Funktionsgebäude des Stadtbads in Nauen von Tchoban Voss Architekten

Nauener Niere

Thomas Geuder
6. November 2017
In Nauen – rund 40 km nordwestlich von Berlin gelegen – hat das Stadtbad ein neues Eingangsgebäude erhalten, das künftig multifunktional genutzt wird. (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)

Projekt: Funktionsgebäude des Stadtbads (Nauen, DE) | Archtiektur: Sergei Tchoban, Tchoban Voss Architekten (Berlin, DE) | Bauherr: Stadt Nauen | Hersteller: Trespa International B.V. (Weert, NL), Kompetenz: Fassadenplatte | weitere Projektbeteiligte siehe unten

Die Geschichte des Stadtbads in Nauen bei Berlin ist auch durch die Wende geprägt: Ursprünglich errichtet im Jahr 1967 (damals noch auf DDR-Terrain) musste es kurz vor der Wende 1988 wegen zu starker Alterung geschlossen werden. Pläne für die Sanierung lagen zwar vor, doch die Wende bedeutete zunächst das Aus für das Bad. In den folgenden Jahren allerdings gelang es auf Initiative der Stadt und mit Fördermitteln des Landes, die Anlage doch noch zu sanieren. So konnte ein erster Bauabschnitt mit Sozialtrakt und Nichtschwimmerbecken bereits 1994 eröffnet werden, die restlichen Bauarbeiten konnten ein Jahr später abgeschlossen werden.

Gut 20 Jahre später nun stand eine Erneuerung des Eingangsgebäudes an, wobei hier auch – so der Wunsch des Bauherrn – ein ganzjähriger Treffpunkt für die Menschen entstehen sollte, um das Angebot an Freizeiteinrichtungen im Quartier zu verbessern. Den entsprechenden Wettbewerb im Jahr 2015 konnten Tchoban Voss Architekten für sich entscheiden, nicht zuletzt wohl auch, weil ihr Entwurf quasi eine Doppelreaktion auf den Ort ist, der geprägt ist durch eine nüchterne, recht einfallslose Wohnbebauung auf der einen und die umgebende Landschaft und Natur auf der anderen Seite. So gibt sich die äußere Form des Gebäudes organisch und geschwungen, mit dem Stadtbad-Eingang in der Mitte. Die beiden Gebäudeteile, die durch ein gemeinsames Dach mit markantem Attikaband verbunden werden, sind nierenförmig und lassen so den städtischen Raum um sich herum fließen. Im südlichen Baukörper sind das Café mit dem Multifunktionsraum, die Beratungsstelle sowie die neue Wellnesszone untergebracht, der nördliche beinhaltet die Räume für den Badebetrieb, d.h. für den Kassenbereich, die Umkleidezonen und für die Schwimmbadbesucher, die Räume für Bademeister und Mitarbeiter sowie das Lager. Alle Bereiche sind separat vom Vorplatz aus zugängig und können unabhängig voneinander genutzt werden, wodurch der Betriebsaufwand und somit der Energieeinsatz deutlich reduziert werden können.

Die organische Form des eingeschossigen Neubaus und die Farbpalette der Fassaden sollen mit der umgebenden Natur harmonieren. (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)

Das vorherrschende Material ist Holz. Auch die Konstruktion ist eine Holzkonstruktion, wobei das Dach von einzelnen, vorgefertigten und identischen Holzrahmen getragen wird, die gleichzeitig die Außenansicht des Gebäudes prägen. Die Rahmen sind schließlich mit einem handelsüblichen Holzfenster, einer Festverglasung oder einer geschlossenen Platte ausgefacht. Die geschlossene Variante ist mit einer hinterlüftetet angeordneten HPL-Platte (Hochdruck-Schichtpressstoffplatte, Trespa) ausgeführt. Sie besteht aus Schichten von Fasern auf Holzbasis mit thermohärtenden Harzen, ist entsprechend witterungsbeständig, farbecht und vandalismusbeständig und deswegen einfach zu reinigen sind, ein wichtiges Argument für den kostengünstigen Betrieb des Gebäudes. Diese Gesamtkonstruktion wurde von den Architekten zusammen mit Mohrmann Bau aus Alfstedt entwickelt. Das Dach schließlich ist aus geformten Holzleimbindern konstruiert.

Im Wettbewerbsentwurf übrigens war der größere Bauteil mit dem Café noch an der nördlichen Ecke des Grundstücks angeordnet, samt ebenso organischer, vorgelagerter Treppenanlage und städtischem Blick entlang des Bredower Wegs Richtung Stadtzentrum – ein durchaus richtiger Gedanke, das Quartierszentrum an diesem Punkt in der Stadt zu verorten. Dem wäre allerdings auch ein Teil des (nötigen) Parkplatzes zum Opfer gefallen. So ist das Gebäude nun gespiegelt und weiter südlich angeordnet. Auf den Charakter des Gebäudes wirkt sich das nur wenig aus, zumal nach wie vor die (sagen wir einmal) Option zur eleganten Erweiterung im Norden besteht.

Das charakteristische Attikaband verbindet die beiden Bauteile optisch miteinander und ist zugleich praktischer Hintergrund für die Aufschrift. (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)
Schwarzplan (Quelle: Tchoban Voss Architekten)
Grundriss (Quelle: Tchoban Voss Architekten)
Fassadendetails (Quelle: Tchoban Voss Architekten)
Holzrahmen mit verschiedenen Ausfachungen bilden die Tragstruktur und gleichzeitig die Fassade des Gebäudes. (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)
Das Café im südlichen Gebäudeteil will zukünftig Treffpunkt für die Menschen im Quartier sein. (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)
Die neue Wellnesszone beherbergt eine Sauna … (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)
… nebst dazugehörigem Ruhe- und Entspannungsraum … (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)
… und Kaltwasseranwendungen für die Füße. (Bild: Lev Chestakov / Tchoban Voss Architekten)

Projekt
Funktionsgebäude des Stadtbads
Nauen, DE

Architektur
Tchoban Voss Architekten
Sergei Tchoban
Berlin, DE

Projektpartner: Karsten Waldschmidt
Projektleiter: Jan Frechen
Mitarbeiter: Guido Kall, Jan Lisner, Stefan Petro, René Hoch, Azzurra Pippia

Bauherr
Stadt Nauen
DLG Dienstleistungsgesellschaft Nauen mbH
Nauen, DE

Hersteller
Trespa International B.V.
Weert, NL

Kompetenz
Fassadenplatte

weitere Hersteller:
Bodenfliesen Gastraum: Agrob Buchtal
Innentüren: Jeld-Wen
Beschläge Innen-/Außentüren: Hoppe
WC-Trennwände: Trennwandbau Dessau

Statik
KTC Ingenieurgesellschaft mbH & Co. KG
Zeven, DE
Haustechnik
Beo-Tec Virno Domke (HLS)
Brieselang, DE

Tetra Ingenieure (ELT)
Neuruppin, DE

Landschaftsplaner (Wettbewerb)
Hager AG
Berlin, DE
Ausführende Firmen
Mohrmann Bau GmbH
Alfstedt, DE

Wettbewerb
2015, 1. Preis

BGF
630 m²

Fertigstellung
2017

Fotografie
Lev Chestakov


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