Voneinander lernen
Das für seinen partizipativen Planungsansatz bekannte Berliner Büro Baupiloten hat die Freie Montessorischule Huckepack in Dresden erweitert. Unter anderem mit einer »Gemeinsamen Mitte« ergänzt das kompakte Bauwerk einen häufig errichteten DDR-Schulbautyp.
Der Schulbautyp »Dresden-Atrium« wurde – in Stahlbeton-Montagebauweise mit tragenden Querwänden – zwischen 1963 und 1981 allein im damaligen DDR-Bezirk Dresden 122-mal errichtet, darüber hinaus auch in vielen anderen ostdeutschen Städten. Viele dieser Typenbauten aus zwei unterschiedlich langen Längs- und drei Quertrakten, die offene Höfe umschließen, dienen noch heute pädagogischen Zwecken. So auch der Altbau der heutigen Freien Montessorischule Huckepack in der Glashütter Straße 10 in Dresden-Blasewitz (Ortsteil Striesen), der nach der Wende allerdings lange leer stand und in einem ruinösen Zustand war, als er 2001 von engagierten Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen übernommen werden konnte, die bereits 1992 den Verein Huckepack gegründet und lange nach einem geeigneten Standort für eine Kita, ab 1995 auch für eine Grund- und später zusätzlich für eine Mittelschule gesucht hatten. Mit viel Eigenleistung wieder hergerichtet und barrierefrei umgebaut, lernen in dem von der VEB Hochbauprojektierung Dresden (nach einem Vorprojekt von Helmut Trauzettel) entworfenen, ursprünglich für 310 Schülerinnen und Schüler konzipierten Bauwerk heute fast 550 Kinder und Jugendliche.
Die Schule, die 2006 noch um ein Berufliches Gymnasium (mit den Fachrichtungen Wirtschaftswissenschaften sowie später auch Gesundheit und Sozialwesen) ergänzt worden war, benötigte zusätzliche Gruppen-, Fach-, Besprechungs- und Beratungsräume, eine Aula und mehr Platz sowohl für die Mensa mit eigener Küche als auch für die Verwaltung. Daher initiierte der Verein 2018 einen Auslobungsworkshop und anschließend einen Architekturwettbewerb für einen Erweiterungsbau für die Oberschule mit Beruflichem Gymnasium, der im Januar 2019 mit dem Juryentscheid zugunsten der Baupiloten aus Berlin endete. Für den Neubau stand ein Grundstück auf der sogenannten Trompeterwiese östlich des Altbaus zur Verfügung – ein bis dahin hauptsächlich für den Hundeauslauf genutztes und nach einer 1971 von Charlotte Sommer-Landgraf angefertigten Skulptur eines Trompeters benanntes Areal.
Die Baupiloten sind schon lange für ihren Partizipationsansatz bekannt, bei dem die Beteiligung bereits in frühen Planungsphasen beginnt. Das interdisziplinäre Team nähert sich im Dialog mit Bauherrschaft und Nutzenden einer dem jeweiligen Kontext angepassten, letztlich einzigartigen Lösung einer Bauaufgabe an. Folgerichtig wurden auch in Dresden Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern im Rahmen von begleitenden Beteiligungsverfahren kontinuierlich in alle wesentlichen Planungsentscheidungen zur schrittweisen Konkretisierung der Architektur eingebunden. So wurden zum Beispiel in einem »Visionen-Verhandlungsspiel« Raum-, Farb- und Materialkonzeptionen entwickelt. Die Anordnung der einzelnen Bereiche folgte der Grundidee, neuen Lernformen sowie vielfältigen Begegnungs- und Kommunikationssituationen Raum zu geben. So stehen etwa in Freiarbeitsbereichen, die sich auch für den individuellen Rückzug eignen, spezielle Sitz- und Liegemöbel (»Lümmelplätze«) zur Verfügung, die ebenso wie die an vielen Stellen eingeplanten »Sitzfenster« mit Aussicht in die grüne Umgebung oder in Gemeinschaftsbereiche dem Erweiterungsbau eine besondere spielerische und zugleich lässige Anmutung verleihen.
