Tiroler Baukultur

Katinka Corts
12. November 2020
18 Projekte waren für die »Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2020« nominiert. (Fotos © Mojo Reitter, Tobias Christoph, Albrecht Schnabel, Roland Halbe, David Schreyer, Günter Richard Wett, Lukas Schaller, Stefan Kranebitter, Marc Lins, Hertha Hurnaus, Günther Kresser, Sebastian Scheis und Daniel Pfurtscheller)

»Tirol ist heutzutage viel: Natur- und Kulturlandschaft, Sportarena, Gewerbegebiet und auch Einfamilienhausgegend. Tirol ist der Prototyp einer urbanen Landschaft. Und wie es sich für jede Metropole gehört, ist in Tirol in den letzten Jahren eine Reihe von herausragenden Architekturen entstanden. [...] Neben den kulturellen Highlights gilt es nun, in die Breite zu agieren. Viele der eingereichten Arbeiten beschäftigen sich daher mit Themen der sekundären Kulturmerkmale. Sehr wichtig, wenn es darum geht, dass ein Land langfristig Identifikation und Perspektiven finden soll«, schreiben Anne-Julchen Bernhardt, Professorin an der RWTH Aachen, und die Architekturschaffenden Peter Haimerl sowie Marta Schreieck in ihrem Jurybericht. Überraschend und sehr erfreulich für die Jury sei gewesen, dass zukunftsweisende Räume für Bildung, Kommunikation und neue Arbeitswelten entdeckt werden konnten. 

Aus den 75 Projekten, die zur »Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2020« eingereicht wurden (alle zwischen 2018 und 2020 fertiggestellt), hat die Jury zunächst eine engere Auswahl besichtigt und sich dann für 18 Nominierungen entschieden. Schlussendlich wurden drei Auszeichnungen und sechs Anerkennungen für Bauten vergeben, die dem Kriterium einer besonders vorbildlichen Auseinandersetzung mit den architektonischen Herausforderungen unserer Zeit entsprechen. Außerdem hat die Jury in diesem Jahr vier lobende Erwähnungen ausgesprochen. Aufgrund der heurigen Ausnahmesituation konnte die Preisverleihung am Mittwoch, dem 11. November, nur im digitalen Raum stattfinden. Landesrätin Beate Palfrader und Anne-Julchen Bernhardt schickten per Video Grußbotschaften, Arno Ritter, Leiter des aut in Innsbruck, hat die Entscheidung der Jury bekannt gegeben. Die Ausstellung »Neues Bauen in Tirol 2020« mit allen eingereichten Projekten ist voraussichtlich ab Dezember im aut (Lois Welzenbacher Platz 1, 6020 Innsbruck) zu sehen.

Nachfolgend zeigen wir die ausgezeichneten Projekte sowie die Anerkennungen. Dazu lesen Sie jeweils die Begründung der Jury.

Ausgezeichnet wurde der Schulcampus Neustift im Stubaital (2016–2019) von fasch&fuchs.architekten. (Foto © Hertha Hurnaus)
Auszeichnung: Schulcampus Neustift im Stubaital

»Fünf Institutionen sollten auf 12 000 Quadratmetern Fläche und auf dem ebenso großen Hanggrundstück am Rande des Ortsteiles Kampl untergebracht werden. Alle Versuche mit Einzelbaukörpern zu operieren waren unbefriedigend, nur dem Entwurf von fasch&fuchs.architekten ist es gelungen, das umfangreiche Raumprogramm wie selbstverständlich in die Landschaft zu integrieren. Genial die Idee, einen großen Teil des Volumens zwischen einem zweigeschossigen, straßenbegleitenden Baukörper und dem turmartigen Internat am unteren Ende des Grundstückes wie einen grünen Teppich über den Hang zu legen. Dass die Gemeinde Neustift bereit war, ein derart radikales Raumkonzept mitzutragen und konsequent bis ins letzte Detail umzusetzen, war visionär und mutig. Das Ergebnis gibt ihr Recht. Eine Schule als Bühne des Lebens, erlebnisreich, gemeinschaftsbildend, kommunikativ, offen, transparent, naturnahe und vor allem von allen geliebt.« 

– Marta Schreieck

Die zweite Auszeichnung ging an Snøhettas Innsbrucker Studio für die Swarovski Manufaktur in Wattens (2015–2018). ( Foto © David Schreyer)
Auszeichnung: Swarovski Manufaktur in Wattens

»Die Swarovski Manufaktur in Wattens beauftragte das Architekturbüro Snøhetta, ein ›Kristall-Atelier‹ des 21. Jahrhunderts zu entwerfen. Eine Aufgabe, die wie geschaffen dafür ist, prototypische Arbeits- und Kreativräume für die Zukunft zu gestalten. Entstanden ist ein Raum, in dem gemeinsam und auf Augenhöhe innovative Wege beschritten werden und Visionen entstehen können. Die Manufaktur ermöglicht Begegnungen zwischen Kund*innen mit Mitarbeiter*innen des Unternehmens und für die rasche Umsetzung der daraus resultierenden Ideen: Repräsentationsräume, Büros, Begegnungszonen, Nischen für Werkbänke und Roboter, die im Rapid-Prototyping-Verfahren 1:1-Modelle produzieren, sind nebeneinander in einer großen Halle situiert.«

