Innenraumgestaltung der Parochialkirche, Berlin

Offener Raum

KUEHN MALVEZZI
3. February 2016
Orgel mit geöffneten Flügeln
Die Offenheit des Raumes wird in der Parochialkirche zum Ausgangspunkt für eine programmatische Offenheit, die zukünftig sakrale wie nicht-religiöse Nutzungen vorsieht. Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?

Uns ist es wichtig, den offenen Kirchenraum der Parochialkirche mit seinen rohen Oberflächen in der jetzigen Form zu erhalten. Der ungewöhnliche barocke Zentralbau mit seinen vier charakteristischen Konchen geht auf Planungen von Johann Arnold Nering Ende des 17. Jahrhunderts zurück. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Kirche stark beschädigt. Das Modellhafte des Nering-Entwurfs und das geschichtliche Zeugnis des verletzten Innenraumes bilden zusammen eine Architektur, der unserer Meinung nach nichts hinzuzufügen ist. Die Offenheit des unverstellten Innenraumes ist für uns der Ausgangspunkt für seine programmatische Offenheit, die sowohl die sakrale Nutzung als auch nicht-religiöse Veranstaltungen zulässt.
Auf diese Grundüberlegungen reagieren wird mir einem Instrument, in dem alle neuen Funktionen kompakt gebündelt werden. Das Instrument setzt den Kontrapunkt zum offenen Raum. Es fügt sich in die Rundung der Westkonche und aktualisiert die historischen Emporen an diesem Ort. Der einfache, sorgfältig gestaltete Holzkörper bildet im Ruhezustand eine zurückhaltende Figur, die sich dem Gebrauch entsprechend unterschiedlich entfaltet: Die erhöhte Orgel ist dem Kirchenraum zugewandt. Sie wird über zwei Holztreppen erreicht, die der Rundung der Westkonche folgen. Durch Öffnen der großen Flügel zeigt sich die Orgel im Gebrauch. Das lichtgeschützte Magazin der sakralen Kunst ist in Form großformatiger Holzrahmen-Schiebeelemente in das Instrument integriert, die einzeln ausziehbar sind. Es dient als Schaudepot wie als Schrank für die Ausstellungswände. Das Instrument bildet die Schwelle zwischen dem Hauptportal der Parochialkirche und dem offenen Kirchraum. Der axiale Durchgang rahmt den Einzug in den Zentralbau entlang des Schaudepots.  

Offener Raum und Instrument im Ruhezustand
In welchem baulichen Zustand befindet sich die Parochialkirche und in welchen wollen Sie ihn bringen?

Im Moment lässt sich der zentrale Kirchenraum nicht ganzjährig nutzen, da er nicht über eine fest installierte Heizung verfügt. Wir werden deshalb eine Reihe präziser Maßnahmen realisieren, die den Raum im Winter nutzbar machen ohne den offenen Raum zu zerstören. Das gilt insbesondere auch für den offenen Dachstuhl, den wir ebenfalls erhalten. Über dem Bestandsboden werden eine Dämmung sowie ein fugenloser Bituterrazzo-Boden mit integrierter Fußbodenheizung verlegt. Wir schaffen es so, den Aufenthaltsbereich auf behagliche Temperaturen zu erwärmen, ohne den gesamten Luftraum der Kirche erwärmen zu müssen. Klimatisch bedeutsam ist auch das Instrument. Das hier integrierte Magazin der sakralen Kunst erhält eine eigenständige Klimazone, ohne dass es räumlich vom Kirchenraum getrennt werden muss. Durch maschinelle Luftzirkulation und Regulation von Lufttemperatur und -feuchte wird ein lokales Klima ausgebildet.
Weitere Maßnahmen betreffen Beleuchtung sowie Akustik für Veranstaltungen, die im Dachstuhl unauffällig angeracht werden. 

Icon Grundriss
Was schlagen Sie für ein Neben- und Miteinander von Gottesdiensten und Ausstellungen vor?

Wir schaffen Displays, die der Architektur gegenüber diskret bleiben. Sie werden wie aufklappbare Bücher und aus demselben Holz wie das Instrument gefertigt. Ihr Lager haben sie im Instrument, von dort aus kommen sie temporär zum Einsatz. Im Gebrauch schreiben sie in dem großen offenen Kirchenraum ganz unterschiedliche räumliche Konstellationen ein. Ihre Beweglichkeit erlaubt sowohl kleine, intime Ausstellungen, die parallel zu einer Bestuhlung mit Bänken eingerichtet werden als auch große Ausstellungen, die den gesamten Kirchenraum bespielen. 

Konstellationen temporäre Ausstellungen
Welches innenarchitektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Wir machen zwischen Architektur und Innenarchitektur keinen Unterschied. Unsere Denkweise ist sehr vom Ausstellen geprägt. Wichtig sind uns Fragen wie die der Kontextualisierung, des Verhältnisses von Exponat und Display sowie der Raumerfahrung. Was wir hier im Fall der Parochialkirche zeigen möchten, ist der offene Raum, er selbst ist das erste Exponat sakraler Kunst, das man erfährt, wenn man die Kirche betritt. Unser Entwurf stärkt diese Raumerfahrung – insofern könnte man ihn als Display bezeichnen. 

Detail Treppe zur Empore
Register Schaudepot
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Nein.

Innenraumgestaltung der Parochialkirche, Berlin
Beschränkter Ideen- und Realisierungswettbewerb

Jury
Prof. Volker Staab Vors. | Prof. Volkmar Bleicher | Marc Jordi | Michael Kny | Matthias Hoffmann-Tauschwitz | Prof. Rüdiger Lorenz | Thomas Weber | Prof. Dr. Hartmut Dorgerloh | Prof. Dr. Jörg Haspel | Pfarrer Gregor Hohberg | Maximilian Müllner | André Schmitz

1. Preis
nach Überarbeitung
Architekt: Kuehn Malvezzi, Berlin
TGA: Winter Beratende Ingenieure für Gebäudetechnik, Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Leipzig
Visualisierung: Elephantgreen, Max Nalleweg

2. Preis
Architekt: Knerer und Lang, Dresden, München
TGA: GESA Ingenieurgesellschaft für technische Gesamtplanung mbH, Dresden, Köln, Hamburg