Die »Gemeinsame Mitte« ist das Herzstück und zugleich das Schaufenster des Neuen Lernhauses: die zweigeschossige Aula, die auch für Konzerte und für Theateraufführungen genutzt und zu diesem Zweck dank einer mobilen Trennwand um den angrenzenden Theaterraum erweitert werden kann, die von den Schülerinnen und Schülern selbst betriebene Cafeteria mit direkter Anbindung an den öffentlichen Weg, der zwischen Alt- und Erweiterungsbau verläuft, die großzügigen Erschließungs- und Kommunikationsflächen mit den schon erwähnten Lümmelplätzen im ersten Obergeschoss und auch die unmittelbar daran angrenzende Schulbibliothek. Letztlich gehört auch die Brücke über den erwähnten Weg, die das Neue Lernhaus an den Altbau anschließt, zur Gemeinsamen Mitte. Sie ist in der gleichen auffallenden Leitfarbe Rot gehalten wie die Brüstungen der U-förmigen Galerie als einzige Farbakzente der ansonsten durch jeweils hellgraue Betonflächen, Fensterprofile (zwischen den großflächigen Glasscheiben), Sauerkrautplatten (an der Decke) und Bodenplatten geprägten Aula, die dauerhaft nur durch ein von allen nutzbares Klavier möbliert ist, bei Bedarf aber mit eleganten stapelbaren Stühlen ausgestattet werden kann. Im Erdgeschoss – mit Ausrichtung auf eine bislang unvollendete Terrasse (die Pergola fehlt noch) – schließt sich noch die Mensa mit großem Küchenbereich an, über den auch das Kinderhaus des Vereins Huckepack sowie diverse externe Einrichtungen mitversorgt werden. Im ersten Obergeschoss des leicht versetzten nördlichen Gebäudetrakts ist die Verwaltung untergebracht.
Das zweite und das dritte Obergeschoss werden durch Lerncluster für Schülerinnen und Schüler der 9. bis 13. Klasse geprägt: Jeweils fünf Klassenräume – die nachmittags als Werkstätten genutzt werden – und zwei »grüne Klassenzimmer« im Außenbereich fassen eine zentrale, flexibel möblierbare Gemeinschaftslounge mit einer Teeküche, einem Lagerraum und einer Garderobe inklusive großen Schuhschränken im Zugangsbereich. Diese Cluster gehen auf sogenannte Atmosphären-Mosaike zurück, die im Rahmen des Beteiligungsprozesses (unter anderem mit einem Tagesworkshop »Weiterdenkenwerkstatt«) konzipiert wurden. Auch hier – mit ähnlichen Materialien und zurückhaltender Farbpalette wie in der Gemeinsamen Mitte – sind es vor allem die Heranwachsenden, die Leben und auch im wörtlichen Sinne Farbe in den Schulalltag einbringen sollen.
Die Baupiloten haben es wieder einmal geschafft, mit vergleichsweise wenig finanziellen Mitteln (12.5 Millionen Euro netto für die Kostengruppen 200 bis 700), aber viel Engagement und sowohl architektonischer als auch kommunikativer Kompetenz eine bauliche Umgebung zu schaffen, in der Lernen, auch – ganz im Sinne von Maria Montessori – voneinander Lernen, wirklich Spaß machen kann.
Projektinformationen Erweiterung Freie Montessorischule Huckepack
Standort
Dresden, Sachsen, Deutschland
Bauherrschaft
Huckepack e. V., Dresden
Architektur
Baupiloten BDA, Berlin
Isabella Bönke, Paula Brücke (Wettbewerb), Konrad Byron, Dominique Esterl (Wettbewerb), Claus Friedrichs, Susanne Hofmann, Michaela Kunze (Projektleitung bis 2021), Lorenz Kuschnig, Milena Monssen, Luisa Rubisch, Veronika Schubach, Kirk Weisgerber (Wettbewerb) und Nina Wester (Projektleitung ab 2021)
Vorbereitender Partizipationsprozess
Nonconform
Ausschreibung und Bauleitung
IPRO Consult GmbH, Dresden
Landschaftsarchitektur
Schönherr Landschaftsarchitekten PartmbB, Berlin
Tragwerksplanung
Ingenieurgesellschaft Hochbau GbR, Dresden
TGA- und Lichtplanung
GESA Ingenieurgesellschaft für technische Gesamtplanung mbH, Dresden
Akustik und energetische Planung
Ing.-Büro Integrierte Planung Kai Rentrop, Dresden
Fassadenbegrünung
Blaurock Landschaftsarchitektur, Dresden
Vermessung
Ingenieurbüro Falasch mbH, Dresden
Brandschutz
AHA-Studio, Dresden
Aufzugplanung
Planungsgruppe M+M AG, Dresden
PV-Anlage
Energiegenossenschaft egNEOS, Dresden
Tiefbau
iKD Ingenieuer-Consult GmbH, Dresden
Vergabe
Auslobungsworkshop mit anschließendem Wettbewerb