– Peter Haimerl

Die dritte Auszeichnung erhielt STUDIO LOIS für die Sanierung der Schulen Kettenbrücke in Innsbruck (2016–2019). (Foto © David Schreyer)
Auszeichnung: Sanierung der Schulen Kettenbrücke in Innsbruck

»Die Schule ist Teil eines Bildungsquartiers, das die Architektin über Jahre entwickelt hat. Alle Umbauten besitzen einen eigenen Charakter und sind aus dem Bestand her- aus entwickelt. Die jüngste Überarbeitung ist sowohl radikal als auch sensibel. Um das aus den 1970er-Jahren stammende Bestandsgebäude sind alle störenden Elemente entfernt und durch einen einheitlichen Außenraum ersetzt worden. Hier gibt es nun Platz, an dem man sich aufhalten kann. Eine Polycarbonatfassade umfängt den massiven Baukörper und schafft ein lichtes Gebäude als Kopf des Ensembles. Zwischen die Polycarbonatfelder fügen sich große Fenster ein, die Licht in den Schulbau lassen. Der Raum der Schule ist aus dem Schnitt entwickelt, und es gelingt den Architekt*innen mühelos, die verschiedenen Bestandsbauten mit unterschiedlichen Niveaus sowohl innen wie außen lustvoll miteinander zu verknüpfen.«

– Anne-Julchen Bernhardt

Eine Anerkennung ging an Hans Peter Gruber und Thomas Sigl für die Martinsbrücke über den Inn in Zirl (2015–2019). (Foto © David Schreyer)
Anerkennung: Martinsbrücke in Zirl

»Die Martinsbrücke ist ein überzeugendes Beispiel eines Ingenieurbauwerks, das erst durch die architektonische Ausformulierung seinen besonderen, dem Ort Kraft verleihenden Charakter erhält.«

– Peter Haimerl

Die Falginjochbahn im Kaunertal (2019) von Baumschlager Hutter Partners wurden ebenfalls mit einer Anerkennung bedacht. (Foto © Albrecht Schnabel)
Anerkennung: Falginjochbahn

»Dem Projekt gelingt es, eine Balance zwischen Abstraktion und präziser Architektur
zu halten, die Bewegung im Raum wird durch die beiden Gebäude überhöht. An diesem extremen Ort erscheint die Architektur ein Werkzeug zu sein, das die Wahrnehmung schärft.« 

– Anne-Julchen Bernhardt

Mit einer Anerkennung geehrt wurde weiterhin das Schulzentrum von Hall (2016–2019). Gestaltet wurde die Anlage von fasch&fuchs.architekten. (Foto © Hertha Hurnaus)
Anerkennung: Schulzentrum Hall

»Das Schulzentrum Hall reagiert gekonnt auf den urbanen wie landschaftlichen Kontext, definiert einen neuen Ort, stärkt das Umfeld und schafft beste räumliche Voraussetzungen für ein selbstorganisiertes und offenes Lernen.« 

– Marta Schreieck

Fügenschuh Hrdlovics Architekten gestalteten ein Haus für psychosoziale Begleitung und Wohnen (2012–2018) in Innsbruck. Dafür gab es eine Anerkennung. (Foto © David Schreyer)
Anerkennung: Haus für psychosoziale Begleitung und Wohnen in Innsbruck

»Ein kleiner Wohnturm am Inn, als Solitär an einer durchgrünten Wohnlandschaft platziert. Die gemeinschaftlichen Räume sind musterhaft entworfen, denn sie verbinden die Bewohnenden mit der Stadt und der Landschaft – solche Häuser wünscht man sich mehr in der Stadt.« 

– Anne-Julchen Bernhardt

Eine weitere Anerkennung ging an die Tourismus-Information von Innsbruck und seinen Feriendörfern (2016–2018), die von Betina Hanel und Manfred Sandner entworfen wurde. (Foto © Günther Kresser)
Anerkennung: Tourismus-Information Innsbruck

»Den Architekt*innen ist Bemerkenswertes gelungen: Die Freilegung und Transformation eines historischen Raumes, der durch diesen modernen Eingriff – mit viel Gespür für Poesie – verblüffender Weise zeitlos wurde und damit eine wunderbare Fortführung der Geschichte erzählt.« 

– Peter Haimerl

Die sechste Anerkennung wurde an Hanno Schlögl vergeben, dessen Naturparkhaus in Längenfeld (2017–2019) die Jury überzeugte. (Foto © Günter Richard Wett)
Anerkennung: Naturparkhaus Längenfeld

»Das neue Naturparkhaus Längenfeld ist ein architektonisches Statement, perfekt in
die Landschaft komponiert, zeitlos schön, poetisch, handwerklich meisterhaft und bauplastisch virtuos, eine kulturelle Botschaft, die hoffentlich verstanden wird.« 

– Marta Schreieck

Die Jury 2020: Anne-Julchen Bernhardt, Marta Schreieck und Peter Haimerl; den Juror*innen stand es frei, auch nicht eingereichte Bauwerke in ihre Auswahl einzubeziehen. (Foto © aut)

Peter Haimerl diskutierte an der zweiten Runde unserer D-A-CH-Gespräche mit Roman Hutter aus der Schweiz und Sven Matt aus Vorarlberg. Thema waren das Bauen im ländlichen Raum und die Übernahme sozialer wie politischer Verantwortung durch Architekt*innen.

Den Schulcampus Neustift und die neue Swarovski Manufaktur ließen wir uns im Rahmen unserer Rubrik »Bau der Woche« von den Architekt*innen erklären.

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