Haltungssache

Elias Baumgarten | 10. Januar 2025
Foto: Elias Baumgarten

»Vorarlbergs Baukultur hat Pioniercharakter«, schreiben Verena Konrad, die seit zwölf Jahren das Vorarlberger Architektur Institut leitet, und die Architekturkritikerin Sandra Hofmeister in ihrem neuen Buch »Architektur in Vorarlberg«. Seit den 1960er-Jahren – als beispielgebende Bauten wie das Schulhaus Nüziders der Architektengemeinschaft C4 entstanden – hat sich in Vorarlberg eine Architekturkultur entwickelt, die international wertgeschätzt wird. Dass die Ökologiebewegung schon früh den gesellschaftlichen Diskurs im Ländle prägte, begünstigte dies ebenso wie das starke Handwerk mit seinen zahlreichen Familienbetrieben und das zivilgesellschaftliche Engagement vieler Bauherrinnen und Bauherren. Heute ist die kunstvolle Gestaltung der gebauten Umwelt Teil der Identität der Menschen in der Region: »In Vorarlberg wird Baukunst gelebt – von vielen Parteien und nicht nur von einer Elite«, freuen sich Verena Konrad und Sandra Hofmeister.

Doch auch zwischen Rheintal und Montafon gilt es große Herausforderungen zu meistern: Wie kann die Zersiedelung vor allem entlang des Rheins aufgehalten werden? Wie gelingt ein zeitgemäßer Wohnbau, der zu einer modernen Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Lebensentwürfen und Familienkonstellationen passt? Wie baut man umweltfreundlich und kreislauffähig? Und was anfangen mit Bestandsbauten, die nicht immer schön und baugeschichtlich wertvoll sind? Wie Vorarlbergs Architektinnen und Architekten auf diese Fragen antworten, zeigen Verena Konrad und Sandra Hofmeister mit ihrem Buch. Dabei wird auch deutlich, auf welche Hemmnisse sie stoßen und wo sich – auch politisch – etwas verändern muss: Zwischen die 50 Projektvorstellungen mit kurzen Beschreibungstexten und vielen inspirierenden Bildern sind sechs teils erfrischend kritische Interviews und Essays eingeflochten.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Weniger Perfektionismus

»Die Entscheidung für den Abriss wird noch zu oft leichtfertig und aufgrund irgendwelcher Vorstudien gefällt«, sagt Julia Kick im Interview. Die junge Architektin wünscht sich mehr Umbauten und fordert von der Politik, das Bauen im Bestand gezielt zu fördern. Die finanzielle Unterstützung privater Neubauten auf der grünen Wiese hingegen müsse aufhören. Doch auch Architektinnen und Architekten sollten umdenken und ihren Perfektionismus aufgeben, findet sie. »Für mich ist jeder Umbau eine lustvolle Collage aus Vorhandenem und neu Hinzugefügtem, aus Geplantem und Zufall.« Freude bereiten dürften Julia Kick da die vielen gelungenen Umbauprojekte, die im Buch vorgestellt werden – der sanierte und um ein Studentenwohnheim ergänzte Winderhof in Dornbirn etwa, mit dem Ludescher + Lutz Architekten ein ungewöhnliches Co-Living-Angebot geschaffen haben. Oder der famose Umbau eines Stalls zum Atelierhaus, den der Architekt und Lichtgestalter Georg Bechter im Bregenzerwald verwirklicht hat. Und sicher auch das mehrfach umgestaltete Haus Kriechere 70 in Bezau, in dem Markus Innauer und Sven Matt ihr Architekturbüro eingerichtet haben.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Mehr Einfachheit

Aus Holz lassen sich inzwischen ganze Wohnsiedlungen, Industrieanlagen und sogar Kraftwerke bauen – die Öko-Wohnanlage Maierhof des Wiener Architekturbüros feld 72 oder das Biomasseheizwerk Lech von Hermann Kaufmann beweisen das im Buch eindrucksvoll. Und doch, sagt der Architekturprofessor im Familien-Interview mit seinen im Holzbau tätigen Verwandten Johannes, Michael, Matthias, Anton und Christian Kaufmann, müsse noch viel für die Bauweise geworben werden. Auch sei das ökologische Potenzial des Naturbaustoffs noch nicht ausgeschöpft: Wir sollten, fordert er, Baustandards hinterfragen und einfacher bauen. Noch werden ihm Bauwerke mit zu vielen Materialschichten konstruiert, was leider die Kreislauffähigkeit von Holzbauten hemmt.

Noch umweltfreundlicher lässt sich bauen, unterstreicht Lehmbau-Pionier Martin Rauch im gemeinsamen Interview mit der deutschen Architektin Anna Heringer, kombiniert man Holz mit Lehm – wie bei der Werkhalle seiner Firma Lehm Ton Erde, die im Buch zu sehen ist. Doch auch wenn der Lehmbau immer gefragter ist und weltbekannte Architekturbüros wie Herzog & de Meuron genauso auf das Material setzen wie junge Kolleginnen und Kollegen – jenseits von Vorzeigeprojekten überzeugter Bauherrschaften verhindern die hohen Baukosten noch oft die Anwendung. Anna Heringer sieht hier die Politik in der Pflicht: »Die fehlende Kostenwahrheit beim Bauen – graue Energie wird oft nicht eingepreist – ist eklatant, und die Auswirkungen auf die Natur, die Umwelt, werden nicht besteuert. Dieser Umstand ist keine Naturgewalt und könnte morgen geändert werden.«

Foto: Elias Baumgarten
Beteiligung wagen

Bekannt wurde die Architektin mit ihren Bauten in Afrika und Asien. In Übersee lernte sie das Bauen als Gemeinschaftsprojekt kennen, das Menschen zusammenschweißt. Partizipation sei ein Grundbedürfnis, sagt sie. Würde diese Haltung in Vorarlberg Schule machen, wie es sich Anna Heringer wünscht, könnten das Ergebnis mehr Bauten wie die Kapelle Salgenreute von bernardo bader sein, an der Nachbarn, Bürgerinnen und Bürger, Architekten und Handwerkerinnen gemeinsam arbeiteten. Der Lehmbau, der kaum Maschineneinsatz erfordert, würde das begünstigen, wie Anna Heringer mit dem Stampflehm-Altar im Wormser Dom bewiesen hat, an dem viele Menschen mitbauten. Es wäre zu wünschen: So würde die Identifikation der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger mit ihren Bauten gewiss noch stärker.

Porträt einer Baukultur

»Architektur in Vorarlberg« ist ein wunderbares Nachschlagewerk. Ergänzt und vervollständigt wird die Bauten-Sammlung übrigens durch die öffentlich zugängliche Datenbank des Vorarlberger Architektur Instituts. Doch das Buch leistet noch mehr: Es zeichnet das Porträt einer Baukultur im Umbruch. Verena Konrad und Sandra Hofmeister geben einen spannenden Eindruck davon, in welche Richtung sich Vorarlbergs Architektur in Zukunft entwickeln könnte. Gleichzeitig ist ihr Buch politisch, aus ihm spricht eine klare Haltung. »Architektur in Vorarlberg« ist ein Diskursbeitrag.

Verwandte Artikel