In allen Facetten

Elias Baumgarten
24. de gener 2020
Foto: Elias Baumgarten

Für Hermann Czech (*1936) sei Architektur ein Medium, um über die Geschichte Wiens zu sprechen, schreibt Liane Lefaivre, Professorin für Architekturgeschichte und -theorie an der Universität für angewandte Kunst Wien, im Vorwort zu »Hermann Czech« (2018). Seine Bauwerke, fährt sie fort, würden die Atmosphäre von versunkenen Welten vermitteln, so zum Beispiel das bekannte »Kleine Café«. Dieser Aspekt wirke in den Gestaltungen jüngerer Wiener Architekt*innen nach. Dem spürt Eva Kuß mit ihrer Monografie nach. Und mehr noch: Sie untersucht eingehend, wie sich kulturhistorische und soziokulturelle Entwicklungen auf Czechs Denken, Schreiben und Entwerfen auswirken. Eine ziemlich knifflige Mission, ist Czech doch für seine zurückhaltende Art, die manche wohl auch »sperrig« nennen würden, bekannt und verliert äußerst ungern viele Worte, geht es um sein Werk. Doch Kuß ist es gelungen, ihn zum Reden zu bringen.

Ihr Buch gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste setzt sich mit der Wiener Moderne und der Neuen Sachlichkeit auseinander. Außerdem liefert er viele Hintergründe zu Czechs Kindheit, Jugend und Studienzeit. Schließlich diskutiert die Philosophin Elisabeth Nemeth das Verhältnis von Philosophie und Architektur in Czechs Werk. Beim Lesen des ersten Abschnitts erfährt man, dass Czech volle 17 Jahre studierte. Und man lernt, dass er sich für den Wiener Kreis und Konrad Wachsmann interessierte, während ihn Hans Hollein (1934–2014), Walter Pichler (1936–2012) oder auch Wolf D. Prix (*1942) allesamt wenig begeisterten. Kuß basiert ihre Arbeit auf Interviews mit dem Architekten, wobei sie aus seinen Aussagen eigene Schlüsse zieht. Damit dies bei der Lektüre unmittelbar verständlich wird, wurden zwei Schriften verwendet: Abschnitte, die direkt aus Interviews entstanden sind und Czechs Meinung transportieren, sind im Unterschied zum restlichen Text in »Bodoni« gesetzt, einer klassizistischen Schrift, die 1790 vom italienischen Typografen Giambattista Bodoni (1740–1813) gezeichnet wurde; Czech verwendet sie besonders gerne und hat sie zum Beispiel bei der Textsammlung »Zur Abwechslung« eingesetzt. Diese Idee ist keineswegs neu, doch unkonventionell und sie funktioniert sehr gut – obgleich manche Kritiker sie für über Gebühr verspielt und einen dem Zeitgeist entsprechenden Gag halten. Etwas befremdlich allerdings und wohl inkonsequent ist, dass dabei auch in den »Bodoni«-Passagen von Czech in der dritten Person die Rede ist. Wirklich stört aber, dass teils auf Bildlegenden verzichtet wurde. Gerade im Projektteil, wo manche Pläne und Fotos gar nicht angeschrieben sind, ist das unangenehm.

Foto: Elias Baumgarten

Die vertiefte Untersuchung macht Kuß’ schön gestaltetes Buch überaus aufschlussreich und interessant. Auch vermitteln die 30 Projekte – vom Restaurant »Ballhaus« (1961) bis zur Josef Frank-Ausstellung »Against Design« (2015) –, die im zweiten Teil des Buches gezeigt werden, einen guten Eindruck von der Entwicklung Czechs. Zum Lesevergnügen aber wird die Monografie, weil die Autorin keinen Versuch unternimmt, eine »richtige« Erzählung zu konstruieren. Widersprüche zwischen Czech und ihr treten offen zutage. Mal stimmen beide überein, dann wieder überhaupt nicht. Und manchmal greifen Czechs Aussagen und Küß wissenschaftliche Perspektive auch ineinander. Großartig! Einzigartig, wie ausgeprägt Autorin und Architekt voneinander getrennt bleiben. Küß gelingt es überzeugend, Czech nicht nur als Architekten, sondern auch als Person darzustellen.

Hermann Czech. Architekt in Wien

Hermann Czech. Architekt in Wien
Eva Kuß

200 x 235 Millimeter
456 Pàgines
ISBN 9783038600015
Park Books
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