Steinernes Manifest

LOMA
9. September 2015
Die Panoramaterrasse mit ihrer steinernen Außenkante öffnet den grandiosen Panoramablick über die Weite der Rheinebene. (Foto: LOMA)
Welche Inspirationen liegt diesem Projekt zugrunde?

Landschaftsarchitektur, Geographie und Geschichte sind verschwisterte Disziplinen – wenn Sie miteinander reden ist es schön Ihnen zuzuhören: Das Hambacher Schloss liegt auf einem Vorberg aus der Bergkette des Haardtgebirges, im Westen breitet sich der Rand des Pfälzer Waldes aus, im Osten, etwa 200 m tiefer, öffnet sich die Weite der Oberrheinische Tiefebene. Die Burganlage hat ihre Wurzeln in der Römerzeit, ab dem 11. und bis ins 14. Jahrhundert entstanden die mittelalterlichen Schildmauern. Nach einer langen Phase im ruinösen Zustand – und das ist natürlich das singuläre Moment an dieser Bauaufgabe – wurde der Ort im Jahr 1832 durch das „Hambacher Fest“ spontan aufgewertet und zur „Wiege der deutschen Demokratie“. Begriffe wie Pressefreiheit ohne Zensur, öffentliches Versammlungsrecht, Gleichstellung von Mann und Frau und demokratische Grundrechte wurden im Zuge des Hambacher Festes erstmals in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert.

Die exponierte topographische Lage des Schlosses auf seiner Buntsandsteinformation im Biosphärenreservat und die Bedeutung des Areals als Baudenkmal und Geburtsort der deutschen Demokratie stellten eine große Herausforderung für die entwurflichen Setzungen dar.

Ein „Steinernes Parkett“ bindet die Natursteinoberflächen und Formen des groben anstehenden Fels, die raue mittelalterliche Schildmauer, das wuchtige Buckelquadermauerwerk des 19. Jahrhunderts und die Fassade des Restaurantneubaus zusammen. (Foto: LOMA)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die Burganlage stellt ja ein über die Jahrhunderte gewachsenes Gesamtkunstwerk aus Stein dar. Wichtiger Aspekt der Planungsmaßnahmen im gesamten Außenraum war daher der Umgang mit den vorgefundenen Zeitschichten und das „Lesbarmachen“ der historisch unterschiedlichen, steinernen Bauteile. Um diese Geschichte weiterzuschreiben, strebten wir eine Ausführung möglichst vieler Bauteile in Naturstein an und versuchten mit unseren neuen Setzungen den heterogenen Bestand zusammenzuführen. In einem „Atlas der Steinmaterialien, Oberflächen und „Körnungen“ wurde die räumliche Zuordnung des Natursteinmaterials von der unteren Eingangsebene bis zum obersten Platz definiert: Naturstein in Eleganz und Präzision auf der Ebene des Panoramaplatzes, Naturstein in seiner Rauheit und Ursprünglichkeit im mittleren Ruinenweg, sowie Naturstein in einfacher, gebrochener Körnung auf dem geschwungenem, historischen „Freiheitspfad“ durch den Schlosswald. Dort oben erwartet den Besucher heute die neue Panoramaterrasse, die den oberen Abschluss der Außenanlage bildet. In südlicher und westlicher Richtung eröffnet sich ein grandioser Panoramablick über die Weite der Rheinebene.

Der Ruinenweg spricht seine archaische Sprache in Form eines grob geflochtenen „Steinernen Teppichs“ und verbindet die Ruinenbauteile (Wachtürme, ehemalige Stallungen und Kelterhaus) entlang der äußeren Ringmauer.

Leitgedanke des Ruinenweges war, ein „bauliches Abbild“ des historischen Hambacher Festzuges von 1832 zu schaffen. Anhand der Analyse der historischen Pfade, der Bild- und Kartenanalyse in Archiven, sowie bodenarchäologischen Grabungen konnte dieser historische Bewegungsraum im Ensemble wieder geöffnet werden. So geht man heute, wie die Bürger im Jahr 1832, wieder in Serpentinen nach oben zum Schloss.

Drei sichelförmig ineinander verwobene Natursteinbänder bilden einen „Steinernen Teppich“ und leiten die Besucher nach oben. (Foto: LOMA)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Erst einmal war es die Vielzahl und der Wechsel von handelnden Akteuren, wie es bei einem solch langfristig angelegten Projekt vorkommt. Viele der Akteure wirken als „externe Kraft“ über die Jahre auf den begleitend fortzuschreibenden Entwurf und Bauprozess ein: eine Anforderung und Frage an uns war daher: wie hält man diese über die Zeit „beim Werk“.

