Sabeth Holland: »Kunst lässt Raum für gedankliche Experimente, die im wirklichen Leben gar nicht möglich wären«

Natalie Kreutzer | 14. März 2025
Sabeth Holland realisierte 2012 nach erfolgreicher Wettbewerbsteilnahme ein »transformales« Konzept für die Gemeinde Wittenbach bei St.Gallen: Für das Werk »Begegnung« wurden 51 bunt gestaltete Säulen aus Stahl auf dem Bahnhofskreisel installiert. Der Künstlerin war es wichtig, »etwas Lebendiges zu schaffen, das dem Potenzial der Ortschaft, ihrem Wachsen und Werden ein Zentrum gibt und Optionen für zukünftige Veränderungen schon in sich birgt«. (Foto: Sabeth Holland, St.Gallen)


Sabeth, du bist seit rund 25 Jahren hauptberuflich als Künstlerin tätig – und das sehr erfolgreich. Deine Werke sind nicht nur in der Schweiz zu sehen, sondern auch in Frankreich, England, Hongkong, China und neuerdings in Singapur. Der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt ist indes, dass du seit 1998 regelmäßig Kunst-am-Bau-Projekte realisiert hast, darunter auch monumentale Installationen. Welches Spannungsfeld eröffnet Kunst-am-Bau? 

Ich sehe zum einen die persönliche Herausforderung an die Künstlerin oder den Künstler selbst, in diesem Raum, einer neuen Dimension, die völlig im Gegensatz zum Atelier steht, zu bestehen. Aber auch die Begegnung der Kunst oder Installation mit der Öffentlichkeit ist etwas Besonderes. Ich durfte 2012 für die Gemeinde St.Gallen-Wittenbach den Kreisel beim Bahnhof mit Kunst gestalten, nachdem ich den Wettbewerb gewonnen hatte. Für mein Werk haben wir 51 sogenannte Buntsäulen aus Stahl in der Mitte des Kreisverkehrs installiert. Jede Säule ist 3.6 Meter hoch, also alles in allem nicht zu übersehen. Die Buntsäulen sind mit Kunstflächen nach Originalmalereien versehen, die zunächst in meinem Atelier entstanden sind und Geschehen und Charakteristika von Wittenbach abbilden. Es ist eine sehr lebendige Installation. Der Kreisel ist ein Denkmal für alle Menschen, die sich in Wittenbach bewegen. Und als wir ihn seinerzeit eröffnet haben, da erlebte ich etwas ganz Interessantes: Die Veranstaltung war öffentlich und das Publikum war gespalten, ob es so etwas braucht, weil das kostet. In dem Moment aber, als die Leute nachvollziehen konnten, warum der Kreisel da ist, haben sie angefangen, den Sinn und Zweck dieser Kunst zu erkennen. Sie haben erkannt, dass die Kunst hier eine Aufgabe hat. Der Kreisel ist eigentlich ein Ort, der ein Zentrum markiert – das es in diesem Dorf bis heute noch nicht gibt, aber dank dem Kreisel schon weit mehr. Und so haben sie Spaß daran gefunden, auf den bunten Säulen die Hinweise etwa auf das Feuerwehrdepot oder das Schloss Dottenwil richtig zu deuten oder Familien mit Fahrrad und die Tiere zu entdecken. Insofern glaube ich, Kunst-am-Bau ist eine riesige Chance.

Bevor die 51 Säulen im Zentrum des Kreisverkehrs vor dem Bahnhof von St.Gallen-Wittenbach aufgestellt wurden, entstand zunächst ein dreiteiliges Quellenbild (Ölfarbe, Gold und Pigmente auf Leinwand, 160 × 315 Zentimeter, 2012). Sabeth Holland hatte ihre Eindrücke von Wittenbach mittels Fotografie und Skizzen festgehalten und anschließend in die Malerei übersetzt. Das als »Wittenbacher Bild« betitelte Kunstwerk hängt heute im Gemeindehaus und reflektiert Leben und Charakteristika der Ortschaft. (Foto: Johannes Eisenhut, Sennwald)

Kunst-am-Bau – eine Chance. Mit dem Anspruch, dass sie allen gefallen muss?

