Brutal – aber schön?

Martina Metzner
6. November 2017
Aushängeschild des Brutalismus: die Boston City Hall von Kallmann McKinnell & Knowles sowie Campbell, Aldrich & Nulty, gebaut von 1962 bis 1969 (Bild: Bill Lebovic)

Anfang August ging ein Raunen durch die internationale Architekturgemeinde: nach Jahren von Protesten gegen den Abriss der Robin Hood Gardens von Peter und Alison Smithson siegte dennoch die Politik und die Bagger rückten an. Bye bye Kultur- und Architekturgut. So wie den Robin Hood Gardens droht auch anderen Gebäuden in brutalistischer Bauweise die Ausradierung aus der Geschichte. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (DAM) geht der Sache nun auf den Grund: Mit „SOS Brutalismus“ eröffnet am 9. November eine Ausstellung, die sich dieser Ära der Baugeschichte, die vor allem öffentliche Gebäude, Rathäuser, Turnhallen oder Kirchen hervorgebracht hat, annimmt.

Im vergangenen Jahr abgerissen: Birmingham City Library von John Madin, gebaut von 1969 von 1973 (Bild: Jason Hood)
Keine Raumfahrtstation, sondern: Hotel Rus in Sankt Petersburg von O. Gurevich, V. Zhukov, gebaut von 1980 bis 1988 (Bild: Konstantin Antipin)

Das Team um Kurator Oliver Elser, unterstützt von der Wüstenrot Stiftung, will nicht mehr als ein Umdenken im Umgang mit den im Volk ungeliebten „Betonriesen“ bewirken. So sind auf der Webseite www.sosbrutalism.org mittlerweile mehr als 1000 Bauten aus der ganzen Welt indiziert, 108 davon stehen auf der „roten Liste“ und sind – dem Artenschutz gleich – vom Untergang bedroht. Dank des gleichnamigen Hashtags #SOSBrutalism konnte man weltweit dafür weitere Gleichgesinnte und Interessierte finden, die so einen Teil zur Ausstellung und nicht zuletzt zur Erhaltung beigetragen haben. So entstand in den vergangenen Jahren ein weltweites Netzwerk via Facebook, Twitter, Tumblr und Instagram.

Ganz ohne Dekor ging’s nicht: Pahlavi-Universität (heute: Universität Schiras) von Minoru Yamasaki Schiras, Iran, gebaut von 1960 bis 1979 (Bild: Hamidreza Bani)
Dank Bürgerinitiativen gerettet: Kulturzentrum im österreichischen Mattersburg von Herwig Udo Graf, entstanden zwischen 1973 und 1976 (Bild: DAM)

Erste Erfolge konnte die Bewegung im österreichischen Burgenland erzielen, wo ein Kulturzentrum erhalten wurde. Trauriges Beispiel ist allerdings Frankfurt selbst: der AfE-Turm, das technische Rathaus sowie das Historische Museum mussten neuer Stadtplanung weichen. In der Ausstellung werden neben diesen Kapiteln vor allem internationale Schwerpunkte des Brutalismus beleuchtet – Israel, Japan, Südamerika, selbstverständlich Großbritannien, die USA, aber auch viele westdeutsche Kirchenbauten. Die Betonkirchen von Gottfried Böhm, dessen Nachlass sich in den Beständen des DAM befindet, werden besonders gewürdigt.


SOS Brutalismus
Deutsches Architekturmuseum DAM, Frankfurt am Main
Eröffnung (geänderter Termin): Mittwoch, 8. November 2017, 19 Uhr
Ausstellung: 9. November 2017 bis 2. April 2018
weitere Informationen
 
Katalog zur Ausstellung
SOS Brutalismus – eine internationale Bestandsaufnahme
Herausgegeben von Oliver Elser, Philip Kurz, Peter Cachola Schmal
Erscheint bei Park Books, weitere Informationen hier