Wohnhaus E20 in Pliezhausen von Steimle Architekten

Skulpturale Extravaganz

Thomas Geuder
13. November 2017
Markant und monolithisch: Das Wohnhaus E20 in Pliezhausen ist aus Dämmbeton mit sägerauer Oberfläche gestaltet. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)

Projekt: Wohnhaus E20 (Pliezhausen, DE) | Architektur: Steimle Architekten (Stuttgart, DE) | Bauherr: privat | Hersteller: diverse | weiter Projektdaten siehe unten

Pliezhausen, rund 30 km südlich von Stuttgart gelegen, ist eigentlich eine beschauliche Gemeinde, die im Schatten der Landeshauptstadt und der unweit entfernten Universitätsstadt Tübingen rund 10.000 Einwohnern naturnahen Raum zum Wohnen bietet. Freunde der Architektur aber könnte Pliezhausen bekannt sein, entweder durch das Bürogebäude der Datagroup, das 1995 von dem Architekturbüro Kauffmann Theilig & Partner errichtet und mit dem Hugo-Häring-Preis ausgezeichnet wurde, spätestens jedoch seit dem Neubau der Neuapostolischen Kirche, errichtet 2016 von Ackermann+Raff Architekten (wir berichteten im Bau der Woche „Starke Kirche“ und in der Praxis „Natürlich haptisch“). Nur gut einen Kilometer entfernt, in einem ruhigen Wohngebiet, haben Steimle Architekten aus Stuttgart nun ein sehenswertes Wohnhaus errichtet, das in der dörflich geprägten Struktur zwar den Schulterschluss mit der bestehenden Umgebung sucht, dennoch unmissverständliche seine Eigenständigkeit findet.

In gewisser Weise ist die Neuapostolische Kirche in Pliezhausen sogar eine Art Vorreiter dieses jüngsten architektonischen Highlights: Vorherrschendes Material in dem kleinen Wohnhaus ist ebenfalls ein markanter Dämmbeton (Liapor), durch den die extravagante Gebäudeskulptur mit ihren 50 cm dicken, monolithischen Wänden überhaupt erst möglich wurde. Auch die Dachform des Hauses erinnert zumindest aus mancher Perspektive an den Kirchenbau – womit es das dann aber auch schon war mit den Gemeinsamkeiten. Beim Wohnhaus E20 mussten sich die Architekten mehr noch mit dem umgebenden Bestand auseinandersetzen. So greifen die parallel geführten Längsseiten des Wohnhauses E20 zwar den vorhandenen baulichen Kontext noch auf, ebenso das Dach in eher konventioneller Satteldachform. Das gesamte Bauwerk allerdings wirkt eher kristallin, wie ein Findling im Wohngebiet. Die Form gründet schlussendlich auf einem sechseckigen Grundriss, spitz zulaufende Schmalseiten heben es deutlich von seinen Nachbargebäuden ab. Die Architekten spielen dabei mit den umliegenden Freiräumen, die durch die Schrägstellung der Fassaden erschlossen werden und den Bewohnern großzügige Ausblicke in die Ferne bieten. Eher verschlossen gibt sich zunächst die Außenansicht. Man betritt das Gebäude über einen tief aus dem Betonkörper geschnittenen Eingang.

Mit wenigen, tief in die massive Betonschale eingeschnittenen Öffnungen zeigt sich der Neubau zum Straßenraum. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)

Drinnen herrscht eine überraschende Großzügigkeit, was nicht zuletzt durch die klare, dennoch skulptural-gekantete Formensprache sowie durch die überwiegend hellen Oberflächen erzeugt wird, die die Planer im Gegensatz zu den mit sägerauer Holzbetterschalung erzeugten Außenflächen bewusst glatt ausgeführt haben. Im Innenraum entsteht auch ein vielfältiges Spiel mit Enge und Weite, mit Höhe und GEdrücktheit und mit Umschlossenheit und Offenheit, wodurch stets eine räumliche Spannung generiert wird – ein „sinnliches, atmosphärisch dichtes Wohnen“, wie es die Architekten beschreiben. Da ist es folgerichtig, wenn die verwendete Ausstattung ebenfalls formal zurückhaltend und klar ist, wie etwa die Schalter (Jung), die Möblierung (Vitra) oder der offene Kamin (Rüegg Cheminée). Das Energiekonzept beinhaltet übrigens eine Luft-Wasser-Wärmepumpe, gesteuert werden die Energieströme durch ein Smart Home System (Loxone), die großzügigen Fenster mit Holz-Aluminium-Rahmen besitzen eine Dreifachverglasung (Josko). Der Innenraumcharakter wird außerdem wesentlich bestimmt durch massives und helles Eichenholz, etwa im Eltern- und im Kinderbad, der Küche sowie an sämtlichen Böden. So wollen die Architekten bewusst einen warmen, geschützten, fast höhlenartigen Wohnraum schaffen, der umgeben ist von einer massiven, reduzierten und robusten Schale. Dieses Konzept und dessen Ausformulierung war denn auch der Jury des diesjährigen Architekturpreises Beton eine Auszeichnung als Preisträger wert. Wir gratulieren!

Nach Betreten des Gebäudes gelangt man zunächst in ein Foyer mit Gartenzimmer dahinter. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)
Auf dem Weg nach oben über eine einläufige Treppe weitet sich der Raum in die Höhe. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)
Oben befindet sich dann das Wohngeschoss mit großzügigem Wohn-Ess-Zimmer, dessen Wände und Decken gefaltet sind. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)
Die Küche befindet sich diagonal auf der gegenüberliegenden Seite zum Wohnraum und ist gleichzeitig Drehpunkt zu den privaten Räumen. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)
Das Elternschlafzimmer besitzt ein eigenes Bad und großzügige Fensterflächen mit Ausblick. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)
Für die Kinder haben die Architekten zwei Zimmer einer Art Maisonnette entwickelt. (Bild: Brigida González / Steimle Architekten)
Entwurfskonzept (Quelle: Steimle Architekten)
Lageplan (Quelle: Steimle Architekten)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: Steimle Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Steimle Architekten)
Grundriss Untergeschoss (Quelle: Steimle Architekten)

Projekt
Wohnhaus E20
Pliezhausen, DE

Architektur
Steimle Architekten BDA
Stuttgart, DE

Bauherr
privat

Hersteller
Sicht-Dämmbeton-Außenwände: Liapor GmbH & Co. KG
Holz-Aluminium-Fenster mit Dreifachverglasung und Haustür: Josko Fenster und Türen GmbH
textile Sonnenschutz-Markisen: Mermet SAS
offener Kamin: Rüegg Cheminée AG
Sitzmöbel, Esstisch, Stühle: vitra storeS GmbH
Schalter: Jung GmbH & Co. KG
Smart Home System: Loxone Electronics GmbH
Luft-Wasser-Wärmepumpe: iDM-Energiesysteme GmbH

BGF
376 m²

BRI
1.375 m³

Wohnfläche
258 m²

Grundstücksfläche
658 m²

Fertigstellung
12/2016

Fotografie
Brigida González


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