Detailliert schön

Autor:
Thomas Geuder | Praxis
Veröffentlicht am
Feb. 13, 2013

Nicht allzu oft kommt es vor, dass man als Architekt nahezu fensterlose Gebäude entwickeln soll. Wenn es die Bauaufgabe dann doch einmal fordert, bekommt die Frage nach der Fassaden­gestaltung noch einmal eine ganz andere Dimension. Delugan Meissl Associated Architects haben beim Festspielhaus in Erl dazu ihre eigene Antwort gefunden.
Passionsspielhaus und Festspielhaus bilden in Erl zukünftig ein Ensemble, in dem nun das ganze Jahr über Inszenierungen zu sehen sein werden. (Foto: Brigida González) 
Zugegeben: «Ganz ohne Fenster» gibt es eigentlich nicht. Selbst Kinos, Theater oder Opernhäuser haben Fenster in den Foyers oder Treppenhäusern. Was aber, wenn der eigene Entwurf zwar Maueröffnungen vorsieht, die erdachte Fassade aber hauptsächlich aus geschlossenen Flächen besteht? Im 1:200-Pappmodell mag das noch spannend wirken, aber die 1:1-Realität verlangt ein bisschen mehr Kreativität von dem Herrn (oder der Dame) Entwerfer. Also macht der sich an die Verfeinerung seiner Arbeit: Putz? Schon möglich, mitunter aber wenig einfallsreich. Also Farbe auf den Putz? Nun ja. Glas? Heutzutage fast schon zu inflationär. Sichtbeton? Möglich, aber nicht immer sinnvoll. Klargestellt sei an dieser Stelle zunächst einmal: Jedes Fassadenmaterial hat selbstverständlich seine Berechtigung – je nach Bauaufgabe und Umfeld. Die generelle Frage ist eben nur: Wie setzt der Architekt es am konkreten Entwurf ein und was macht er daraus? Gebäude, bei denen der Entwurf in der Modell-Phase hängen geblieben zu sein scheint, gibt es zuhauf – auch von bekannten Architekten, leider. Entscheidend für Otto Normalarchitekturinteressierten jedoch ist eine kreative und raffinierte Durchdachtheit bis in die 1:1-Planung. Clevere Lösungen also, die Schwieriges am Ende einfach und logisch erscheinen lassen. Es geht um die Freude am Detail!
Die Gebäudekubatur des neuen Festspielhauses ist eine Referenz auf den bauhistorischen Nachbarn sowie die eindrucksvolle Landschaftskulisse. (Foto: Brigida González) 
Nun erhält ein Gebäude (das lernen Architekten im Studium, wissen es aber eigentlich auch so) sein Gesicht durch die Fassade, die deswegen gut durchdacht sein will. Ob senkrecht oder waagrecht gestreift, ob unifarben oder als Stilmix: Was bei Kleidung und Mode gilt, muss am Gebäude nicht falsch sein. Jedes Material und jeder Umgang mit diesem transportiert eine individuelle Aussage, die auf das verweist, was sich drinnen befindet. Faserzementtafeln zum Beispiel haben in der Welt der Architektur keinen besonders guten Ruf, dank der zahlreichen Negativbeispielen aus den 1960er- und 1970er-Jahren liegt, als ganze Stadtteile mit fad-grauen Einheitstafeln verkleidet wurden. Die gute Nachricht aber ist: Mit dem heutigen Material «Faserzementtafel» hat das nur noch bedingt zu tun, denn die Vielfalt sowohl in Farbe als auch in Struktur und Oberfläche hat enorm zugenommen. Nehmen wir etwa die Fassadentafeln des Heidelberger Unternehmens Wanit Fulgurit: Sie sind nicht brennbar, witterungs- und frostbeständig, resistent gegen Pilze, Bakterien etc. sowie viele Chemikalien und besitzen mit einer Dicke von 8 bzw. 12 mm ein sehr geringes Gewicht. Das Material ist diffusionsoffen und feuchteregulierend. Spezielle Beschichtungen machen die Tafeln UV-beständig und farbstabil, und in der pro-Variante sind sie mit einem permanenten Anti-Graffiti Schutz ausgestattet, der sie kratzfester und widerstandsfähiger gegen Verunreinigungen macht. Für das Auge des Architekten von großer Bedeutung ist auch, dass die Tafeln durchgefärbt sind, sodass auch die Schnittkanten denselben Farbton aufweisen, wie die Oberfläche. Das alles qualifiziert die Fassadentafeln aus Faserzement heute zu einem hochwertigen «Kleid» für jedes Gebäude, das nun aber – und hier kommen Herr und Frau Entwerfer wieder ins Spiel – vernünftig angewendet werden will.
Spalten, Brüche und Einschnitte in die ansonsten geschlossene Fassade gewähren Einblicke ins Gebäudeinnere und weisen den Besuchern den Weg. (Foto: Brigida González) 
Die beschauliche Gemeinde Erl im Norden Tirols ist Musikliebhabern eingehend bekannt durch die dort alle sechs Jahre von den Bewohnern aufgeführte Passion Jesu Christi, die Passionsspiele. Der Architekturszene ist Erl spätestens seit 1959 bekannt, als dort der damals erst 30-jährige Architekt Robert Schuller das Festspielhaus im Stil der Nachkriegsmoderne und mit hervorragender Akustik errichtete. Damit in Erl auch eine Wintersaison stattfinden kann, wurde nun in direkter Nachbarschaft zum Passionsspielhaus von Delugan Meissl Associated Architects ein Pendant errichtet, das mit eben dem Winter-Sommer-Kontrast architektonisch spielt:  Während die weiße Oberfläche des altehrwürdigen Passionsspielhauses zur sommerlichen Festspielzeit optisch in den Vordergrund tritt, kehrt sich dies im Winter um, und das neue Festspielhaus mit seiner schwarzen, scharfkantigen Fassade sticht in der weiß-wattigen Winterlandschaft hervor. Das neue Festspielhaus versteht sich als Ergänzung zur dynamischen Geste des benachbarten, bauhistorischen Pendants und zur Landschaftskulisse, wodurch eine visuelle Interaktion und eine Dualität zwischen Alt und Neu stattfinden soll.

