Dichte Packung

Elias Baumgarten
2. April 2019
Die Publikation »Herzblut« gliedert sich in zwei Bände. (Foto: Elias Baumgarten)

Als der Verein architektur in progress gegründet wurde, dominierten wenige Platzhirsche das österreichische Architekturgeschehen. Für junge Architekt*innen gab es kaum eine Bühne. Auch herrschte wenig Austausch zwischen den verschiedenen Architekturschulen und über regionale Grenzen hinweg. Man kannte, schätze und förderte sich in sehr kleinen Kreisen, wie Volker Dienst, Initiant von architektur in progress, in seiner Einführung schreibt. Das Architekturgespräch war damals sehr elitär. Viele blieben außen vor. Um diese Strukturen aufzubrechen, organisierte architektur in progress unzählige Vorträge, an denen junge Architekt*innen und Vertreter aller Hochschulen teilnahmen. 

Jetzt hat der Verein zwei Bücher vorgelegt, die als Zusammenfassung der seit 1997 geleisteten Arbeit zu verstehen sind. 150 Architekturschaffende, die über die letzten zwei Dekaden von architektur in progress organisierte Vorträge gehalten haben, werden in der Publikation vorgestellt – von A wie A01 architects bis Z wie Arkan Zeytinoglu Architects. Der erste Band umfasst die Buchstaben A bis L und Büros wie AllesWirdGut, BEHF, DMAA, EOOS und feld72. Im zweiten folgen Teams wie LAAC, Pichler & Traupmann Architekten, Querkraft und UNstudio.

Für jedes Büro ist eine Doppelseite reserviert. (Fotos: Elias Baumgarten)
Akribische Interviews statt platter PR-Texte

Jedes Büro wird auf einer Doppelseite vorgestellt. Dort befinden sich links Beschreibungstexte in deutscher und englischer Sprache sowie die wichtigsten Daten. Rechts ist ein Schlüsselbild angeordnet und mitunter findet sich dort ein pointiertes Zitat. Als Basis für die Texte hat das Redaktionsteam unter Leitung von Manuela Hötzl Interviews mit allen Protagonist*innen geführt und diese zusammengefasst. So ist es vielfach gelungen, die Haltung der Architekt*innen eindrücklich herauszuschälen.

So erfahren wir, dass Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp von Querkraft besonders auf die Arbeit im Kollektiv mit allen ihren Mitarbeiter*innen setzen. Ihre Aufträge sichern sie sich samt und sonders über Wettbewerbe. Ein mühsames Unterfangen, wie sie Christine Müller erzählt haben: 8 bis 10 erfolglose Teilnahmen stehen einem gewonnen Konkurrenzverfahren gegenüber. Ein enormer Arbeits- und Finanzaufwand. 

Markus Scherer hingegen, der im Jänner 2019 mit dem Südtiroler Architekturpreis ausgezeichnet wurde, interessiert sich schon immer für das Bauen im Bestand und den Umgang mit denkmalgeschützter Bausubstanz, wie er Isabella Diessl verriet. Alten Häusern nähert er sich wie ein Archäologe. Mit seinen Eingriffen versucht er sodann verschiedene Zeitschichten sicht- und erlebbar zu machen. Als Schlüsselbild wählte er seine Umgestaltung der Festung Franzenfeste (2017) an der Brennerstraße bei Meran aus, an der er 12 Jahre gearbeitet hat.

Im Buch werden auch ausländische Architekt*innen vorgestellt. Dabei ist es mitunter gut gelungen, deren Bezug zu Österreich herauszuarbeiten. So lernen wir, dass der Bayer Peter Haimerl als junger Architekt bei Günther Domenig, Raimund Abraham und Klaus Kada arbeitete. Diese Zeit prägte ihn sehr. Er machte sich den großen künstlerischen Anspruch seiner österreichischen Kollegen zu eigen. Gerade der Bezug zu Domenig wird in seinen Gestaltungen, etwa dem Umbau des Hofs Schedlberg im Bayerischen Wald, besonders deutlich.

Wertvolle Sammlung

Die beiden Bände sind sehr hochwertig gearbeitet und schön aufgemacht. Sie wurden in Österreich gedruckt und von studio VIE gestaltet. Bereits die Covers – eines weiß, das andere schwarz – sind, mit Relief-Lack veredelt, Hingucker. Leider wird das Lesevergüngen aber durch die Typografie etwas gebremst: Die Laufweite ist vergleichsweise groß gewählt, die Zeilenabstände zu klein – das erfordert viel Konzentration beim Lesen. Mühe bereiten auch die Inhaltsverzeichnisse: Im Buch sind die Büros zwar alphabetisch geordnet und fortlaufend nummeriert, doch in der Übersicht sind sie in chronologischer Reihenfolge der Vorträge sortiert. Das stiftet Verwirrung und erschwert bisweilen das Nachschlagen.

Sieht man von diesen Wermutstropfen ab, sind die beiden Bücher ein großartiges und überaus dichtes Nachschlagewerk mit kurzen wie spannenden Texten. Freilich gehen viele Protagonist*innen mittlerweile nicht mehr als jung durch. Die Publikation zeigt so auch, wie weit es viele Nachwuchsarchitekt*innen mittlerweile gebracht haben. Sie ist eine Pflichtlektüre. Hoffen wir, dass ihr Erscheinen viele junge Architekt*innen hierzulande ermutigt, ein eigenes Büros zu eröffnen. Denn noch immer werden die meisten frischen Talente von den großen, etablierten Teams aufgesogen. 

Herzblut. 150 Positionen zur Architektur in und um Österreich

Herzblut. 150 Positionen zur Architektur in und um Österreich
architektur in progress, Volker Dienst

280 x 210 mm
388 Seiten
Paperback
ISBN 9783903228986
Verlag für moderne Kunst
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