr
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
München , DE

Nutzer
Fraunhofer ISC Würzburg / Fraunhofer-Zentrum HTL

Tragwerksplanung
Suess-Staller-Schmitt Ingenieure GmbH
Gräfelfing, DE

TGA-Planung
ZWP Ingenieur-AG
Dresden, DE

Laborplanung
AJZ Engineering GmbH
Jena, DE

Außenanlagen
Lösch Landschaftsarchitektur
Amberg, DE

Bodengutachten
Dr. Dafner Geoberatung UG
Forchheim, DE

Bauphysik
IFB Wolfgang Sorge
Nürnberg, DE

SiGeKo
Bohn Ingenieure GmbH
Bayreuth, DE

Brandschutz
IB Stümpert-Strunk
Ludwigshafen/Rhein, DE

Fertigstellung
2015

BGF
5.800 m²

Fotografie
Yohan Zerdoun