Abgesägt

Katinka Corts
18. April 2018
Bild: DFZ Architekten

Was die Schweizerinnen und Schweizer bereits seit über 160 Jahren tun, macht gerade mal zarte Anfänge in Deutschland: es geht um Bürgerentscheide. Ob Schulneubau oder Umverteilung von Geldern – bei unserem südlichen Nachbarn entscheidet das Stimmvolk über das Gelingen oder Verderben eines Projektes. Das zarte Pflänzlein Bürgerentscheid ist in Deutschland noch anfällig für grundsätzlichen Unmut der Bevölkerung über Missstände in Politik oder Unzufriedenheit mit dem wirtschaftlichen Vorankommen eines Standorts. In Mainz stießen sich die Gegner der Erweiterung des Gutenberg-Museums nicht nur optisch am Projekt, sie kritisierten auch ganz generell den kostenintensiven Neubau, der angesichts der hohen Verschuldung der Stadt nicht angemessen sei. 

Vergangenes Wochenende kam es nun zum ersten Mainzer Bürgerentscheid, bei dem sich mit über 77% die Mehrheit der Mainzer gegen die von DFZ Architekten geplante Erweiterung des Gutenberg-Museums aussprachen (wir berichteten). Bedauern bei der Gutenberg Stiftung, für die der Vorsitzende Andreas Barner sagt: „Aus Sicht der Stiftung ist eine große Chance vertan worden. Seit langer Zeit gab es das erste Mal ein schlüssiges Konzept, das dem Gutenberg-Museum erlaubt hätte, dem Anspruch ‚Weltmuseum der Druckkunst‘ zu sein gerecht zu werden. Diese Umsetzung und Weiterentwicklung des Museums ist nun auf absehbare Zeit unmöglich geworden und somit ist der Schaden für das Museum aber auch die Stadt Mainz leider groß.“ Das Museum wird jährlich von rund 130'000 Besuchern besucht und ist allgemein modernisierungsbedürftig, im Speziellen bezüglich Brandschutz gar mangelhaft. Ein Neubau hätte zusätzliche Ausstellungsflächen geschaffen, die andere Museumsbereiche deutlich entlastet hätten. Ob man dazu einen Turm braucht oder nicht – ein neues Wahrzeichen für die Stadt wäre er gewesen. Die Kritiker hingegen sahen vielmehr ein unkalkulierbares Großprojekt auf sich zukommen, verglichen es gar mit BER und Stuttgart 21. Dass es sich beim Bibelturm lediglich um einen zwar hohen, in der Grundfläche aber auf 12x12m beschränkten Anbau handelte, scheint bei dieser Diskussion vergessen gegangen zu sein.

Allzu tiefen Groll hegt die Gutenberg Stiftung aber nicht und erklärt auf ihrer Website: "Nur ein von Stadt, Land, Bund und Mainzer Bürgerinnen und Bürgern getragenes Museum [kann] diesem eine adäquate Zukunft garantieren." Man sei weiterhin bereit, mit Gegnern und Befürwortern an der Weiterentwicklung des Museums konstruktiv zu arbeiten. Die Architekten hingegen sind enttäuscht und haben bislang, so erklären sie uns, noch keine Rückmeldung zur weiteren Vorgehensweise erhalten. Ihrem Eindruck nach und den Reaktionen des Bürgermeisters zu urteilen, gingen sie aber davon aus, dass zumindest der Bibelturm nicht realisiert wird.

Bild: DFZ Architekten

Stephen Kausch, DFZ Architekten

"Wir sind sehr frustriert von der jetzigen Situation, da wir das Projekt mit größter Leidenschaft bearbeitet haben und der Überzeugung sind, dass der Entwurf die richtige architektonische Antwort auf die komplexe Aufgabenstellung darstellt. Wir haben uns in den letzten Jahren ein genaues Bild der Situation vor Ort gemacht und uns vor Augen führen können, was den Mainzern am Herzen liegt. Dementsprechend haben wir mit unserer Planung darauf reagiert und passende Lösungen erarbeitet.

Wir sind enttäuscht, dass das Vertrauen den Planungsbeteiligten gegenüber anscheinend nicht ausreichte. Der Entwurf ist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, in den zahlreiche Fachleute eingebunden waren. Dies wurde mit dem jetzigen Entscheid ad absurdum geführt. Auch sind wir enttäuscht darüber, dass ein Bürgerentscheid – der noch dazu viel Geld gekostet hat – erst zu diesem sehr späten Zeitpunkt inmitten der Bauantragsplanung durchgeführt wurde. Die politischen Verantwortlichen standen nicht zu ihrer bereits getroffenen Entscheidung und es ist zu diskutieren, ob sie damit ihrer Pflicht als Volksvertreter nachgekommen sind.

Bei grundsätzlichen strukturellen Entscheidungen sind Bürgerentscheide unter Umständen angebracht, bei architektonischen Gestaltungsfragen sollte man jedoch davon absehen und dies den Fachleuten und Gremien überlassen. [...] Diskussionen über Architektur sind grundsätzlich positiv und notwendig. In diesem Falle aber war sehr ärgerlich, dass auf der Seite der Gegner mit falschen Fakten Stimmung und Meinungen gemacht wurden. [...] Wichtig ist sicherlich, die Bürger im Vorfeld in den Prozess zu involvieren. Dabei kann es allerdings nur um Einflussnahme in grundsätzliche Entscheidungprozesse gehen. Die Fachleute und Gremien dürfen sich aber nicht Gestaltung diktieren lassen.

Verwundert waren wir darüber, dass einige Kollegen die Entscheidungen einer hochrangigen Jury nicht akzeptieren konnten und unseren Entwurf stark kristisierten und sogar auch mit Gegenentwürfen reagiert haben. Unabhängig von unseren eigenen Interessen besteht nun Gefahr, dass ein über Jahre entwickelter Erneuerungsprozess eine notwendige Entwicklung des Gutenberg- Museums stoppt. Dass dies im sogenannten Gutenberg-Jahr passiert, ist ein trauriges Signal. Der Man of Millenium hat sicherlich eine andere Form der Aufmerksamkeit verdient."