Versuchsaufbauten mit poetischem Potenzial – sehenswerte Ausstellung in Basel

Manuel Pestalozzi
3. September 2021
Foto: Manuel Pestalozzi

Andreas Kofler, der Kurator der Ausstellung »Mock-up«, meinte während des Presserundgangs vor der Eröffnung, es gebe für den Begriff Mock-Up eigentlich gar keine Übersetzung. Nun, wie wäre es mit Fassadenmodell? Oder allgemeiner mit Vorführmodell? Zugegeben, das klingt eindeutig weniger sexy. Und das englische Verb »mock« hat es wirklich in sich; es steht für Spott, dafür, jemanden nachzuäffen, so zu tun als ob. Erst das angehängte Adverb verleiht ihm Seriosität. Dem S AM-Team ist es natürlich ernst: Mit der Ausstellung soll der Begriff weiter gefasst werden. Unter Mock-Ups werden dabei experimentelle Versuchsanordnungen mit Originalmaterialien im Maßstab 1:1 verstanden. Während der mehrjährigen Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsthema fokussierten die Macher*innen durchaus auf die ephemeren Konstruktionen, die von der Öffentlichkeit gerade in der Schweiz in der Nähe von Baustellen bestaunt werden können, wie S AM-Direktor Andreas Ruby während der Führung bestätigte. »Nur lassen sich solche Mock-Ups schon wegen ihres Gewichtes nicht in unserem Museum aufstellen«, ergänzte Andreas Kofler daraufhin einschränkend. 

Hinter dem Saal, in dem Nachtaufnahmen des Kanadiers David K. Ross ausgestellt sind, können Kinder im Rahmen des Vermittlungsprogramms an Mock-Up-Installationen experimentieren. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Großartige Fotoschau

Durch den mit einer Plastikblache überdeckten Eingang geht es in die Ausstellung. Man betritt einen Raum, dessen dunkel gestrichene Wände mit Fotos von David K. Ross behängt sind. Der kanadische Architekt und Fotograf macht nächtliche Blitzlichtaufnahmen von Mock-Ups und ist auch in der Schweiz auf die Jagd nach Sujets gegangen. Die Fassadenfragmente wirken durch die Dunkelheit entrückt und ohne Kontext. Der konsequent auf mittlerer Höhe gewählte Augpunkt (Ross war mit einer Leiter unterwegs) macht die Mock-Ups maßstabslos, was ihre Autonomie noch steigert. Neben den Fotos aus der Schweiz sind auch drei Beispiele aus den USA zu sehen.

Drei »Proben« von Herzog & de Meuron stehen zwischen einem Hightech-Mock-Up und einer Wandkonstruktion, die mit recycelten Teppichen gefüllt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Experiment in der NEST-Unit »Sprint« von baubüro in situ. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Materialexeperimente

Der erste Ausstellungsraum am Basler Steinenberg zeigt Materialexperimente verschiedener Architekturbüros. Herzog & de Meuron befassten sich einst mit dem Potenzial chinesischer Backsteine, die Versuche wurden dann für den Entwurf des Museums Unterlinden im französischen Colmar wieder aus dem büroeigenen »Kabinett« geholt. Das Büro Staufer & Hasler Architekten, eines der größten Ostschweizer Teams, konnte mit dem »Brandhaus«, einem Übungsbau für die Feuerwehr, einen permanenten Mock-Up realisieren – teilweise mit »vorverbrannten« Fassadenpartien, für die zuvor eine konventionelle Mock-Up-Probe erstellt wurde. Einige Teile davon sind nun in der Ausstellung im S AM zu sehen.

Ein wichtiges Anliegen der Schau besteht darin, ein Statement zur Wiederverwertbarkeit von Baumaterialien zu machen. In diesem Zusammenhang werden zwei Units aus dem »Mock-Up-Regal« NEST, dem international bekannten Forschungsbau auf dem Areal der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf, präsentiert. Von der Einheit »Sprint«, betreut vom Architekturbüro in situ (Basel, Zürich), wurden zwei sogenannte Regalwände aufgestellt, die sich mit gefalteten, gebrauchten Teppichfliesen zu Sichtschutz- und Akustikwänden ergänzen lassen. Die kleinere kann im Rahmen des vom S AM durchgeführten Vermittlungsprogramms von Kindern bearbeitet werden, die größere Version schirmt den angrenzenden Raum ab, in dem Filmvorführungen stattfinden. 

