Das Prinzip Rostrot

Gesa Loschwitz
16. November 2016
Kirschbäume auf dem Cowperplatz zwischen den Hochöfen im Landschaftspark Duisburg-Nord. (Bild: Michael Latz)

«Das Ruhrgebiet ist nicht und wird auch nie farbig sein» sagte Karl Ganser, ehemaliger Geschäftsführer der IBA Emscher Park, bei der Vorstellung des Buchs Rostrot in München am 9. November. Daher passen seiner Meinung nach auch keine bunten Gartenschauen in die Region, mit denen bis heute so gerne Industriebrachen bespielt werden – sondern eben Rostrot. Die Farbe, die für den Landschaftspark Duisburg Nord steht, und die Peter Latz, der Landschaftsarchitekt des Parks, für das Cover und den Titel seines Buchs wählte.

25 Jahre nachdem 1991 der Wettbewerb zum Park entschieden wurde, liegt nun ein umfassendes Werk vor, das die Entstehungsgeschichte und vor allem die Herangehensweise sowie die Gedankenwelt, die  hinter dem Park steht, in ihrer ganzen Komplexität zeigt. Eine Herangehensweise, die nach wie vor aktuell ist. Denn es gilt vor dem Hintergrund dichter werdender Städte mehr denn je der Satz, den Peter Latz bei der Buchvorstellung sagte: «Es geht darum, wie man in der Stadt Verantwortung für die Natur übernehmen kann.»

Vegetation auf industriellen Hinterlassenschaften. (Bild: Michael Latz)

Der Park in Duisburg entstand in den Neunzigern auf dem Gelände des Hüttenwerks in Duisburg-Meiderich, das 1985 stillgelegt worden ist. 230 Hektar Industriegelände mit Hochöfen, Gleisen, Altlasten und Natur wurden damals an das Land Nordrhein-Westfalen übergeben. Was aus der industriellen Wildnis werden sollte, dazu gab es sehr unterschiedliche Meinungen: Die Stadt Duisburg wollte eine einfache Grünfläche, die nicht mehr als 10 Mark pro Quadratmeter kosten sollte. Die in der Region sehr mächtige Firma Thyssen, die Alteigentümerin, wollte die Hochöfen abreißen und den Stahl verkaufen. Und eine Bürgerinitiative stritt für den Erhalt ebendieser Hochöfen als Industriedenkmal. Mit diesen entgegengesetzten Meinungen und Voraussetzungen wurde das Ganze zu einem Projekt der Internationalen Bauausstellung Emscher Park. Was konnte Park und Grün also auf einem solchen Gelände bedeuten? Das sollte in einem internationalen Wettbewerb geklärt werden. Dieser fiel in eine Zeit, wie Karl Ganser in der Einleitung zum Buch schreibt, «als gerade die Postmoderne auch die Landschaftsarchitektur erreicht hatte. Der Park de la Vilette war der Star dieser neuen Strömung (…) Die Landschaftsarchitektur in Deutschlang stand dabei abseits mit braven Konzepten für Abkömmlinge der Volksparks».

Das Büro Latz entschied damals den Wettbewerb für sich, «weil es», schreibt Ganser, «eine vielleicht taugliche Arbeitsweise vorstellte, statt eines figural und farbig auffallenden Gesamtplans». Eine Revolution, die ungewohnte Bilder produzierte. Und dementsprechend war der Park umstritten – bei der Stadt, bei Thyssen, und durchaus auch im Berufsstand. Doch: «Peter Latz konnte Bild für Bild die Aversion abbauen», betont Ganser. Bilder, die Schritt für Schritt im Laufe der Jahre entstanden. Ein bisschen Legendenbildung ist sicherlich dabei, wenn Tilman Latz, der seit einigen Jahren das Büro Latz + Partner in zweiter Generation führt, sagt, dass der Park in Deutschland lange abgelehnt und ignoriert worden sei und erst Jahre später durch die Aufmerksamkeit und die Preise, die er im Ausland erlangte, auch in Deutschland Akzeptanz erfahren habe.

Alte Brücken wurden wiederhergestellt und erschließen den Park auf verschiedenen Ebenen. (Bild: Michael Latz)

Ganz so unverstanden war er dann doch nicht. Mindestens an den Universitäten der Landschaftsarchitektur wurde Duisburg-Nord von Beginn der Neunziger an positiv rezipiert. Die Herangehensweise, industrielles Erbe nicht länger mit Grün zu überkleistern, sondern mit ihm zu arbeiten, prägte eine ganze Generation Absolventen. Dennoch: in seiner Radikalität ist der Park bis heute in Deutschland sicherlich einzigartig.

