Holz, Schatten und Licht – Lernen im Plusenergiehaus

Dietrich | Untertrifaller
21. de juny 2024
Der Ausdruck des neuen Collège verweist auf die historischen Häuser der Festungsstadt Bretenoux: Steinsockel, Fachwerk und dunkle Dächer sind neu interpretiert als Betonsockel, Holzkonstruktion und dunkles Dachband. (Foto: Aldo Amoretti)
Herr Untertrifaller, welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Der Südwesten Frankreichs ist unter anderem geprägt von sogenannten »Bastiden«, im Mittelalter gegründeten, befestigten Städten. Bretenoux ist eine solche Bastide. Das orthogonale Raster des alten Stadtzentrums mit seinem von Arkaden umgebenen Hauptplatz, wie er für Bastiden typisch ist, inspirierten uns zur räumlichen Komposition der neuen Schule um zwei Höfe herum. Und auch der Ausdruck des Ensembles knüpft an die historische Bauweise an, die sich durch ihr Fachwerk, ihren Steinsockel und dunkle Dächer charakterisiert.

Die räumliche Komposition wurde vom orthogonalen Raster des alten Stadtzentrums mit seinen Plätzen und Gassen inspiriert. (Foto: Aldo Amoretti)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Wie gesagt: Die Stadt Bretenoux selbst hat mit ihrem Städtebau und ihrer Architektur das Projekt sowohl in seiner Form als auch in seiner Anmutung stark beeinflusst. Die Typologie der Bastide ist aber auch auf die der Schule als französische Bildungseinrichtung übertragbar: Sie stellt aufgrund von Sicherheitsanforderungen eine Art Bastion gegen äußere Einflüsse dar, ist aber trotz ihrer Geschlossenheit reich an Innenleben.

Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Speziell wurde das Projekt weniger durch die Bauaufgabe an sich – ein »klassisches« Collège mit Mensa, Mediathek und Wohnungen für einen Teil Mitarbeitenden – als vielmehr durch den Standort: eine Straßenkreuzung am Rande des Städtchens in einer Nachbarschaft geprägt vom unterschiedlichen Maßstab großer Gewerbebauten und kleiner Wohnhäuser.

Die Schule, ein großer Baukörper mit geringer Höhe, reagiert in ihrer Maßstäblichkeit auf dieses heterogene Umfeld: auf das angrenzende Gewerbegebiet einerseits und auf die Einfamilienhäuser mit geringer Bauhöhe und ohne ersichtliche Struktur andererseits.

Die gemeinschaftlich genutzten Räume der Aula, der Mediathek und der Mensa sind um den überdachten Innenhof herum angeordnet, der als »Marktplatz« fungiert. (Foto: Aldo Amoretti)
In allen Räumen wurde das natürliche Licht optimiert, um den Energieverbrauch zu senken. Der Pausenhof wird durch die in die Sheds integrierten Verglasungen erhellt. Die Fotovoltaikanlage auf den Dächern hat eine Gesamtfläche von 1200 Quadratmetern und ist die leistungsstärkste im Département. (Foto: Aldo Amoretti)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Unsere Auftraggebenden, die Vertreterinnen und Vertreter des Départements Lot, sind mit großen Ambitionen an den Start gegangen. Sie haben unseren Wettbewerbsbeitrag – übrigens das einzige eingeschossige Projekt – ausgewählt und seine Umsetzung mit regem Interesse begleitet. Sie nahmen keine großen Änderungen vor und ließen sich nie in ihrem Elan bremsen. Besonders wichtig waren ihnen die energetischen Anforderungen und eine nachhaltige Materialwahl.

Alle Klassenzimmer haben eine doppelte Ausrichtung. Die Trennwände wurden aus Lehmsteinen mit Lehmputz errichtet, um den akustischen und hygrothermischen Komfort zu verbessern. (Foto: Aldo Amoretti)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Der Neubau zeigt anschaulich unsere Herangehensweise an die Architektur: Er geht intensiv auf die Gegebenheiten des Ortes ein, stellt einen starken Bezug zu ihm her. Auf diese Weise werden Ort und Bauwerk unverwechselbar und wirken zusammen. Das Collège ist eine »typische Dietrich | Untertrifaller-Lösung«, weil es versucht, zwischen Programm und Ort einen Bezug herzustellen. Außerdem haben wir viel Wert auf die Ressourcen- und Energieeffizienz gelegt, denn umweltfreundlich zu bauen, ist uns sehr wichtig.

