Öffentlicher Raum im Fokus

Susanna Koeberle
16. de gener 2020
Blick in die Publikation »Pompei, Pompeii« von Bianca Pedrina, die bei Mark Pezinger Books erschienen ist. (Foto © Mark Pezinger Books)

Ruinen üben eine besondere Faszination aus. Sie sind gleichsam Zeitzeugen aus Epochen, zu denen wir keinerlei Beziehung haben. Gerade deswegen erzeugen sie ein eigenes Narrativ, das häufig durch Fantasien geprägt ist. Der Mensch neigt dazu, das Fragmentarische zu ergänzen (das führt auch der Beitrag von Michiel Huijben im Buch sehr schön vor). Ruinen sind menschengemachte Konstrukte – und so gesehen Fiktionen. Weil der »funktionale oder repräsentative Sinn intakter Bauwerke aus diesen ausgezogen ist, werden Ruinen zu freien Schauplätzen neuer signifikatorischer Akte«, schreibt auch der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme in seinem Aufsatz »Die Ästhetik der Ruinen«. Bianca Pedrina befasst sich in ihrer künstlerischen Arbeit seit längerem mit der Bedeutung der gebauten Umgebung. Als sie 2017 erstmals die Ruinen von Pompei besuchte, stachen ihr gleich die damals noch glänzenden Metallobjekte am Boden ins Auge, die zwischen den alten Steinen eingelassen waren. Diese waren kurz davor im Rahmen des Projekts »Pompei per Tutti« (Pompei für alle) installiert worden. Ziel der aufwendigen und kostspieligen Arbeiten, an denen Spezialist*innen aus unterschiedlichen Disziplinen beteiligt waren, war die optimierte Zugänglichkeit (unter anderem für Rollstuhlbenutzer*innen) der archäologischen Stätte. Diese zählt zu den touristischen Attraktionen in der Gegend. Finanziert wurde dieses Inklusionsprojekt auch durch EU-Gelder. 

Die Metallgitter werden ausgehend von einer Standardform vor Ort an die alten Steine angepasst. (Foto © Mark Pezinger Books)

Pedrina erkannte in den Metallobjekten ein Netz an Geschichten, welche von der Rolle der antiken Stadt bis zur heutigen Bedeutung des Ortes reicht. Das antike Pompeii (oder Pompeji, so die alten Schreibweisen der römischen Stadt), das im Jahre 79 nach Christus nach dem Ausbruch des Vesuvs durch eine meterdicke Schicht Vulkanasche begraben worden war, war dabei ebenso Gegenstand ihrer Recherche. So untersuchte sie etwa den Umgang mit Randgruppen im alten Rom und fand dabei heraus, dass es auf Lateinisch keinen Obergriff gibt für eine körperliche Behinderung. Im 21. Jahrhundert findet eine Verlagerung statt, die sich auch sprachlich abzeichnet. Während das Vorhaben der Inklusion an sich lobenswert ist, sind solche Projekte allerdings häufig auch Feigenblätter für undurchsichtige Machenschaften im Bauwesen. Der Künstlerin ging es bei ihrer Arbeit um das Sichtbarmachen der komplexen Bezüge, die sich in den verschiedenförmigen Gittern verdichteten. In einem städtischen Bauteil widerspiegelt sich Politik, Geschichte, Semiotik oder Städtebau. 

Cover der Publikation (Foto © Mark Pezinger Books)

Durch das fotografische Festhalten der Metallobjekte schafft Pedrina eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wofür auch der Doppelname im Titel der Publikation steht. Während die alten Steine über die Art und Weise des städtischen Gewebes im antiken Pompeii Auskunft geben, sind auch die neuen Metallobjekte bereits jetzt Zeichen für eine bestimmte Epoche. Die Gitter werden zu Trägern von Informationen, die über das einzelne Objekt hinausweisen. Indem Pedrina daraus eine eigene Bildserie schafft, macht sie auch unseren heutigen Umgang mit der Stadt und ihrer Benutzung lesbar. Wie verändert dieser Eingriff den Zugang zur historischen Stätte? Bedeutet er eine Ermächtigung der Bevölkerung? Oder ist er als staatliche Intervention schon wieder als Bevormundung zu verstehen? Die Künstlerin wertet nicht, sie beobachtet. Und stellt damit die Frage nach dem Bezug jedes Individuums zum städtischen Raum.

Die Gitter bilden Brücken zwischen den erhöhten Steinen. Sie werden durch Füße gestützt. (Foto © Mark Pezinger Books)
Pompei, Pompeii

Pompei, Pompeii
Bianca Pedrina
Text von Michiel Huijben

165 x 235 Millimeter
112 Pàgines
Paperback
Mark Pezinger Books
Purchase this book

Altres articles d'aquesta categoria