Formen und Emotionen – zum Tod von Justus Dahinden

Elias Baumgarten
16. April 2020
»Zelthaus« auf der Rigi, 1955 (Foto: Datenarchiv Justus Dahinden via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Seine Architekturen sind Räume für das Zusammensein. Sie zeichnen sich durch klare, kraftvolle Geometrien aus, brechen mit dem Primat des rechten Winkels. Aus ihren phantasievollen Formen sprechen ein unbändiger Gestaltungswille und größte Kreativität. Justus Dahinden ist tot. Er starb am 11. April. Die Schweiz verliert einen ihrer herausragendsten Architekten der Nachkriegszeit, einen Gestalter, der weit über das Land hinaus bekannt und geschätzt war. Auch zu Österreich hatte der Schweizer eine starke Bindung: Er war lange Professor an der Technischen Universität Wien.

Justus Dahinden war gerade 30, als seine Karriere 1955 mit einem Paukenschlag startete: Für seinen Vater Josef, einen umtriebigen Schweizer Skipionier, gestaltete er auf der Rigi, einem Massiv unweit von Luzern, ein Ferienhaus, dessen pyramidenförmiges Dach geradezu über dem Hang zu schweben scheint. Das ikonische Gebäude, ein Nurdachhaus, besitzt keine lotrecht aufragenden Außenwände. Mit seiner Dynamik und Kraft, seiner besonderen Formensprache und seiner Fähigkeit, Emotionen zu wecken, ist es ein Schlüsselwerk, möchte man Dahindens Architektur verstehen.

»Ferrohaus«, Zürich, 1970 (Foto: Roland zh via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

1970 wurde Dahindens »Ferrohaus« in Zürich fertig, das heute als »Pyramide am See« bezeichnet wird. Mit den selben schrägen Formen, die schon das Ferienhaus auf der Rigi ausgezeichnet hatten, aber auch der Fassade aus Cortenstahl und Glas provozierte es insbesondere konservative Zeitgenossen, transportierte aber auch in besonderem Maße die Aufbruchsstimmung der 1970er-Jahre. Die unkonventionelle Form war überdies auch die pfiffige Lesung und maximale Ausnutzung der Baugesetzgebung. Regeln setzen der Kreativität eben nicht zwangsläufig Grenzen, sondern fordern sie bisweilen heraus. 

Auch international feierte Dahinden große Erfolge. So zum Beispiel in München, wo er das legendäre Einkaufszentrum »Schwabylon« (1973) gestaltete, einen fast fensterlosen Bau in knalligen Farben, der an eine Stufenpyramide erinnerte. Obwohl das Gebäude 1979 schon wieder abgebrochen wurde, wirkte es in der Stadt lange nach. So zierte eine Aufnahme des Baus noch 1997 das Cover der CD »The Sound of Munich« der Band Merricks. Erhalten ist in der bayerischen Landeshauptstadt hingegen Dahindens famoses Restaurant »Tantris« (1971), das heute samt Interieur unter Denkmalschutz steht. 1974 wurde Dahinden aufgrund seiner internationalen Leistungen als Professor an die Technische Universität Wien berufen. 1995 wurde er emeritiert, blieb aber gleichwohl Leiter der Forschungseinheit »Mensch und Raum«.

Justus Dahinden war ein belesener und gläubiger Mensch. Seine Spiritualität, sein Menschenbild und seine architektonische Haltung kommen in seinen vielen Kirchenbauten, über 30 an der Zahl, eindrücklich zusammen. Er gestaltete Gotteshäuser auf der ganzen Welt; zu seinen im D-A-CH-Raum bekanntesten und vielleicht schönsten dürfte die Kirche Maria Krönung (1965) in Zürich-Witikon mit ihrer runden Konfiguration zählen. Justus Dahinden wurde 95 Jahre alt.

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