Fruchtbare Zusammenarbeit

Elias Baumgarten | 11. d’abril 2025
Allen + Crippa, Gässli 5, Grabs, 2022–2024. Modell im Maßstab 1:33 des versetzten Hauses mit Anbau aus Stampflehm (Foto: © Allen + Crippa)

Vieles, was vor fünfzig Jahren diskutiert wurde, erscheint heute verblüffend aktuell: In den 1970er-Jahren nahm die Umweltbewegung Fahrt auf. Zum ersten Mal wurden die rücksichtslosen Abrisse und großen Neubauprojekte der Jahre des Wirtschaftsbooms nach dem Zweiten Weltkrieg infrage gestellt. 1975 rief der Europarat das Europäische Denkmalschutzjahr aus: Überall in Europa wurden Kampagnen gestartet und Aktivitäten veranstaltet, um die Öffentlichkeit für den Wert des baukulturellen Erbes zu sensibilisieren. Auch in der Architekturszene fand die Denkmaldebatte Widerhall: Vordenker wie Aldo Rossi wendeten sich der Geschichte der europäischen Metropolen zu. Doch zu einem Schulterschluss zwischen Denkmalpflege und Architektenschaft kam es noch nicht. Zwar interessierten sich Architektinnen und Architekten vermehrt für den Bestand – allerdings eher als Inspirationsquelle und Vorbild für eigene Bauten denn mit dem Ziel, ihn zu bewahren. Statt zusammenzuspannen, misstrauten sich Vertreterinnen und Vertreter beider Disziplinen: Sie unterstellten einander mangelnde Wertschätzung für das baukulturelle Erbe beziehungsweise eine konservative Gesinnung und eine unkonstruktive Blockadehaltung. Dabei war es schon der frühen Denkmalschutzbewegung keineswegs nur um das Verhindern von Bauvorhaben und den Schutz von geschichtsträchtigen Einzelgebäuden gegangen. Vielmehr war von Anfang an die ganzheitliche Betrachtung von Bauensembles und Kulturlandschaften diskutiert worden. Früh hatte der bekannte Schweizer Soziologe und Architekturkritiker Lucius Burckhardt über die gesellschaftliche Wichtigkeit von Bestandsbauten und den sozialen Wert ihres Erhalts geschrieben.

Erst mit der wachsenden Bedeutung des Um- und Weiterbauens in Zeiten der Klimakrise nähern sich Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger, Architektinnen und Architekten jetzt an. Ein guter Grund für das Team des Schweizerischen Architekturmuseums (S AM), die Arbeit der Denkmalpflege vorzustellen. Die von Yuma Shinohara kuratierte Ausstellung »Was War Werden Könnte: Experimente zwischen Denkmalpflege und Architektur« zeigt, was die Architektenschaft von Denkmalpflegerinnen und Denkmalpflegern lernen kann.

Meili, Peter & Partner, Energetische Sanierung der Wohnsiedlung Telli B und C, Aarau, 2016–2023 (Foto: © Karin Gauch, Fabien Schwartz)
Barão-Hutter Atelier, Umbau Alte Reithalle, Aarau, 2021 (Foto: © Luca Zanier)
Geteiltes Wissen

Ein Besuch lohnt sich. Studierende von Silke Langenbergs Lehrstuhl für Konstruktionserbe und Denkmalpflege an der ETH Zürich haben die Schau großartig gestaltet. Sie beginnt mit einer historischen Einführung: Die Museumsbesucher lernen die wichtigen Wendepunkte in der Geschichte der Denkmalpflege zwischen 1975 und 2025 kennen. Sie erfahren, dass das Europäische Denkmalschutzjahr kein isoliertes Ereignis war, sondern einen politischen Prozess in Gang brachte und wegweisende Bauprojekte vorspurte. In der Schweiz wurde das Inventar ISOS eingeführt, in dem schützenswerte Ortsbilder verzeichnet sind, und in den 1960er-Jahren entworfene Großprojekte wie das sogenannte Ypsilon, ein Autobahndreieck mitten in der Zürcher Innenstadt, wurden nicht mehr fertiggebaut.

Und doch versiegte der Diskurs um den Umgang mit Baudenkmälern in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Wo stehen wir also heute? Im zweiten Ausstellungsraum werden mit Plänen, Modellen sowie originalen Baumaterialien und Möbeln Umbauten und Sanierungsprojekte vorgestellt, bei denen Wissen und Ansätze aus der Denkmalpflege eingeflossen sind. Ausgewählt wurden die Arbeiten von Studierenden aus den ETH-Lehrgängen MAS Denkmalpflege und Konstruktionsgeschichte, CAS Preservation und MSc Architektur, die auch die eindrücklichen Exponate ausgesucht haben. 

Ein dritter Museumsraum ist ganz dem Kongresshaus und der Tonhalle in Zürich gewidmet. Warum der Gebäudekomplex diese besondere Bühne erhält, erklärt sich aus seiner Baugeschichte. Die Anlage wurde viele Male saniert, umgebaut und ergänzt: 1939 hatten Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser und Rudolf Steiger das Kongresshaus anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung gebaut – als Erweiterung des historistischen Musikhauses Trocadéro der Wiener Architekten Fellner und Helmer. Anfang des neuen Jahrtausends stand ein Ersatzneubau im Raum. Doch die Bevölkerung schickte das Projekt an der Wahlurne bachab. Daraufhin verhalf die ARGE Boesch Diener dem Komplex zu neuem Glanz: Das Architektenteam restaurierte den Bestand und entfernte Anbauten aus den 1980er-Jahren. Kongresshaus und Tonhalle zeigen also beispielhaft, wie sich der Umgang mit Bestehendem gewandelt hat. Den Abschluss der Ausstellung bildet ein Diskussionsforum mit einer Bar, die vom Architektenkollektiv squadra entworfen wurde. Hier finden die vielen Begleitveranstaltungen statt, die für die Schau konzipiert wurden.

David Vaner Architektur, Fassadensanierung am Bau der Basler Kantonalbank, Basel, 2021–2022. Fassade nach der Sanierung (Foto: © Martin Zeller)
Der Umwelt zuliebe Alltägliches bewahren

Besonders gefällt an der Ausstellung, dass längst nicht nur Schutzobjekte gezeigt werden. In Zukunft geht es nicht nur um die Sanierung und den Umbau wertvoller Baudenkmäler und hochästhetischer Architekturen. Vielmehr kommt es gerade auch darauf an, alltäglichere und vielleicht aus heutiger Sicht weniger gelungene Bauwerke umzunutzen und weiterzubauen. Das S AM-Team sendet diese wichtige Botschaft nicht zum ersten Mal aus: Schon in der Ausstellung »Make Do With Now« zur neuen japanischen Architektur waren Umbauprojekte zu sehen, die gewöhnliche Häuser ohne herausragende architektonische Qualität mit einfachen Eingriffen weiternutzen. Bei solchen Vorhaben können Ansätze, Methoden und das Wissen der Denkmalpflege für Architektinnen und Architekten hilfreich sein. So ersetzte David Vaner bei der energetischen Sanierung eines Bürobaus der Basler Kantonalbank nicht etwa die alte Fassade durch eine neue Hülle. Stattdessen demontierte der Architekt die Aluminium-Bauteile, reinigte und reparierte sie in Handarbeit, fügte neuen Dämmstoff hinzu und schraubte sie wieder ans Haus – ganz wie man es bei einem Denkmalobjekt tun würde. Eine Herangehensweise, die Schule machen sollte.

 

Die Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum (Steinenberg 7, 4051 Basel) ist bis zum 14. September dieses Jahres geöffnet. Mehr Informationen

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