Morphologische Transformation

Freivogel-Architekten
26. August 2015
Das sanierte und aufgestockte Wohnhochhaus befindet sich direkt hinter dem Pforzheimer Hauptbahnhof (Foto: Dietmar Strauß)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Als hochwertiger Stadtbaustein markiert das generalsanierte Hochhaus an der Güterstraße 30 ein prägnantes und wiedererkennbares, neues „Tor zum Stadtquartier Nordstadt“. Den oberen bislang undefinierten Gebäudeabschluss bilden nun zwei neue Dachgeschoss-Loft-Wohnungen mit Aussicht über die Stadt und den Schwarzwald. Durch diese baukörperliche Ergänzung werden auch die Gebäudeproportionen wahrnehmbar verbessert. Gleichzeitig wurde der Energiebedarf nach der Generalsanierung auf 10 % der ursprünglichen Werte reduziert.

Das Wohnhochhaus in der Güterstraße 30 vor der Generalssanierung im angetroffenen Urzustand 2011 (Quelle: Freivogel Architekten)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Durch die Aufnahme des Projektes in das Dena-Förderprogramm „Auf dem Weg zum Effizienzhaus Plus“ stand die Nutzung regenerativer Energien bereits zum Projektstand im Vordergrund. Wir wollten jedoch auf keinen Fall, dass die technischen Komponenten die äußere Gestalt determinieren. Im Gegenteil: Das Projekt sollte Wege aufzeigen, wie auch mit bewährten klassischen, städtischen Bauformen ein hochgradig energieeffizientes Gebäude entstehen kann.

Ein modernes Windrad auf dem Dach sorgt für eine zusätzliche Versorgung mit regenerativer Energie (Foto: Dietmar Strauß)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die ersten Überlegungen gingen noch von einer dreigeschossigen Aufstockung aus. Dies ließ sich jedoch genehmigungsrechtlich nicht verwirklichen. Ergebnis der Vorentwurfsphase war schließlich ein überhöhtes Loft-Geschoss. Hervorzuheben ist dabei die sehr konstruktive Zusammenarbeit mit dem Gestaltungsbeirat der Stadt Pforzheim, der das Projekt von Beginn an förderte und so zur Umsetzung in dieser Form maßgeblich beitrug.

Im Zuge der Sanierung wurden die Balkone durch großzügige Loggien ersetzt.
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Nach unserer Entwurfshaltung ist man dann dem idealen Ziel nahe, wenn man dem Gebäude das Baujahr nicht zuordnen kann. In der Güterstraße waren natürlich zunächst viele Setzungen aus dem Bestand vorgegeben, zum Beispiel wo die Fenster sitzen. Trotzdem konnte durch Maßnahmen wie die Reduktion der Brüstungshöhen und der Ausbildung der Loggien mit einem homogenen Grid eine wohltuende Großmaßstäblichkeit und Zeitlosigkeit erzeugt werden. Das Thema Energieeffizienz hatte wie bereits erwähnt einen hohen Stellenwert.

Von den Wohnungen aus hat man nun einen weitläufigen Blick über die Innenstadt von Pforzheim – hier im 9. Obergeschoss (Foto: Dietmar Strauß)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das ursprüngliche Gebäude war typologisch ein Solitär, der in den 1960er- und 1970er-Jahren unter dem Leitbild der aufgelockerten und durchgrünten Stadt in den suburbanen Stadterweiterungsgebieten beheimatet war. Nun stand aber das Gebäude am Rande einer Blockrandbebauung in der Stadt – dies hatte schon etwas leicht Kurioses. Da wir den Standort ja nicht ändern konnten, musste sich die Gebäudehülle morphologisch vollständig transformieren.

