Qualität und Gemeinschaft

GERNER GERNER PLUS.
31. Mai 2024
Der Neubau hat keine Vorder- und Rückseite: Er öffnet sich sowohl zur Schönbrunner Straße als auch zur Rechten Wienzeile. (Foto: Matthias Raiger)
Frau Vratarič, Herr Gerner, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Urška Vratarič: Die Komplexität des Bauplatzes, bedingt durch die Lärmbelastung durch die U-Bahn-Trasse auf der einen Seite und die stark befahrene Schönbrunner Straße auf der anderen, machte das Projekt zu einer Herausforderung. Das neue Gebäude ist sowohl von der Schönbrunner Straße durch den Haupteingang als auch von der Rechten Wienzeile aus zu begehen – es hat also keine primäre Schauseite. Beide Seiten sind stark belebt, es galt also Wohnungen zu schaffen, die einerseits offen, hell und mit Balkonen und Loggien ausgestattet sind, gleichzeitig aber auch ruhig und abgeschirmt. 

Die Wohnungen sind an beiden Straßenfassaden mit Balkonen und Loggien ausgestattet. (Foto: Matthias Raiger)
Die Herausforderung bestand darin, offene, helle Wohnräume zu gestalten, die gleichzeitig ausreichend gegen die laute Umgebung abgeschirmt sind. (Foto: Matthias Raiger)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Andreas Gerner: An innerstädtischen Lagen in Wien bauen zu dürfen, ist etwas Besonderes und eine große Auszeichnung. Die spezielle Position zwischen einer verkehrstechnischen Hauptschlagader, dem Wienfluss und der U-Bahn erforderte viel Feingefühl für ein elegantes und modernes Wohnhaus, das in die Zukunft blickt. Zur Farbgebung und Materialwahl haben uns die stilvollen Wiener Stadtpalais inspiriert. Zudem war es uns wichtig, zeitgemäße, hochwertige Bauprodukte nachhaltig einzusetzen.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Andreas Gerner: Dem Auftraggeber waren besonders die Qualität und die Beständigkeit der verwendeten Materialien ein großes Anliegen. Es wurden hier keine Einsparungen getroffen, die Wohnungen sind qualitätsvoll ausgestattet, von hochwertigen Geräten bis hin zu ausgesuchter Keramik und Einbauten erster Wahl.

Urška Vratarič: Auch der Gedanke des sozialen Wohlbefindens prägte unsere planerischen Entscheidungen. So wurde auf den Dachausbau als Penthouse verzichtet und stattdessen eine belebte Dachterrasse für alle Bewohnenden geschaffen: Eine vielfältige Sitz- und Liegelandschaft sowie Hochbeete zur Miete stehen zur Verfügung und machen das Dach zu einem sozialen Treffpunkt. Im Erdgeschoss finden sich außerdem ein Jugend- und Gemeinschaftsraum, ein Fahrradraum mit extra Fahrrad-Mietboxen und eine Waschküche. 

Im Erdgeschoss sind verschiedene Gemeinschaftsräume untergebracht. Dank großer Fenster kann man quer durch das neue Stadthaus blicken. (Foto: Matthias Raiger)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Urška Vratarič: Wir hatten nicht die Möglichkeit, Geothermie zu nutzen. Aber wir konnten ein ähnlich klimaschonendes Heiz- und Kühlsystem entwickeln, das mit Luftwärmepumpen auf dem Dach des Gebäudes arbeitet. Dabei ist es uns gelungen, die technischen Geräten so weit zu reduzieren, dass genug Platz für die angesprochene großzügige Dachterrasse für alle Bewohner*innen bleibt. Wir haben diese komplett in Holz geplant und ausgeführt.

Balkone und Loggien bilden eine Art Filterschicht zwischen dem lebendigen Stadtraum und den ruhigen Wohnungen. (Foto: Matthias Raiger)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Andreas Gerner: Das Wohnhaus in der Schönbrunner Straße entspricht ganz dem Stil unseres Büros. Damit meine ich nicht nur seine elegante äußere Erscheinung mit der durch Balkone und Balustraden gegliederten Fassade, sondern auch den Entwicklungsprozess dahinter. Unseren Entwürfen geht immer eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort voraus. Außerdem entstehen sie stets in einem fruchtbaren Dialog mit der Bauherrschaft. Unser Ziel ist es, die Themen ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit in den Fokus unserer Arbeit zu rücken.

Alle Wohnungen werden von hochwertigen Materialien geprägt. (Foto: Matthias Raiger)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Urška Vratarič: Wie in vielen europäischen Großstädten wird auch in Wien überwiegend mit Gas geheizt: Beinahe jedes Wohngebäude verfügt noch immer über eine Gasheizung; später kam Fernwärme hinzu. Bei unserem Haus in der Schönbrunner Straße verzichten wir gänzlich auf Gas. 

Sowohl die stark befahrene Schönbrunner Straße als auch die Rechte Wienzeile sowie die nahe U-Bahn hatten direkten Einfluss auf die Gestaltung und die Positionierung der Balkone: Auf der einen Seite schirmen sie die Wohnungen gegen den Lärm ab, auf der anderen öffnen sie sich zum Licht. Die Betonelemente der Brüstungen sind zugleich Pflanztröge. Auf der Nordseite, also zum Wiental hin, sind die auskragenden Balkone so versetzt angeordnet, dass auch dort ausreichend Licht ins Gebäudeinnere dringt.

An der Nordfassade sind die Balkone versetzt angeordnet. (Foto: Matthias Raiger)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Andreas Gerner: Drei Werkstoffe bestimmen das Haus: Weißer Beton und große Glasflächen lassen es leuchten, hochwertiges Holz im Innen- wie im Außenraum erdet es. Teil unseres Konzepts ist, dass Innen- und Außenraum ineinandergreifen – eben auch durch die Verwendung aller Materialien und Farben in beiden Bereichen. 

Lageplan (© GERNER GERNER PLUS.)
Grundriss Erdgeschoss (© GERNER GERNER PLUS.)
Grundriss Regelgeschoss (© GERNER GERNER PLUS.)
Grundriss Dachgeschoss (© GERNER GERNER PLUS.)
Grundriss Dachterrasse (© GERNER GERNER PLUS.)
Längsschnitt (© GERNER GERNER PLUS.)
Querschnitt (© GERNER GERNER PLUS.)
Bauwerks
Wohnbau Schönbrunner Straße 
 
Standort
Schönbrunner Straße 102, 1050 Wien
 
Nutzung
Wohnbau mit Gewerbe im EG
 
Auftragsart
Generalplanung
 
Bauherrschaft
Projekt 60 GmbH (Walter Immobilien), Wiener Neudorf
 
Architektur
GERNER GERNER PLUS. architekten gerner und partner zt gmbh, Wien
Projektverantwortlich: Andreas Gerner
Team: Urška Vratarič (Projektleitung), Kerem Karatoprak, Julian Lichtmannegger, Diana Michiu, Kübra Semiz, Marie Kuch, Joachim Aurel (Renderings) und Matthias Nemestothy (Modellbau)
 
Fachplaner
Statik: Dorr-Schober-Partner ZT Gmbh, Wien
Branschutz: B-Lab, Wien
Landschaftsarchitektur: korbwurf landschaftsarchitektur, Wien
 
Bauleitung 
ImmoPuls Baumanagement Gmbh, Korneuburg
 
Fertigstellung
2023
 
Auszeichnung
BIG SEE Award
 
Fotos
© GERNER GERNER PLUS., Matthias Raiger

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