Interessant aber ist die Maßstäblichkeit, mit der die Architekten arbeiten: Wirkt das Gebäude in der Ferne noch wie ein schwarzer Kristall, der die Parameter des Ortes aufnimmt und in eine eigene, gelungene Architektur übersetzt, wandelt sich sein Gesicht je nach Standpunkt permanent. Nicht nur wegen der komplexen Geometrie, sondern auch direkt an der Fassade. Die ist nämlich von einem Muster überzogen, das sich erst beim Annähern erschließt. Durch pfeilspizenförmige, ineinander verschobene, fast schwarze Fassadentafeln entsteht auf der Fassade ein Muster, das keine Richtung aufweist und somit unhierarchisch auf allen Flächen angewendet werden kann, ohne dass eine Linienrichtung dominiert und so die Gesamtwirkung zerstören würde. «Penrose tesselation» nennt sich das auf Englisch, eine mathematische Parkettierung einer Fläche durch gleichförmige Teilflächen, die in den 1970er-Jahren von dem Mathematiker und Physiker Roger Penrose erforscht wurde. Die Fassadentafeln beim Festspielhaus Erl sind auf der eigentlichen wasserführenden Außenhaut verschraubt und überlappen die Fenster, ohne aber dass ein Bruch im Muster entsteht. So erhält der Kristall auch im Detail eine Tiefe, bei der Otto sogar an jeder einzelnen Schraube Spaß hat.   tg
Die Fassade des Hauses ist mit fast schwarzen Faserzementtafeln verkleidet, mit denen die Kubatur des Gebäudes perfekt herausgearbeitet werden konnte. (Foto: Wanit Fulgurit GmbH) 
Freude am Detail: Die Fassadentafeln überlappen die Fenster, eine fiktive Profilstruktur führt das Fassadenraster weiter. (Foto: Wanit Fulgurit GmbH) 
Mathematik pur: Gebäudekanten scheinen dem Muster nichts anhaben zu können. (Foto: Wanit Fulgurit GmbH) 
Beispiel einer EQUITONE Fassadentafel, hier in der Farbe Anthrazit. (Foto: Wanit Fulgurit GmbH) 
Auf die eigentliche, wasserführende Schicht wurden die Fassadentafeln aufgeschraubt, bei denen es lediglich zwei verschiedene Formate gibt. (Foto: Peter Kitzbichler) 
Winter-Sommer-Situationen 
Grundriss Hauptgeschoss 
Schnitte 
Lageplan 
Impressionen vom Innenraum: Bühnenansicht. (Foto: Brigida González) 
Saal von der Bühne aus gesehen. (Foto: Brigida González) 
Foyer. (Foto: Brigida González) 
Wanit Fulgurit GmbH

Heidelberg, D

Hersteller-Kompetenz
Fassadentafel EQUITONE [natura pro]

Projekt
Festspielhaus
Erl, AT

Architektur
Delugan Meissl Associated Architects
Wien, AT

Bauherr
Festspielhaus Erl
Errichtungs- und Betriebsges.m.b.H.
Erl, AT

Ausführungsplanung / Bauherrenvertretung
MHM architects
Wien, AT

Statik
FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH
Wien, AT

Lichtplanung
Haighlight, Andreas Haidegger
Innsbruck, AT

Generalunternehmer
STRABAG AG
Walchsee, AT

Fertigstellung
2012

Fotonachweis
Brigida González
Wanit Fulgurit GmbH

Peter Kitzbichler


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