Die neue Materialität in der Außenansicht ist wirtschaftlich, dennoch hochwertig (Foto: Dietmar Strauß)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Das ehemals im Besitz der Deutschen Bahn befindliche Gebäude war noch zum Großteil von Erstbeziehern bewohnt. Dem neuen Eigner war es wichtig, dass die zum Teil über 40 Jahre im Gebäude wohnenden und im sozialen Umfeld entsprechend verankerten Mieter in ihren angestammten Wohnungen bleiben konnten. Die sehr niedrigen Mieten wurden ebenfalls nur moderat angepasst. Demgegenüber stehen nun noch etwa 10 % der ursprünglichen Energiekosten bei signifikant gesteigertem Wohnkomfort. Durch die Umsetzung der gesamten Baumaßnahme im komplett bewohnten Zustand waren besondere Schutz- und Sicherungsmaßnahmen erforderlich: So wurden die Eingriffe in den Wohnungen beschränkt sowie die Baumaßnahmen vor Ort durch umfangreiche Vorfertigung auf ein Minimum reduziert.

Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Zur Bauzeit- und Kostenreduzierung sowie zur Qualitätssicherung wurden die gesamte neue Fassade und die komplette neue Loggiazone (großzügige überdachte private Freiräume) aus vorgefertigten Betonwerksteinelementen wirtschaftlich erstellt. Es wurden möglichst große jedoch noch ohne Sondergenehmigung zu transportierende Elemente projektiert, die eine kurze Montagedauer und möglichst wenige Gewerkeschnittstellen vor Ort erzeugen.

Lageplan, Grundrisse Regelgeschoss und Aufstockung, Schnitt (Zeichnungen. Freivogel Architekten)
Generalsanierung und Aufstockung Wohnhochhaus zu Energieeffizienzhaus
2014
Güterstraße 30
75177 Pforzheim

Nutzung
Wohnungsbau (Verwaltungseinheit des Landratsamtes im Erdgeschoss)

Auftragsart
Bundesweites Wettbewerbsverfahren der Dena «Auf dem Weg zum Effizienzhaus Plus»

Bauherrschaft
Pforzheimer Bau und Grund GmbH

Architektur
Freivogel-Architekten / Jochen Freivogel, Steffen Mayer,  Ludwigsburg
Projektleiter: Jochen Freivogel
Mitarbeit: Max Gangler, Teresa May

Fachplaner
Energie: Transsolar, Stuttgart
Tragwerk: IFT-S Ingenieurbüro für Tragwerksplanung Joachim Sommer, Mühlacker
TGA: IGP Ingenieurgesellschaft für technische Ausrüstung, Pforzheim

Ausführende Firmen
Rohbau: Kälberbau GmbH, Pforzheim
Rückbau: Andreas Hammel GmbH, Pforzheim
Gerüstbau: Mönch Gerüstbau GmbH, Asperg
Dachabdichtung Rapp Dachbau GmbH, Pforzheim
Fensterbau: Holzbau Hübner GmbH, Lößnitz-Grüna
Glasfassaden u. Metallbau: BAUKO-tec GmbH, Mühlacker
Sonnenschutz: Hoffmann Sonnenschutztechnik GmbH, Ispringen
Gipser, Maler, Trockenbau Detlef: Gruner Stuckateurbetrieb, Unterreichenbach
HLS: Lüllich GmbH, Pforzheim
Elektrotechnik: Elotec GmbH,Pforzheim
Aufzugstechnik: Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH, Ettlingen

Hersteller
Betonfertigteilfassade Loggiazone: Fa. Hemmerlein, Bodenwöhr
Fassadenabsorber u. Heizkühldecken: Fa. Clina, Berlin
Fassade hinter Loggiazone: System Eternit Equitone Textura
Holzaluminiumfenster: System Gutmann Mira
Außenliegender Sonnenschutz: System Hella Raffstoren Lamelle 80mm
Glasbrüstungen Loggien: System crlaurence Taper-Loc
Eisspeicher: Fa. Isocal, Ludwigsburg

Energiestandard
Nullenergiehaus

Gebäudevolumen
9.620 m³

Bruttogeschossfläche
3.430 m²

Gebäudekosten
2.443.000 € (KG 300+400 brutto)

Gesamtkosten
2.865.000 € (KG 200-700 brutto)

Auszeichnung
Deutscher Architekturpreis 2015

Fotos
Dietmar Strauß, Besigheim