Verstehen statt dämonisieren
Allen Einwänden von Fachleuten zum Trotz wünschen sich viele Menschen ein eigenes Haus mit Garten. Das Architekturzentrum Wien zeichnet die Kulturgeschichte der beliebten Wohntypologie nach und möchte zeigen, wie Einfamilienhäuser zeitgemäß umgenutzt werden könnten.
Ein großes Haus mit weiß umzäuntem Garten, die Kinder planschen im Swimmingpool, die Stars-and-Stripes-Flagge weht und in der Einfahrt parkt ein übergroßer Pick-up-Truck – der amerikanische Traum mag befremdlich und aus der Zeit gefallen wirken. Doch Amerikas Film- und Werbeindustrie glorifiziert dieses Bild nach wie vor, und die Politik fördert den Hausbau. 8 von 10 Amerikanern leben heute in Vorstadtsiedlungen, und 75 Prozent dieser Anlagen sind schier endlose Einfamilienhaus-Teppiche. Begonnen hat der Boom nach dem Zweiten Weltkrieg: Mit staatlicher Unterstützung – die US-Regierung vergab großzügige Kredite an Kriegsveteranen – wurden rasch über 11 Millionen Einfamilienhäuser gebaut. Bald träumten auch in Europa viele Menschen von einem eigenen Haus mit Garten. In Österreich entstanden rund 1.5 Millionen Einfamilienhäuser und fraßen Unmengen an Fläche: Waren 1975 nur 1100 Quadratkilometer der Landesfläche hoch zersiedelt, verfünffachte sich diese Zahl bis 2020 auf 5800 Quadratkilometer – das hat die Wiener Universität für Bodenkultur ermittelt. Inzwischen sind die vielen negativen Folgen von Einfamilienhaussiedlungen bekannt: Die Anlagen zerstören wertvolle Naturräume und schaden so der Biodiversität, sie verschlingen wertvolle Ressourcen, lassen Ortskerne veröden und führen gerade in einer alternden Gesellschaft zu Vereinsamung und Isolation. Trotzdem bleibt das eigene Haus für viele ein Wohntraum. Wie also mit Österreichs großem Einfamilienhausbestand umgehen und weitere Zersiedelung verhindern? Diese Frage stellt sich das Team des Architekturzentrums Wien, kurz Az W, und zeigt eine angepasste und ergänzte Version der Wanderausstellung »Suburbia. Leben im amerikanischen Traum«.
Entwickelt wurde die Ausstellung von Philipp Engel für das spanische Kulturzentrum CCCB. Für das Az W wurde ein zusätzlicher Österreich-Teil gestaltet, sodass die Schau aus zwei Abschnitten besteht. Das erste Kapitel befasst sich mit der Entwicklung und Geschichte der amerikanischen Einfamilienhaussiedlungen. Diese wuchsen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg rasant. Die Museumsgäste lernen, wie günstige Kredite und der Siegeszug des Automobils den Boom befeuerten. Im US-Fernsehen wurde das eigene Haus gleichzeitig zum Ideal stilisiert. Arbeiten des Fotografen Bill Owens zeigen, wie die Vorstadtfamilien in den 1970er-Jahren lebten. Dabei werden bereits Schattenseiten sichtbar: Die Siedlungen waren Teil eines Systems der sozialen, ethnischen und geschlechtsspezifischen Segregation. Bewohnerinnen und Bewohner glichen sich in Herkunft und sozialem Status, die Frauen schmissen den Haushalt und versorgten die Kinder, während die Männer außerhalb arbeiteten.
Suchten viele amerikanische Familien in die Vorstadtquartieren Sicherheit, entwickelten sich die Siedlungen mit ihren massenproduzierten Häusern zu Orten der Angst, der Gewalt und der Kriminalität. Eindrücklich ist das auf den Fotografien von Angela Strassheim und Gabriele Galimberti zu sehen, wenn Vorstadtbewohnerinnen ihr Waffenarsenal aus Pistolen und Sturmgewehren präsentieren.
In den 1990er-Jahren nahm die New-Urbanism-Bewegung Fahrt auf. Architektinnen, Stadtplaner und andere Experten wollten die Zersiedelung stoppen und das uferlose Wachstum der Vorstädte eindämmen – auch in den Vereinigten Staaten. Doch die Quartiere wuchsen unvermindert weiter. Zugleich machten sie einen Wandel durch: Die Bewohnerschaft wurde ethnisch und sozial vielfältiger. Im Az W verdeutlichen dies Bilder von Jessica Chou und dem Fotografenpaar Ed und Deanna Templeton.
Wie kam der Traum vom Einfamilienhaus und die Idealvorstellung vom Leben in der Vorstadt aus den Vereinigten Staaten nach Österreich? Mit dieser Frage tauchen die Gäste in den zweiten Teil der Ausstellung ein, der, wie erwähnt, speziell für das Az W gestaltet wurde. Hier lernen sie die negativen Auswirkungen der beliebten Wohnform auf Umwelt, Klima und Landwirtschaft kennen. Doch es geht dem Kuratorenteam nicht um ein Bashing. Gezeigt wird vielmehr auch, wie stark die emotionale Bindung der Menschen an ihre Häuser oft ist. Forschende und Studierende der TU Wien haben für die Ausstellung persönliche Geschichten erfragt. Das Publikum soll besser verstehen, welche Qualitäten die Menschen an der Wohntypologie schätzen.
Was soll in Zukunft mit Österreichs 1.5 Millionen Einfamilienhäusern werden? Möchten wir keine weiteren Flächen mehr verbauen, während viele weiter vom eigenen Haus mit Garten träumen, kommt dem geschickten Umgang mit dem Einfamilienhausbestand große Bedeutung zu. Darum werden als Abschluss der Schau verschiedene Bauprojekte gezeigt, die in den letzten Jahren geplant und umgesetzt wurden. Darunter sind auch das »Haus mitanand«, ein denkmalgeschützter Bregenzerwälderhof, den Hermann Kaufmann und sein Team zum Wohnhaus für ältere, teils hilfsbedürftige Menschen umgebaut haben, und das KinderAbendteuerLabor KALO, eine vom Büro ASAP Hoog Pitro Sammer umgestaltete Fabrikantenvilla in Traiskirchen. Genauso zur Auswahl gehören das von Julia Kick für eine junge Familie und die Großeltern umgebaute Einfamilienhaus Fink und das Haus B in Linz, das Schneider Lengauer Pühringer für die neuen Besitzer aufgestockt haben. Bei allen Beispielen werden die Qualitäten des Bestands neu genutzt und aktiviert. Hoffentlich inspirieren die Arbeiten Bauherrschaften und Besitzer, ihren Traum vom Einfamilienhauswohnen umweltfreundlicher und sozial nachhaltiger zu leben oder innovative Nutzungen für ihre Häuser zu finden, statt überkommenen amerikanischen Idealen zu folgen.