Als kleines, prototypisches Beispiel des „Spartendenken vs. komplementären Denken“ war der Disput selbst innerhalb eng verschwisterten Disziplinen – Denkmalpflege versus Bodenarchäologie. Die Denkmalpflege in Deutschland hat meiner Erfahrung nach Probleme mit dem Verlust von allgemeinen fachlichen Standards innerhalb ihrer Disziplin. Werke wie die Charta von Venedig werden daher zunehmend Auslegungssache nach individuellem Geschmacksmuster, gleichzeitig ist die Denkmalpflege aber mit kaum limitierter Machtfülle ausgestattet, das heißt sie braucht sich im Diskurs eigentlich gar nicht mehr zu erklären. Dagegen muss man in den Bauprozess auch die Bodenarchäologie mit ihrem sehr präzisen, stark wissenschaftlich-rationalen Ansatz einbetten, diese haben für die romantisierenden Bilder ihrer Kollegen und deren Drängen nach «historisierender Neuschöpfung» in der Regel kein Verständnis. Wenn Sie nun diesem „kleinen Zank unter Schwestern“ andere Sparten wie Naturschutz, Stiftungsinteressen, Betreiberwünsche, Bauaufsicht, Politik und Feuerwehr etc. hinzufügen, spüren Sie adhoc, wie sehr externe Parameter den Entwurf beeinflussen können.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Bedingt durch den zeitlich sehr weiten Horizont – der international eingeladene Wettbewerb wurde im Jahr 2004/05 gestartet und das Projekt wird vermutlich ab 2017 erst abgeschlossen sein – verändern sich viele Parameter, die in der Vorentwurfsphase eines Wettbewerbs noch zwingend und unverrückbar festgeschrieben waren. Bereits in der ersten Tektur der Planungsphase nach dem Wettbewerb musste u.a. der Hochbau in seiner Kubatur verändert werden, das ganze Projekt wurde in immer weitere Teilbauabschnitte filetiert, was aufgrund der oft jährlich schwankenden Finanzierung beim Bauen im historischen Bestand nicht unüblich ist. Eine große Herausforderung war für uns die Überlappungsbereiche und Andockpunkte der zeitlich versetzten Teilbauabschnitte zu definieren und mitentwickeln zu lassen. Landschaftsarchitektonisch-urbanistische Planungen sind ja komplexe Gebilde, welche in „Raum und Zeit“ entstehen – das war den handelnden Akteuren oft schwer zu vermitteln.

Der Ruinenweg verbindet die Ruinenbauteile entlang der äußeren Ringmauer und setzt diese in Vergessenheit geratenen Relikte in Wert. (Foto: LOMA)
Platz am Fuß der Schlossanlage (Foto: LOMA)
Maschinell geschnittene Steinbearbeitung korrespondiert mit anstehendem Fels
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

In einem steinernen Gesamtkunstwerk wie das Hambacher Schloss ist es sicherlich der örtliche Sandstein in seinen vielfältigen Erscheinungsformen. Materialwahl und Entwurf arbeiten mit dem Leitbild der zeitgemäßen Natursteinverwendung im historischen Kontext. Im erwähnten „Steinatlas“ hat unser Büro das Material für seinen jeweiligen landschaftsarchitektonischen Kontext festgeschrieben. Stein in manuell behauener Form geht in Naturstein in gebrochener Form über, maschinell geschnittene Steinbearbeitung korrespondiert mit anstehendem Fels. Als Landschaftsarchitekt kann man mit Naturstein viel archaischer, ja mit stärkerer und  bildhauerisch wirksamer Materialmasse arbeiten. Im Hochbau wird Stein leider fast nur mehr als vorgeblendete Riemchen- oder schmale Plattenware verwendet. Auch haben wir im Gelände anstehenden, groben Felsbruch nicht entsorgen lassen, sondern gesichert und in der Steinmetzhütte für unseren Wegebau und Mauersanierungen aufbereiten lassen.

Lageplan (Zeichnung: LOMA)
Außenanlagen Hambacher Schloss
2015
erster Bauabschnitt (BA I) 2012
zweiter Bauabschnitt (BA II) 2015
dritter Bauabschnitt (BA III) 2017
Hambacher Schloss 1832
67433 Neustadt an der Weinstraße

Nutzung
Außenanlagen, Entrée in das Schlossareal mit seinen Plätzen, Terrassen, Wegeanlagen und Schlosspark

Auftragsart
landschaftsarchitektonische Gestaltung der Außenanlagen, Leistungsphase 2-9

Bauherrschaft
Stiftung Hambacher Schloss

Landschaftsarchitektur
LOMA architecture landscape urbanism, Kassel 
Petra Brunnhofer + Ilija Vukorep + Wolfgang Schück
Mitarbeit: Hanna Stiller, Sabrina Campe
 
Fachplaner
Baugrund: IBES Baugrundinstitut, Neustadt a. d. Weinstraße
Statik: Ingenieurbüro Schenck, Neustadt a. d. Weinstraße
Elektro: IFG Frankenthal
Lichtplanung: Urbane Lichtkonzepte, Barbara Benkert, Karlsruhe
Informationssysteme: schwarz-düser • düser museumsgestalter architekten, Karlsruhe
 
Bauleitung
Erster Bauabschnitt (BA I) bis 2012, Latz Riehl Partner - Kassel, ab BA II Planung und Ausführung in ARGE LOMA + LRP
 
Ausführende Firmen
BA I: Firma Clade Landschaftsbau, Neustadt a. d. Weinstraße
BA II: Firma Kempf Landschaftsbau, Saarbrücken
Natursteinarbeiten und Mauersanierung: Steinmetz Alex Kaufmann, Neu Isenburg
Natursteinarbeiten: Der Steinsetzer, Möckmühl
 
Hersteller
Bamberger Natursteinwerk, Leistädter Sandstein, Rheinland-Pfalz
 
Gesamtfläche
16.000 m² Kernburg innerhalb der äußeren Ringmauer und 6,5 ha Schlosswald, im Besitz der Stiftung
 
Gesamtkosten
4.100.000 € für Außenanlagen BA I und BA II
 
Auszeichnungen
Deutscher Natursteinpreis 2013 (Kat.b)
Europäisches Kultererbe-Siegel
WAN award shortlisted
 
Fotos
LOMA architecture .  landscape .  urbanism