Durch diesen kompromisslosen Ansatz führt Peter Latz in fünf Kapitel, die die Strukturen des Parks und seine Prinzipien Schicht für Schicht enthüllen. Denn, so Peter Latz: «Chaos lässt sich nicht ordnen, nur in der Abstraktion lässt es sich begreifen.» So sind die Kapitel «Annäherung», «Strukturen», «Methoden», «Orte» und «Visionen» ein Rundgang durch den Park und die Arbeitsweise, mit Peter Latz als kundigem Führer und Erzähler. Mit ihm geht man auf die Reise, deren Ziel die Annäherung an diesen ungewöhnlichen Park ist. Und man geht zugleich der alles entscheidenden Frage nach, was Park an einem solchen Ort überhaupt bedeuten kann.

«Die Herausforderung für unsere Arbeit war, Industriebrache als Landschaft oder gar als Park zu verstehen, ohne die Industrie unter dem Rasenteppich eines englischen Landschaftsgartens verschwinden zu lassen. In der Typologie der Grünflächen waren Industriebrachen noch nicht angekommen.» Es galt also, neue Konzepte und Methoden zu entwickeln. Das Team von Peter Latz verfolgte das Ziel, nicht nach Ästhetik oder funktionalen und technischen Standards zu bewerten. Stattdessen wollten sie «die Standards der vorhandenen Räume ermitteln und, darauf aufbauend Nutzungen finden, die weder das Element noch Standort noch Anordnung verfremden würden.»

Gärten auf Altlasten. (Bild: Michael Latz)

Das Büro Latz arbeitete dafür mit getrennten Strukturplänen, anschaulich gemacht im Kapitel «Strukturen». Anhand zweier aus dem Kapitel gegriffenen Beispielen lässt sich diese Herangehensweise verdeutlichen. Einmal der Bahnpark. In den Gleisen und Gleistrassen erkannte Peter Latz ein Prinzip: «Denn jede Struktur, so chaotisch sie zunächst erschien, richtete sich immer nach den Bahnlinien.» Das Team übernahm also den Verlauf der Bahngleise für das Wegesystem, das auf mehreren Ebenen verläuft, da auch Brücken restauriert wurden und unter anderem die sogenannte Pfeilerbahn wiederhergestellt wurde. So vernetzen auch heute noch die Linien und Ebenen der alten Erschließung das Gelände.

Als zweites Beispiel kann der «Wasserpark» dienen, auch er eine dieser essenziellen Strukturen im Park. Anfang der Neunziger allerdings gab es nur ein offenes Abwassergerinne, die Alte Emscher. Doch die Emschergenossenschaft hatte bereits ihr Generationenprojekt «Renaturierung» beschlossen und mit diesem sollte im künftigen Park begonnen werden. Auch hier stand für das Büro fest, dass sie den Bestand respektieren und «die Geometrie des Verlaufs nicht antasten wollten». Renatuierung sollte nicht gleichbedeutend sein mit romantischen Natur-Bildern. Sie schufen den Klarwasserkanal mit sauberem Wasser, ein natürlich und zugleich künstliches System als Zeichen der ökologischen Erneuerung. Ökologie und von Industrie geschaffene Strukturen – scheinbare Gegensätze, die Peter Latz nicht gelten ließ und auflöste.

Der Klarwasserkanal als Teil des Wasserparks. (Bild: Michael Latz)

Latz betonte auch bei der Buchpräsentation, wie wichtig es sei, Kultur und Natur nicht gegeneinander auszuspielen. Seine Folgerungen aus der Arbeit am Landschaftspark führt er am Ende des Buchs im Kapitel «Visionen» zum Park des 21. Jahrhunderts aus. Ganz wesentlich: «Der Park des 21. Jahrhunderts ist die Akzeptanz des Urbanen.» Als neuer Parktyp sehe der Landschaftspark Aspekte der ökologischen Erneuerung gleichrangig mit Aspekten der Nutzung und schirme das Urbane nicht ab.

Das Buch, das den Park nicht nur beschreibt, sondern erstmals umfassend und in beeindruckender Tiefe erklärt, kommt gerade zur rechten Zeit. Das wird am Ende des fast 300 Seiten langen Werks deutlich: der Gärtnerstützpunkt, der über Jahre die Pflege des Parks sicherstellte, wird in diesem Jahr geschlossen. Das trifft den Park hart. Denn gerade diese Anlage mit ihrer Balance zwischen Belassen und Eingreifen, zwischen Bewahren und Gestalten beinhaltet eine besondere Herausforderung für Unterhalt und Pflege. Karl Ganser schließt das Buch daher mit den Worten: «Das Buch von Peter Latz möge das Verständnis für so eine einmalige und zugleich fremdartige Landschaft befördern und so dafür werben, dass der Schutz der Prozesse auch weiterhin gewährt wird.» Das Verständnis für Rostrot ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit.

Der Landschaftspark ist Teil der Kulturveranstaltungen im Ruhrgebiet. (Bild: Michael Latz)