Erst nach der Erprobung an einem Mock-Up wurde in Senegal dieses Spital, das Manuel Herz gestaltet hat, mit vor Ort hergestellten Ziegelsteinen gebaut. (Foto © Iwan Baan)
Permanenz und Materialität

Der Film befasst sich mit dem Tambacounda Hospital von Manuel Herz im Osten Senegals. Es wurde mit lokalen Baumaterialien erstellt, besonders wichtig waren dabei die Ziegelsteine. Deren Herstellung und Leistungsfähigkeit wurde anhand eines Mock-Ups überprüft, wobei man auch die Arbeitsprozesse einübte. Anschließend wurde spontan entschieden, die Probekonstruktion einer Schule zu überlassen, welche sie nun als Unterrichtsraum nutzt. Manuel Herz war überrascht und erfreut über diese permanente Zweitnutzung.

Im letzten Saal rückt die Materialität in den Hintergrund, die Bühne wird frei für »performative Mock-Ups«. Diese werden in bestehenden Gebäuden eingesetzt, für die neue Nutzungsmöglichkeiten gesucht werden. Das belgische Büro 51N4E hat damit in den Türmen des ehemaligen WTC in Brüssel verschiedene Renovierungs- und Umnutzungsszenarien getestet. Die Erfahrung wird im S AM in Zusammenarbeit mit Newrope, The Design in Dialogue Lab des Chair of Architecture & Urban Transformation (ETH Zürich) erprobt. Textile Oberflächen bilden Wand, Boden und Decke und den Rahmen für eine Auseinandersetzung mit mangelhaft definierten Räumen. Bis zur Art Basel, die am 24. September dieses Jahres ihre Tore öffnet, kann man von diesem Saal noch jene Eingangsrampe betreten, die für die Ausstellung »Access for All« gebaut wurde. Sie dient nunmehr als Aussichtsplattform.

Die Gestaltung der Ausstellung ist umfassend. Eigens für sie wurden Böcke mit erläuternden Clipboards aus Secondhand-Holz angefertigt. Die Fenster wurden mit Meudon-Weiß überstrichen. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Eine Schau, die sich nicht auf die Museumsräume beschränkt

Die Ausstellung »Mock-Up« wird wohl ein breites Publikum anlocken, denn die zahlreichen Fassadenmodelle im öffentlichen Raum – oder nahe bei ihm – sind durchaus eine Schweizer Eigenart, die von der Allgemeinheit wahrgenommen wird. Das bestätigte David K. Ross während dem Rundgang: In den USA etwa seien Mock-Ups viel seltener und außerdem oft schwer zugänglich. Auch die wenig museale »Greifbarkeit«, mit der das Planen, Experimentieren und Bauen in Basel in Erscheinung tritt, spricht für das gewählte Konzept. Das S AM-Team bespielt die Räume des Museums geschickt und lädt zu einem spannenden und abwechslungsreichen Spaziergang ein. Kurzum: Die Anreise aus Österreich lohnt sich.

Zur Ausstellung gibt es ein reichhaltiges Begleitprogramm. Während des Theaterplatz-Festes am 11. September 2021 sollen Backsteine hergestellt werden, wie sie am Tambacounda Spital verbaut wurden. Lehrerinnen und Lehrer können sich durch die S AM-Vermittlerin Olivia Jenni vor dem Besuch mit ihren Klassen in das Thema und den Sinn der Ausstellung einführen lassen. Und am 30. Oktober findet eine Mock-Up-Tour statt, die von Basel bis zum NEST in Dübendorf führt. Über die Bildserie von David K. Ross ist heuer die Publikation »Archetypes« bei Schweizer Verlag Park Books erschienen, die das S AM in seinem Museumsshop anbietet. Per QR-Code lässt sich schließlich eine Karte von Google Maps abrufen, auf der verschiedene Schweizer Mock-Ups eingetragen sind, die derzeit besichtigt werden können. Die Einträge lassen sich ergänzen, das S AM freut sich über weitere Meldungen.

Während dem »PARK(ing) Day« am 17. September 2021 würde S AM-Direktor Andreas Ruby den Parkplatz vis-à-vis vom Museum gerne mit einem »performativen Mock-Up« belegen. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Die Ausstellung ist bis zum 31. Oktober 2021 im Schweizerischen Architekturmuseum (Steinenberg 7, 4051 Basel) zu sehen.

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