Nein, niemals. Das würde nie allen gefallen, es polarisiert extrem. Eine Umgebung, die mit Kunst gestaltet ist oder mit künstlerischen Interventionen, ist immer eine Herausforderung. Dabei geht es jedoch nicht ums Gefallen, sondern um die Motivation, die dahintersteckt. Kunst motiviert. Kunst lässt Raum für gedankliche Experimente, die im wirklichen Leben gar nicht möglich wären. Ganz wichtig finde ich bei dem, was ich mache und darstelle, dass meine Arbeiten eine bestimmte Sinnhaftigkeit haben, etwas transportieren. Dabei spreche ich nur für mich. Ich leite auch immer eine Perspektive in die Zukunft ein. Das ist es, woran ich arbeite. Das ist mein Hauptanliegen im öffentlichen Raum – verbunden damit, neue Spiel- oder Erlebnisräume zu schaffen.

Im Architekturdiskurs stark präsent ist die Gestaltung von Außenräumen, von lebenswertem Raum, der allen zugänglich ist. Orte, an denen sich die Menschen gerne aufhalten. Denkst du, dass Kunst einen Beitrag zur Quartiersgestaltung leisten kann?

Ich selbst wohne in einer Straße, in der es viele kleine Kinder gibt. Sie ist eine Sackgasse und wäre prädestiniert für einen Begegnungsraum. Eigentlich ist das auch angedacht, aber weil doch immer wieder Autos mit überhöhter Geschwindigkeit durchbrausen, sehe ich dort ein Thema. Ich finde, es ist ganz wichtig, dass die Kinder einen Spielraum bekommen, in dem sie sich entfalten können. Und vielleicht ist es die Kunst, die hier die Rahmenbedingungen schaffen könnte, sodass man die beiden Themen Verkehr und Zugänglichkeit von Spiel- und Begegnungszone vereinen kann.

Dieses Foto zeigt zwei der insgesamt zehn Soulflowers im Zentrum Heerbrugg der Psychiatrie St.Gallen (Wettbewerb 2022, Umsetzung 2023). Die Blumen begrüßen, begleiten und unterstützen. Geschaffen wurden die Wandmalereien direkt auf Beton mit Acryl, Lack und 22 Karat Gold. Für Sabeth Holland völlig unerwartet war das teils direkte Feedback von Passanten, während sie malte. Die Menschen freuten sich über die wohltuenden Farben und Formen. Daraufhin entschied sie, die Soulflowers etwas bunter zu belassen als ursprünglich vorgesehen. (Foto: Johannes Eisenhut, Sennwald)

Warum soll oder muss Kunst-am-Bau beziehungsweise Kunst im öffentlichen Raum deiner Ansicht nach überhaupt stattfinden? 

Es ist ein ganz wichtiges Thema. Wichtig in einer Zeit, in der der private Raum immer enger wird, es kaum mehr Platz für einen Balkon oder für ein offenes Fenster gibt. Da sehe ich es primär als Aufgabe der öffentlichen Hand, im öffentlichen Raum Plätze zu schaffen. Orte, wo man wieder spielen kann, nicht alles einen Zweck erfüllt, sondern Spielereien inspiriert werden und die Seele eine Form von Ruhe finden kann. Wo man Abstand finden kann von dem Ganzen wie »ich muss erfolgreich sein, ich muss etwas leisten«. Orte, an denen man einfach nur sein kann.

Du hast eingangs die persönliche Herausforderung an den Künstler erwähnt. Wie hast du selbst diesen Schritt – raus aus dem Atelier, hinein in eine neue räumliche Dimension, eine neue Öffentlichkeit – erlebt?

