Stadterweiterung München Freiham-Nord (2. Realisierungsabschnitt)

Nachbarschaften

Hild und K | Sergison Bates | Krucker | Studio Vulkan
4. July 2018
Perspektive

Im Münchener Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied sollen auf circa 57 Hektaren weitere circa 7'000 Wohnungen und soziale/kulturelle Infrastruktur auf Basis des Handlungsprogramms „Wohnen in München VI“ entstehen. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?
Der Standort befindet sich am westlichen Stadtrand Münchens, ungefähr 15 Kilometer vom Zentrum der Landeshauptstadt entfernt. Die Ausschreibung forderte eine enge Anbindung des Entwurfs an den zu Teilen fertiggestellten, zum Teil in Planung, beziehungsweise im Bau befindlichen ersten Realisierungsabschnitt der Stadterweiterung im Süden und Osten sowie an die bestehenden Wohnviertel Aubing, Neuaubing und Freiham. Zu berücksichtigen waren dabei vor allem auch bestehende Straßen und die gegebene Verkehrsergänzungsstruktur. Im Westen des Neubauviertels entsteht ein Landschaftspark, dessen Gestaltung ebenfalls aus einem Realisierungswettbewerb hervorgegangen ist. Zur Anbindung dieses Erholungsgebiets an die neue und bestehende Wohnbebauung sah die Ausschreibung zwei Grünfinger vor, die das Quartier in ost-westlicher Richtung durchziehen sollten. 

Lageplan

Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?
Der Entwurf ist inspiriert von den städtebaulichen Vorstellungen Theodor Fischers (1862 - 1938). In Anlehnung an dessen Konzept für Schwabing-Nord haben wir bei der Planung über die einzelnen Grundstücksgrenzen hinaus gedacht. Entstanden ist eine Hierarchie der Räume, differenziert durch einen jeweils individuellen Charakter verschiedener „Nachbarschaften“, durch unterschiedliche Formen und Nutzungen. Die öffentlichen Räume – Straßen, Plätze und Parks – verbinden die unterschiedlichen Bauflächen und bilden im Wortsinn eine Grundlage für das Entstehen künftiger Nachbarschaftsbeziehungen.
Dabei ist es uns gelungen, den im Vergleich geringsten Anteil an versiegelter Fläche mit der höchsten städtebaulichen Dichte zu verbinden. Dies dient auch der Belebung des künftigen Stadtviertels: Viele Menschen erzeugen eine hohe Nachfrage für die vorgesehenen Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe, sie bilden das Publikum für künftige Kultur- und Sozialangebote sowie die geplanten Nachbarschaftstreffs.

Grundriss Erdgeschoss, Ausschnitt

Wie erschließen Sie das Areal?
Das Neubaugebiet Freiham Nord wird über die bestehende Aubinger Allee als Hauptträger der urbanen Adresse erschlossen. Über platzartige Aufweitungen entstehen Eintrittsbereiche in die Quartiere.
Die Verkehrswege nehmen Bezug auf die im Osten bestehenden Planungen. Die öffentlichen Räume sind klar in ihrer Hierarchie zugeordnet.
Ein neuer zentraler Quartiersanger bildet eine durchgehende Nord-Süd-Verbindung für den Bus, die Fußgänger und Radfahrer. Er verbindet die „Nachbarschaften“, die jeweils einen großzügigen Platz als Mitte aufweisen. Diese Plätze schaffen in ihrer je individuellen Form, Orientierung und Nutzung einen unverwechselbaren Bezugspunkt. An diese sind auch die Eingänge der jeweiligen Schulen gelegt.
Wohnstraßen mit einfachem Gegenverkehr gewährleisten die motorisierte Erreichbarkeit der einzelnen Baufelder, ergänzt durch Wohngassen, Fahrrad- und Fußgängerstraßen. Insgesamt war es unser Ziel, den motorisierten Individualverkehr innerhalb des Areals so niedrig wie möglich zu halten. Dem entspricht ein Mobility-Konzept, das über das Viertel verteilt mehrere Stationen für Carsharing und (Transport)fahrradverleih vorsieht. Gut angebunden sind auch die bestehenden S-Bahnhöfe. Zahlreiche Ost-West-Verbindungen führen zudem in den großen Park im Westen.