Die Volksschule Unterdorf in der Vorarlberger Gemeinde Höchst (2017) könnte zum Vergleich herangezogen werden – oder aber, um in Frankreich zu bleiben, die Wohnanlage »Wood’Art« im Ökoquartier La Cartoucherie in Toulouse. Wenngleich wir dort für ein völlig anderes Programm geplant haben (Wohnen, Hotel und Einzelhandel), so weist dieses Projekt, das sich gleichfalls in der Region Okzitanien befindet, doch Gemeinsamkeiten mit dem Collège d’Orlinde auf, und zwar hinsichtlich seiner Antwort auf die städtebauliche Situation am Bauplatz und die Stadt Toulouse als Ganzes sowie mit Blick auf seine energetischen Ansprüche.

Der introvertierte Charakter der Schule ist eine Reaktion auf die in Frankreich geltenden Sicherheitsanforderungen; dank der großzügig verglasten Wände zum Innenhof und zum Patio dringt dennoch viel natürliches Licht ins Innere. (Foto: Aldo Amoretti)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Ehrlich gesagt beschäftigen wir uns schon seit sehr langer Zeit mit Themen, die aktuell ins Zentrum des Architekturdiskurses gerückt sind. So zum Beispiel mit dem längst fälligen Sparen von Energie und Ressourcen, aber auch mit dem Einsatz nachhaltiger Materialien wie Holz und Lehm.

Erwähnenswert scheint mir an dieser Stelle die Bedeutung der Fotovoltaikanlage, übrigens die derzeit größte im Département: Das Dach erhielt eine starke Aufkantung, damit sie optimal untergebracht werden konnte. Außerdem haben wir durch die räumliche Fassung ein durchgehendes Geländer vermieden, das ansonsten bei Flachdächern in Frankreich vorgeschrieben ist.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Ganz klar die eben genannten Materialien Holz und Lehm, die aus der Region stammen.

Axonometrie (© Dietrich | Untertrifaller)
Lageplan (© Dietrich | Untertrifaller)
Grundriss Erdgeschoss (© Dietrich | Untertrifaller)
Schnitt (© Dietrich | Untertrifaller)
Bauwerk
Collège d’Orlinde in Bretenoux
 
Standort
83 avenue du collège, 46130 Bretenoux
 
Nutzung
Schule und Wohnen
 
Auftragsart
Generalplanerauftrag nach Wettbewerb
 
Bauherrschaft
Département du Lot
 
Architektur
Dietrich | Untertrifaller, Paris
Jörg Fend, Clément Josse (Projektleiter), Christoph Teuschl und Much Untertrifaller
phBa architectes, Figeac (lokales Partnerbüro)
Caroline Lafon, Christelle Thouron und Guillaume Barrouillet 
 
Fachplaner
Tragwerksplanung: Terrell, Toulouse
Landschaftsarchitektur: Atelier Saltus, Saint-Junien
Innenarchitektur: Dietrich | Untertrifaller, Paris
Heizungs- und Sanitärplanung: Soconer, Toulouse
Akustikplanung: Gamba, Toulouse
Elektroplanung: Itud, Fronton
Kostenplanung: Maitrys, Limoges
Küchenplanung: B.E.C.P., Panazol
Leitsystem: Katharina Untertrifaller, Bregenz
 
Bauleitung 
phBa architectres mit Dietrich | Untertrifaller
 
Fertigstellung
2023
 
Baukosten
11.6 Mio. Euro
 
Gebäudevolumen
23'838 m3 
 
Bruttogeschossfläche
5126 m2  
 
Kubikmeterpreis
487 Euro/m3
 
Energiestandard 
Plusenergiehaus
 
Kunst am Bau
Christelle Familiari: »S’habiller du lieu – habiller le lieu« (Sich mit dem Ort kleiden – den Ort kleiden)
 
Maßgeblich beteiligte Unternehmer 
Erdarbeiten und Grünflächen: Marcouly
Rohbau: Lagarrigue
Holzbau und Holzverkleidung: Jauzac
Dach, Abdichtung und Aluminiumverkleidung: EMP
Schlosserarbeiten: C2M
Elektrizität: Allez
Fotovoltaik: Ferme de Figeac
Heizung, Lüftung und Sanitär: GCM
Isothermische Paneele: CP Install
Küchenausstattung: Equip Froid
 
Auszeichnung 
Austrian Green Planet Building® 2024
Nominiert für das Archdaily Building of the year 2024
 
Fotos
Aldo Amoretti, Sanremo

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