Europäischer Architekturfotografie-Preis 2017 vergeben

Grenzen – Borders

Carsten Sauerbrei
18. April 2017
Andreas Gehrke zeigt Berliner Flüchtlingsunterkünfte, hier ein früheres Stasi-Bürogebäude. (Bild: Andreas Gehrke/architekturbild)

Kaum ein Thema hat die gesellschaftliche Debatte in Europa in den letzten Jahren so sehr bestimmt, wie das von Flucht und Migration. Kein Wunder, dass Andreas Gehrkes Serie «Arrival», mit der er provisorische Flüchtlingsunterkünfte in Berlin dokumentiert, den 1. Preis beim «Europäischen Architekturfotografie-Preis 2017» zum Thema «Grenzen | Borders» erhielt. Die anderen drei, zweiten Preisträger Matthias Jung, Daniel Poller und Wilhelm Schünemann des vom architekturbild e.v. ausgelobten und seit 1995 alle zwei Jahre prämierten Wettbewerbs interpretieren das Thema ebenfalls stark gesellschaftspolitisch.

«Arrival»

Andreas Gehrke zeigt in seiner vierteiligen Serie «Arrival» die provisorischen Räume, in denen Berliner Flüchtlinge oft monatelang leben. Neben einem früheren Stasi-Bürogebäude sind das eine Mehrzweckhalle auf dem Gelände des Ex-Flughafens Tempelhofs, die trivialen Überbleibsel der Inneneinrichtung des einstigen «Hotels President» und provisorisch abgeschirmte Räume in einer Halle, die als Notunterkunft dient. Die Jury unter dem Vorsitz von Celina Lunsford, der Künstlerischen Leiterin des Fotografie Forums Frankfurt, zeichnete die Arbeit mit dem ersten Preis aus, «weil sie ein Thema von großer Aktualität und Bedeutung auf solch beeindruckende Weise visuell in Szene» setzt.

Matthias Jung dokumentiert verlassene, von Abbaggerung bedrohte Ortschaften (Bild: Matthias Jung/architekturbild)

«Revier» 

Mit den Nachtbildern von mit Brettern vernagelten Fassaden thematisiert der Essener Fotograf Matthias Jung tote, für die Abbaggerung durch den Braunkohleabbau freigegebene Orte. Die gezeigten Backsteingebäude und ganze Ortschaften liegen zwischen den Tagebauen «Hambach» und «Garzweiler» in Nordrhein-Westfalen. Die Jury würdigte mit der Preisvergabe die Art und Weise, «wie Jung dieses Thema fotografisch umgesetzt hat: Eine geheimnisvolle Geisterstadt, die die Komplexität des Daseins und den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt veranschaulicht.»

Daniel Pollers Aufnahmen bilden die begrenzte Lebensdauer von Architektur mit der immerwährenden Abfolge von Werden und Vergehen ab. (Bild: Daniel Poller/architekturbild)

«stone record» 

Auf den ersten Blick scheinbar harmlos alltägliche Straßenszenen sind auf den Aufnahmen des Leipziger Fotografen Daniel Poller zu sehen. Wie übergroße Spolien stehen historische Fassaden ohne Funktion an der Straße und kaschieren dahinterliegende Gebäude. Zeitgenössische Bauten drängen sich an die historischen Überbleibsel, überformen sie und degradieren sie zu Kulissen. Umbau, Abriss, Neubau sind die Themen der Fotoserie, mit der Poller laut Jury «auch die Folgen eines grenzenlosen Immobilienmarktes» aufzeigt.

Wilhelm Schünemann thematisiert die Grenzen des Einblicks in die Fenster von Lobbyisten und deren politischer Einflussnahme. (Bild: Wilhelm Schünemann/architekturbild)

«Die im Dunkeln» 

Nur scheinbar oberflächliche Fotografien des Berliner Fotografen Wilhelm Schünemann mit Spiegelungen in großen Fenstern und dahinterliegenden Vorhängen von Konzernbüros, die fußläufig entfernt des Bundestages ihre Lobbyarbeit verrichten, sind es, die die Reihe der Preisträgerarbeiten komplettieren. Die Jury hob in ihrer Begründung für die Preisvergabe vor allem die visuelle Klarheit und gedankliche Präzision hervor, mit der Schünemann «etwas von dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber politischen Prozessen und den Auswirkungen auf das Leben der Menschen» vermittele.

Alle Arbeiten der Preisträger sowie die der weiteren fünf ausgezeichneten und 19 mit Anerkennungen gewürdigten Fotografen werden ab dem 5. Mai im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main (DAM) ausgestellt.