Verspekulierte Städte

Jochen Paul
3. Oktober 2018
© KAP-Forum

Als das KAP-Forum vor einem Jahr damit begann, sein erstes „Gastspiel“ in München zu planen, konnten die Veranstalter nicht voraussehen, welche Brisanz das Thema entwickeln würde – zwischen der größten Mieterdemonstration in der Geschichte der Stadt Mitte September und dem „Wohnungsgipfel“ der Bundesregierung am darauf folgenden Wochenende. Klar war aber, dass München für die Entwicklung der Immobilienpreise so etwas wie das „Brennglas der Republik“ ist: Nirgendwo verlief die Entwicklung in den letzten Jahren annähernd so dynamisch wie in der „Weltstadt mit Herz“ – in den vergangen fünf Jahren jeweils um 10 Prozent.
 
Darüber, wie sich verhindern ließe, unsere Städte weiter zu verspekulieren, diskutierten im Vorhoelzer Forum der TU München die Berliner Stadtplanerin Theresa Keilhacker, die Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München, Elisabeth Merk, der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, Ferdinand Spies, der Geschäftsführer von Art-Invest Real Estate und der Münchner Architekt Dominikus Stark mit den Gastgebern Andreas Grosz und Oliver Herwig. Wer angesichts des breiten Spektrums des Podiums eine kontroverse Diskussion erwartet hatte, mag enttäuscht gewesen sein. Interessant war der Abend dennoch, weil er das Thema in zahlreichen Facetten und mit zum Teil erfrischend prägnanten Statements beleuchtete.
 
So begrüsste Elisabeth Merk die Mieterdemonstrationen als „Lobbyismus, der uns bisher gefehlt hat, weil es dabei um Fragen geht, die sich nicht im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens behandeln lassen“. Außerdem räumte sie freimütig ein, dass man die Themen Erbbaurecht, Konzept- statt Bestbieterverfahren und Berücksichtigung von Genossenschaften bei der Grundstücksvergabe auch schon zwanzig Jahre früher hätte angehen können, aber „Politik und Gesellschaft funktionieren eben auf Druck“. Ferdinand Spies sah die Mietpreisentwicklung kurz- bis mittelfristig als Standortnachteil für München – darauf, wie weit die Mieten noch steigen können, wollte er sich allerdings nicht festlegen lassen.

Dass die hohen Grundstückspreise den Löwenanteil der Kosten ausmachen, ist bekannt. Wenn dann noch, so Dominikus Stark, die Ausbaukosten – also die Kosten mit der geringsten Lebensdauer – überproportional steigen, verschärfe sich die Misere zusätzlich: Am Ende droht die Qualität dessen, was gebaut wird, auf der Strecke zu bleiben, wenn Stadtentwicklung einseitig aus der Sicht von Finanzinvestoren betrieben wird.
 
Reiner Nagel wies darauf hin, dass die boomenden Metropolregionen und die schrumpfenden Landstriche vor allem im Osten des Landes zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, man die gegenläufigen Entwicklungen also zusammen denken muss: Während München bis 2035 mit zusätzlichen 300'000 Einwohnern rechnet, geht die Bevölkerung der Bundesrepublik bis 2060 auf 70 Millionen Einwohner zurück. Und er wies auf einen weiteren Aspekt hin: Mehr und mehr Wohnungen werden dem Markt entzogen, weil Vermieten nicht zum Geschäftsmodell von Investoren gehört, die auf weiter steigende Bodenwerte und Wiederverkauf setzen – und dabei sind vermietete Wohnungen eher hinderlich. Überhaupt lässt sich mit „land banking“, also mit dem Nicht-Entwickeln von Grundstücken, für die eine – wertsteigernde – Baugenehmigung vorliegt, mehr verdienen als mit dem Bau von Wohnungen: In Berlin stiegen die Bodenpreise in den letzten fünf Jahren um 345 %, die Preise für Neubauwohnungen dagegen „nur“ um 60 %.
 
Daran knüpfte Theresa Keilhacker an, die das Thema „Betongold“ vor allem mit renditeorientierten internationalen Investoren verband. Deshalb sah sie in erster Linie die Bundesregierung in der Pflicht, Steuerschlupflöcher wie den Share-Deal – er ermöglicht Unternehmen den Kauf von Immobilien, ohne dass dafür Grunderwerbssteuer fällig wird – zu schließen. Außerdem, so Keilhacker, werde das Instrument auch gerne dafür genutzt, die Eigentumsverhältnisse einer Immobilie zu verschleiern. Womit sie zum Thema Geldwäsche kam: „Wer nichts verdienen muss, sondern Geld nur waschen will, kann auch 25 % mehr bezahlen“.

Auch in München macht der Neubau nur ca. ein Prozent des Gesamtvolumens aus, der Rest findet im Bestand statt. Dort aber, so Elisabeth Merk, „ist Nachverdichtung kaum noch möglich, wenn ein Grundstück – statt wie früher einem – 25 Eigentümern gehört.“ Umso wichtiger ist es, mit geeigneten Instrumenten dafür zu sorgen, dass Mieter möglichst in ihrer Wohnung bleiben können: „Jeder Umzug“, so Theresa Keilhacker, „bedeutet eine Mieterhöhung“.
 
Was tun also? Einig war sich das Podium darin, die Genossenschaften als die einzig nachhaltige Struktur im Immobiliensektor zu stärken, antizyklisch zu denken und zu handeln, Bauvorhaben kleinteilig zu entwickeln – und in hoher Qualität. Dafür aber brauchen die Städte erstens ausreichend qualifiziertes Personal in der Bauverwaltung. Das fehlt vielerorts in einem Ausmaß, dass der von der „Großindustrie“ der Wohnungswirtschaft getragene Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) bereits laut darüber nachdenkt, den Kommunen eigene Mitarbeiter „auszuleihen“. Zweitens brauchen sie Ansprechpartner, mit denen sie das Thema Qualität überhaupt diskutieren können: „Ein Bestandshalter versteht darunter etwas komplett anderes als ein Projektentwickler, der auf den schnellen Verkauf aus ist“, so Elisabeth Merk. Und drittens benötigen sie eigene Wohnungsbestände und Grundstücke, die sie entwickeln können: Dass viele Städte die kaum noch haben, ist eine Spätfolge der Privatisierungseuphorie der 1990er- und 2000er-Jahre.
 
Planen, Bauen und Wohnen sind aber gesamtgesellschaftliche Aufgaben, welche die (Bundes-)politik auch wahrnehmen muss, und Wohnungspolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie langfristig angelegt ist und verlässliche Rahmenbedingungen schafft. Fehlt dieses Verständnis (und davon muss man bei einem Ressortminister, der seinen Baustaatssekretär erst zwei Tage vor dem mit großem Getöse angekündigten „Wohnungsgipfel“ in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, nur um diese Entscheidung drei Tage danach wieder rückgängig zu machen, leider ausgehen), lässt sich der Mangel nicht kurzfristig durch mehr Geld beheben. Insofern werden Instrumente wie das Baukindergeld, eine zaghafte Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus oder Sonderabschreibungen allein nicht viel bewirken.
 
Zurück zum Vorhoelzer Forum: Dass an dem Abend die ein oder andere Frage – etwa wie sich „dem Geld eine verantwortliche Rolle zuweisen“ lässt, wenn es andererseits „kaum noch verantwortungsvolle Bauherrn gibt“ – offen blieb, war nicht anders zu erwarten. Das wiederum bietet garantiert genügend Stoff für eine Folgeveranstaltung.