Beobachten und beobachtet werden – zum Tod von Dan Graham

Elias Baumgarten
24. Februar 2022
Dan Graham 2018 im Interview mit dem Magazin des Louisiana Museum of Modern Art über seine Kindheit und seine Kunst (Screenshot von YouTube: Elias Baumgarten)
»I think I’m recreating childhood desires.«

Dan Graham

 

Dan Grahams Kindheit war nicht unbeschwert. Es sei eine unglückliche Zeit gewesen, sagte er später. Er litt unter psychischen Problemen, bekam schon mit dreizehn Jahren Psychopharmaka. Die Schule mochte er so gar nicht, stattdessen las er lieber Science-Fiction-Romane. Die Beziehung zu seiner Mutter war schwierig, übermäßig intellektuell und bisweilen kühl sei sie gewesen, erinnerte er sich 2018 in einem Interview für das Magazin des Louisiana Museum of Modern Art. Doch zugleich habe die Lernpsychologin sein Interesse an der Arbeit mit Kindern geweckt. Überhaupt war Graham von seiner Kindheit geprägt: Die Science-Fiction-Literatur löste bei ihm eine Faszination für paradoxe Zeitabläufe aus. Und nachdem er mit seinem Vater ein Teleskop gebaut hatte, begeisterte er sich neben der Astronomie auch für optische Phänomene und insbesondere für die Wirkung von Spiegeln. 

Seine architektonischen Installationen aus Spiegelglas und Stahl seien nicht nur spannend für Erwachsene und Kunstbegeisterte, die sich gerne darin fotografieren, meinte er, sondern auch Spielplätze für Kinder. Anders als die uninspirierten Spielplätze seiner Jugend mit den immer gleichen Geräten würden sie wirklich spielerisches Verhalten zulassen und Kindern echte Freude bereiten. Graham bewunderte den niederländischen Architekten Aldo van Eyck (1918–1999), weil der neben Gebäuden auch über 700 oft sehr unkonventionelle Spielplätze entwarf. Ein weiterer Niederländer inspirierte ihn unterdessen zur Arbeit mit Spiegel: der berühmte Maler Jan van Eyck (1390–1441).

 

»I’m greating optical toys.«

Dan Graham

 

Es waren besonders diese Pavillons, die ihre Kraft aus dem Wechselspiel von sehen und gesehen werden schöpfen, die Graham in Europa bekannt machten. Sie tauchten überall auf öffentlichen Plätzen, in Parks und an Kunstschauen auf. Fünfmal allein wurde er zum Beispiel zur Documenta nach Kassel eingeladen. Besonders die Platzierung seiner Objekte in Parks – wie etwa beim »Gate of Hope« 1993 in Stuttgart geschehen – dürfte dabei nach seinem Geschmack gewesen sein: Dan Graham interessierte sich sehr für Landschaftsarchitektur. Grünanlagen verstand er als Museen.

 

Pavillon von Dan Graham auf dem Gelände des Heizkraftwerks Berlin-Mitte, 1999 (Foto: Bewag AG)

 

Weithin bekannt wurde Dan Graham mit seiner Werkreihe »Homes for America« (1966–1967). Die Fotografien wurden zusammen mit einem Essay zunächst im New Yorker Arts Magazine abgedruckt. Die Arbeit war eine Auseinandersetzung mit den Suburbs der amerikanischen Großstädte und ihren standardisierten Bauten – man könnte wohl auch von Instant-Architektur sprechen. Sie lässt sich durchaus auch als Gesellschaftskritik lesen. Dass Graham »Homes for America« in einer Zeitschrift platzierte statt im Museum, war dabei kein Zufall. Denn was heute als eines der ersten Beispiele konzeptueller Kunst rezipiert wird, war eigentlich als Aktion gegen die Galerie als Präsentationsraum gedacht. Nach dem Philosophiestudium hatte Graham sich nämlich kurz als Galerist versucht und dabei gelernt, dass Arbeiten, die in der Fachpresse keine Beachtung finden, irrelevant sind. Was nicht als Foto reproduziert und von Kritikern besprochen werde, erlange kaum den Status der Kunst, schrieb er. 

Interessant an Graham war auch seine Nähe zur Architektur. Mit seiner Frau unternahm er zahlreiche Reisen, um Gebäude zu besichtigen. Tickets und Einladungen zu bekommen, sei das Privileg eines erfolgreichen Künstlers, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln. Er besuchte das Haus Müller in Prag von Adolf Loos. Auch mit Ludwig Mies van der Rohe setzte er sich auseinander. Die Arbeiten von Atelier Bow-Wow und von Itsuko Hasegawa begeisterten ihn. Möglich, dass seine eleganten Konstruktionen aus Stahl und Spiegelglas auch mit seiner Wertschätzung für die japanische Architektur in Zusammenhang standen. Trotz seiner Leidenschaft für die Disziplin wollte Dan Graham allerdings nie selber Architekt werden. Er arbeite lieber im Feld zwischen Kunst und Architektur, sagte er einmal.

 

Dan Graham, »Gate of Hope«, Stuttgart, 1993 (Foto: Pjt56 via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)
»Art is about humor.«

Dan Graham

 

Dan Graham meinte übrigens, man solle niemals eine Karriere als Künstler planen. Denn wer das tue, produziere unweigerlich langweilige Arbeiten. Humor und Emotion, sagte er, seinen für die Kunst essenziell. Aber teils sei seine Kunst auch ein durchaus aggressives Abarbeiten an Werken, die ihm missfallen. Neben der Kunst schrieb Dan Graham klug und leidenschaftlich über verschiedenste Themen. Er war überaus reflektiert und beeindruckend vielseitig interessiert. Zu seinem Œuvre gehörten auch Performances und Videos. Offen sprach er über seine Arbeit und seine Inspirationsquellen. Mit ihm ist einer der wichtigsten Vertreter der Konzeptkunst gestorben. Sein Tod ist ein Verlust nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Architektur, die er so sehr schätzte.

 


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