Erschließungsnetz

Welche Aufgaben hat die Freiraumplaung zu bewältigen?
Die Straßen und Plätze des Quartiers sind mehr als reine funktionale Erschließungsräume. Durch ihre Gestaltung entsteht ein Mehrwert, der die Identität und Wahrnehmung des Viertels prägt. Seine zentrale Lebensader bildet der Quartiersanger, an dem sich das Alltagsleben abspielen wird. Er weitet sich im Siedlungskörper zu Plätzen mit großzügigen Aufenthalts- und Spielbereichen. Wie in der Auslobung gefordert, verbinden zwei Grünfinger den neuen Stadtteil direkt mit der bestehenden Siedlungsstruktur von Neuaubing im Osten und den lokalen Erholungsräumen im neu entstehenden Landschaftspark im Westen. Während sich der südliche Grünfinger als tiefer offener Landschaftsraum in die Stadt hineinzieht, hat der nördliche Grünfinger eher einen städtischen Charakter. Er staffelt sich in drei eigenständige Grünräume und verwebt somit den Landschaftspark stark mit der neuen Quartiersstruktur. Insgesamt lebt der Entwurf von Vielfalt in den öffentlichen Räumen. Der Freiflächenplanung kommt damit auch die Aufgabe zu, klare Schwellen zwischen Straße, Platz, Parkraum und dem nachbarschaftlichen Inneren der Höfe aufzuweisen.

Schnitt

Was wird die Qualität des neuen Quartiers ausmachen?
Eine große Qualität wird die urbane Prägung des Quartiers ausmachen. Unser Ziel war es, trotz der Lage des Baugebiets am Münchner Stadtrand eine städtische Struktur zu schaffen, mit einer Hierarchie der öffentlichen Räume, mit Identität bei gleichzeitiger Vielfalt, mit differenzierter Dichte, mit lebendigen Straßenräumen, urbaner Architektur und großen eigenständigen Innenhöfen. Inspiriert hat uns auch dabei Theodor Fischer: Als der zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Vorstand des Münchner Stadterweiterungsreferats die Planungen für Nord-Schwabing vorlegte, lag das damalige Baugebiet schließlich auch noch am Stadtrand…

Nutzungsverteilung

Ist schon ein Rahmenplan in Arbeit?
Die Beauftragung läuft gerade. Als Gewinner des ersten Preises werden wir über ein Verhandlungsverfahren mit der Erstellung der städtebaulichen und landschaftsplanerischen Rahmenplanung beauftragt. Zudem wird unser Entwurfsteam ein Regelwerk für die Gestaltung von Gebäuden und Freiflächen erstellen.

Schwarzplan
Stadterweiterung München Freiham-Nord (2. Realisierungsabschnitt)
Nichtoffener Realisierungswettbewerb, Zweistufig

Auslober/Bauherr: Landeshauptstadt München, München
Betreuer: Faltin+Sattler FSW Düsseldorf GmbH, Düsseldorf

Jury
Martin Albers | Prof. Undine Giseke | Michael Hardi | Prof. Dr. Thomas Jocher | Dr. Andreas Kipar | Prof. Dr. Birgit Kröniger | Prof. Dr. Elisabeth Merk | Prof. Dr. Franz Pesch | Johannes Tovatt | Prof. Dick van Gameren | Walter Zöller | Gerda Peter | Dieter Reiter | Josef Schmid | Sebastian Kriesel | Beatrix Burkhardt | Heide Rieke | Christian Müller | Katrin Habenschaden | Mario Schmidbauer | Stefan Diemling

1. Preis
Architekt: Hild und K, München, Berlin
Architekt: Sergison Bates architects, London
Architekt: Büro Krucker Architekten AG, Zürich
Landschaftsarchitekt: Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich, München

2. Preis
Architekt: Studio Wessendorf, Berlin
Landschaftsarchitekt: Atelier LOIDL, Berlin