Zickzack an der Spree

LOVE architecture and urbanism
14. Dezember 2016
Frontansicht über dem Haupteingang (Foto: HG Esch)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Stromnetz-Betreiber 50Hertz wollte mit der Errichtung seines neuen Headquarters in allererster Hinsicht einen kulturellen Unternehmenswandel hin zu einem offenen, kommunikations- und teamorientierten Arbeitsumfeld vollziehen. Unser Fokus lag daher auf der Entwicklung flexibler, vielseitiger und individueller Arbeitswelten. Wir entwarfen ein Umfeld, das Kommunikation fördert – informeller Austausch ist möglich, gleichzeitig reagieren wir auf verschiedene Arbeitsplatzanforderungen und vermeiden Monotonie. Wir entwickelten besonders tiefe Geschossplatten, die in jedem Geschoss unterschiedlich mit zahlreichen Loggien ausgestattet sind. Diese Loggien teilen jede Ebene in verschiedene  kleinere und intimere Arbeitscluster. Damit trennt und verbindet eine Grünzone zwei Arbeitsteams durch eine Art Patio. Jedes Geschoss ist zusätzlich mit verschiedenen Lounges, Coffee-Spots, barartigen Stehtischen und Rückzugsbereichen ausgestattet.

Nordöstliche Innenseite des L-förmigen Basisbaukörpers mit der Restaurantterrasse im ersten Obergeschoss (Foto: HG Esch)
Nächtliche Effektbeleuchtung im Zickzack (Foto: HG Esch)
Abendaufnahme bei Bürobetrieb. Der Erschließungskern ist orangefarben beleuchtet (Foto: HG Esch)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Das Netzquartier sollte wie ein Regal daherkommen: Möglichst offen wirkende horizontale Regalböden, die durch eine möglichst leichte vertikale Trägerstruktur gehalten werden und möglichst zu jedem Zeitpunkt mit unterschiedlichen Gegenständen befüllt und bestückt werden können. Das Gebäude funktioniert mehr als eine Trägerstruktur für verschiedene Nutzungsbausteine und Bürotypen denn als klassisches Bürohaus.

Ein großzügiges und offenes Atrium verbindet OG1 und Lobbyebene. Im Vordergrund: Kunst am Bau-Projekt «Solarkatze» von Michael Sailstorfer. (Foto: HG Esch)
Ein großzügiges und offenes Atrium verbindet OG1 und Lobby. Im Vordergrund: Kunst am Bau-Projekt «Solarkatze» von Michael Sailstorfer (Foto: HG Esch)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Bevor der Neubau entstand, war die frühere industrielle Nutzung des Geländes als Eisenbahnareal überall präsent. Uns haben beim Entwurf die Stahlfachwerkträger, die filigrane Anmutung von Industrie- und Bahnhofshallen und die Großzügigkeit der infrastrukturellen Einrichtungen inspiriert. Heute präsentiert sich das Bauwerk als Überlagerung dreier Primärstrukturen: dem horizontalen Rhythmus der einzelnen Geschossplatten, dem außenliegenden Tragwerk mit seiner netzartigen Struktur und den innenliegenden, vertikal verlaufenden orangefarbenen Infrastruktur- und Versorgungskernen.

Diese drei Elemente bestimmen auch die Gestaltung des Gebäudes: Das statisch voll wirksame außenliegende Tragwerk ist ein Netz aus regelmäßig angeordneten Diagonalstreben, von denen spielerisch einzelne Stützen und Stützensegmente entfernt bzw. neue eingesetzt wurden. Einzige Bedingung dabei war, dass eine statisch noch relativ leicht zu bewältigende freie Spannweite von 8,3m im Kragplattenbereich nicht überschritten werden durfte. Diese Herangehensweise führte zu einem geometrisch komplexen äußeren Fachwerk aus druck- und zugbelasteten Stützen.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die Innengestaltung des Gebäudes wurde in einem partizipativen Verfahren entwickelt. Seit Planungsbeginn wurden dabei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Workshops und zahlreichen Dialogformaten an der konkreten Planung und Ausstattung ihrer Arbeitsumgebung beteiligt. So wurde sichergestellt, dass ein Arbeitsumfeld entsteht, das den Anforderungen an den Arbeitsalltag sowie an Offenheit und Kooperation bestmöglich entspricht. Das außenliegende Tragwerk ermöglicht stützenfreie Bereiche entlang der Innenfassaden – und ein Maximum an Gestaltungsfreiheit im Inneren.

Jede Büroebene ist mit zahlreichen Lounges, Coffee-Spots und Mini-Bibliotheken ausgestattet (Foto: HG Esch)
Mehrere Terrassen teilen die Geschossebenen in intimere Arbeitscluster. Diese dienen gleichsam als Arbeitsplatz und als Pausenraum (Foto: HG Esch)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Das Bauwerk wurde mit LEED Gold und DGNB Gold zertifiziert. Zudem erhielten wir für das Netzquartier den weltweit ersten Diamanten der DGNB für außergewöhnliche baukünstlerische und gestalterische Qualität. 

Lageplan mit Hauptbahnhof, Areal Europacity, Hamburger Bahnhof und Spree (Zeichnung: LOVE architecture & urbanism)
Grundriss Regelgeschoss mit den unterschiedlichen Arbeitsplatzkonzepten, Kommunikationsbereichen, Terrassen und Erschließungskernen (Zeichnung: LOVE architecture & urbanism)
Schnitt parallel zur Heidestraße (Zeichnung: LOVE architecture & urbanism)
Netzquartier 50Hertz
2016
Heidestraße 2
10557 Berlin

Nutzung
Eigengenutztes Büro- und Verwaltungsgebäude / Headquarter

Auftragsart
Planungsauftrag Architektur nach Wettbewerbsgewinn

Bauherrschaft
50Hertz Transmission GmbH

Architektur
LOVE architecture and urbanism ZT GmbH, Graz
kadawittfeldarchitektur (Kooperationspartner LP 4-8 – Subplaner Architektur)

Fachplaner
Generalfachplaner: Inros Lackner SE, Rostock
Projektsteuerung: Drees & Sommer
Interior Design: KINZO, Berlin
Landschaftsplanung: ManMadeLand, Berlin
Leitsystem: Engarde, Graz (A)

Kunst am Bau
Michael Sailstorfer, Berlin
Solarkatze (Bronzekatze auf Sockel, rotierender Peitschenmast (Straßenbeleuchtungsmast))

Ausführende Firmen
Generalunternehmer: Ed Züblin AG
Baugrube: Porr / Stump Spezialtiefbau

Hersteller
Lamellendeckensytem: Haufes
Teppichfliesen: Interface
Glastrennelemente: Jäger Bautech
Armaturen: Grohe
Outdoor Lightning: Ewo
Büromobiliar: Planmöbel
Schallabsorber: Silentrooms

Energiestandard
LEED Gold, DGNB Gold

Bruttogeschossfläche
24.822 m² (davon 6.041 m² unterirdisch)

Gesamtkosten
rd. 56.000.000 € (Bau)

Auszeichnung
DGNB Diamant (für besondere baukünstlerische und gestalterische Qualität)

Fotos
HG Esch