Vorhandenes weitergebaut: Ein Stall wird zum modernen Arbeitsplatz

Georg Bechter Architektur + Design
11. Februar 2022
Foto: Adolf Bereuter
Herr Bechter, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Landwirtschaftliche Gebäude stellen mit ihren immer größer werdenden Kubaturen neue Herausforderungen an die Raumplanung und an ihre Nachnutzung. Im Bregenzerwald, wo ich aufgewachsen bin, prägen Ställe und Scheunen die Kulturlandschaft, sie sind identitätsstiftend für unsere Region. Doch viele werden nicht mehr für die Landwirtschaft benötigt. Für sie muss eine neue Nutzung gefunden werden. Das galt auch für den Stall des Hofes meiner Familie in Hittisau. Einst war er eines der ersten großen Wirtschaftsgebäude im Bregenzerwald, aber nach der Betriebsauflösung mussten wir eine Nachnutzung finden.

Ich arbeite heute als Architekt und Designer. In der Umnutzung des ehemaligen Stalls habe ich die Chance gesehen, die Geschichte dieses Orts, an dem seit Generationen gewirtschaftet wurde, weiterzuschreiben. Ich wollte aufzuzeigen, wie das vorhandene Potenzial genutzt werden kann und dass dabei spannende Räume entstehen können. Also habe ich die Anlage zum Sitz meines Architekturbüros (Georg Bechter Architektur + Design) und meiner Leuchtenfirma (Georg Bechter Licht) umgebaut.

Foto: Adolf Bereuter
Foto: Adolf Bereuter
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Vorhandene Bauten zu erhalten und an ihnen weiterzubauen, ist ein großer Beitrag zur Nachhaltigkeit. Architektonisch gesehen bietet sich außerdem viel Potenzial für unverwechselbare Räume. Neben den Einschränkungen, die das Bauen im Bestand mit sich bringt, eröffnet Bestehendes oft ungeahnte Möglichkeiten, die es mit Erfindergeist und viel Mut zum Neuen auszuloten gilt. 

 

Foto: Adolf Bereuter
Foto: Adolf Bereuter
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Die an diesem Ort seit Jahrzehnten gelebte Naturverbundenheit spiegelt sich in den Materialien wieder, die wir für den Umbau gewählt haben, sowie auch in der Entwicklung der Räume und ihrer Nachnutzung. So wurden die vorgefundenen Strukturen sorgfältig berücksichtigt, und wir haben in Bedachtnahme dieser weitergebaut.

Manche würden den Bestand wohl als Einschränkung verstanden haben. Doch mein Team und ich haben mit einer sensiblen Gestaltung erlebbare und gut nutzbare Räume entwickelt. Unser Entwurf verbindet die vorgefundenen Rahmenbedingungen mit neuen Qualitäten.

 

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Meine Bedürfnisse als Nutzer haben den Entwurf sicherlich stark geprägt. Die Raumstruktur bildet den Fertigungsprozess unserer Leuchten ab, ermöglicht kurze Wege und lässt Blickbeziehungen in die einzelnen Arbeitsbereiche zu. Im ehemaligen Heulager befinden sich unsere Büroräumlichkeiten in einem weiterhin großen, offenen Raum, der durch eine Galerie in unterschiedliche Ebenen gestaffelt ist und von einem zentralen Kern gegliedert wird. 

 

Foto: Adolf Bereuter
Foto: Adolf Bereuter
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Die Materialwahl ist reduziert und naturverbunden. Da die Scheune in den letzten Jahrzehnten als Lager für Heu und Stroh genutzt wurde, war für mich naheliegend, das Gebäude auch mit diesem Material zu dämmen. Also wurde das bestehende Riegelwerk mit rund 650 Strohballen ausgefacht und mit einem Lehmputz verputzt, der aus eigenem Aushubmaterial hergestellt wurde. Auch der Fußboden ist nichts weiter als gestampfte Erde. Er wurde so lange geschliffen und verfeinert, bis schließlich ein »Lehmterrazzo« entstanden ist. Und die Decke im Büro wurde mit 9 Millimeter heimischer Schafwolle beplankt. Das sorgt für eine angenehme Akustik.

Mit Stroh, Schafwolle, Lehm und dem Holz aus der Region ist der größte Teil der Baumaterialien ohne weitere Aufbereitung in den natürlichen Kreislauf rückführbar. Ich möchte nicht, dass dies als etwas Besonderes verstanden wird. Für mich ist die Materialwahl vielmehr Ausdruck meiner Haltung. Ich wünsche mir, dass wir generell vermehrt auf kreislauffähige regionale Baustoffe zurückgreifen. 

 

 

Lageplan
Pläne von oben nach unten: Grundrisse von Erd- und Obergeschoss
Schnitt
Bauwerk
Denkwerkstätte
 
Standort
Dorf 135a, 6952 Hittisau 
 
Nutzung
Büro und Leuchtenproduktion
 
Auftragsart
Direktauftrag 
 
Bauherrschaft
Georg Bechter 
 
Architektur
Georg Bechter Architektur + Design, Hittisau
Projektleiter: Michael Flatz
 
Fachplaner 
Tragwerksplanung: ZTE Leitner, Schröcken
Heizung: TB Ritter, Andelsbuch
Beleuchtung: Georg Bechter Licht, Hittisau
Bauphysik: Günter Meusburger, Schwarzenberg
Brandschutzplanung: K&M Brandschutztechnik GmbH, Lochau
Farbkonzept: Ilona Amann, Reifenthal/Pettendorf, Deutschland
 
Jahr der Fertigstellung
2020
 
Gesamtkosten
EUR 1,36 Mio.
 
Kubikmeterpreis
294 EUR/m3
 
Energiestandard    
28 kWh/m2/a Heizwärmebedarf, gedeckt über Eisspeicherheizung 
36k Wp Photovoltaikanlage mit Batteriespeicher
Ertrag pro Jahr: ca. 39000 kWh. Davon werden ca. 14000 direkt beziehungsweise über die Batterie verbraucht und die restlichen ca. 25000 ins Netz eingespeist. 
 
Auszeichnung
Preisträger Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit
Anerkennung beim Vorarlberger Holzbaupreis 2021
 
Fotos
Adolf Bereuter, Dornbirn

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