Am Anfang war ich sehr scheu und zurückhaltend, auch mit der Frage an mich selbst, ob ich mir das zutraue. Dann gab es erste Einladungen verbunden mit Wettbewerben. Und ich habe tatsächlich einige davon gewonnen. Das war für mich eine erste Bestätigung, mit der ich total über mich hinausgewachsen bin. Da haben sich plötzlich spannende Bereiche aufgetan. Dabei habe ich immer versucht, nur das auszuloten, was mir persönlich vorgeschwebt ist, und mich nicht anderweitig orientiert. 

Für den Verwaltungsneubau auf der Rheininsel Diepoldsau von Greiner Packaging International Schweiz durfte Sabeth Holland nach erfolgreicher Wettbewerbsteilnahme ihr vielfältiges Kunst-Konzept »Schatzinsel« auf rund 3000 Quadratmetern umsetzen (2009–2013). Das Foto zeigt eine erste Fototransformation, aufgenommen in der Produktion, um den Mitarbeitenden in der Verwaltung diesen Bereich über die Kunst »zugänglich« zu machen. Bildmittig im weißen Anzug zu erkennen ist die Künstlerin im Selbstporträt. (Foto: Sabeth Holland, St.Gallen)

Gibt es Faktoren, etwa die Architektur, die beim kreativen Prozess einengen? 

Architektur ist für mich in jedem Fall anregend und will erobert werden. Zugleich ist es auch immer ein Raum, der sehr eingeschränkt ist. Es gibt das zu bearbeitende Thema, das an einem bestimmten Ort stattfindet, ein Zielpublikum hat und ein definiertes Budget. Für Kunst bekommt man immer zuletzt das Budget. Das schränkt natürlich ein, ganz austoben kann man sich also nicht. Aber für mich war das nie relevant – überhaupt nicht. Für mich spielen in diesem Rahmen die Zeit, das Material und der Zweck eine wichtige Rolle, und dann ist mein einziger Gedanke: Ich mache daraus jetzt das Größte, und vor allem das, was den Menschen am meisten Freude bereitet.

Gerade erst hat Sabeth Holland diese Kronleuchter vollendet, die als Kunstprojekt in drei Teilen entstanden sind (von links nach rechts): »First Floral Chandelier«, »Zuper Zany Chandelier« und »Mimosa Chandelier« (jeweils rund 1 Meter breit). Die Künstlerin sieht diese Objekte als »Modelle« für eine viel größere und komplexere Version des Themas. (Foto: Sabeth Holland, St.Gallen)

Kunst-am-Bau ist auch ein Generationenthema: Neben der Anschaffung braucht es den dauerhaften Erhalt. Ist das Herausforderung oder Chance?

Ich glaube, wir würden alles gerne für die Ewigkeit machen oder langlebig sehen. Meine Erfahrung ist, dass die Ereignisse uns oft so schnell überrollen, dass wir manchmal fast nicht mehr mithalten können – wenn ich nur meine Kunst-am-Bau-Projekte anschaue, wie viel sich da schon bewegt und verändert hat. Ich sehe allgemein bei Kunst-am-Bau, dass umgedacht werden muss: Wir brauchen beweglichere Ideen und müssen weg von stationären Konzepten. Wenn etwas an dem einen Ort nicht mehr sein kann, soll es an einem anderen Ort neu durchdacht und installiert werden können. Und was passiert, wenn die Autorin fehlt? Auch dann sollte es möglich sein, das Projekt auszubauen oder zu verändern und vor allem wieder Freude damit zu machen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Sabeth.

Sabeth Holland möchte mit ihrer Kunst Freude bereiten. Ihre unverkennbaren Werke sind technisch präzise gearbeitet, bündeln Emotionen und Akzente, arrangieren vielfarbige Fragmente zu einzigartigen Kompositionen und spielen mit Formen. (Foto: Thomas Hary, Speicher)

Sabeth Holland gehört zu den arriviertesten Schweizer Kunstschaffenden der Gegenwart. Sie stellt regelmäßig in Europa, Amerika und Asien aus. Sabeth Holland wurde für ihre Arbeit mehrfach international ausgezeichnet und ist mit ihren Kunstwerken in privaten und öffentlichen Sammlungen weltweit vertreten. Mehr erfahren

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