Kanaltalersiedlung: Gibt es doch noch eine einvernehmliche Lösung?

Manuel Pestalozzi
9. November 2021
Die sorgsam gepflegten Gemeinschaftsgärten sind die vielleicht wichtigste Besonderheit der Siedlung, die in den Jahren 1940 und 1941 errichtet wurde. (Foto © Initiativgruppe für die Neue Heimat-Kanaltalersiedlung Villach)

Das Kanaltal im nördlichen Friaul gilt als eine für den ganzen Alpenraum einzigartige Region: Alle drei großen europäischen Sprachfamilien – die germanische, die romanische und die slawische – treffen dort aufeinander. Österreicher, Slowenen und Friulaner leben in der Region seit Jahrhunderten zusammen. Doch der Erste Weltkrieg wurde zur historischen Zäsur im Dreiländereck: Nach der Niederlage Österreich-Ungarns wurde das Gebiet Italien zugesprochen, bis heute gehört es zur Region Friaul-Julisch Venetien (Regione Autonoma Friuli Venezia Giulia). 

Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der deutschsprachigen Bevölkerung im Oktober 1939 die Abwanderung ins Deutsche Reich nahegelegt. Dazu hatten Hitler und Mussolini eigens ein Abkommen geschlossen. Grob beschönigend wurde von einer »Option« gesprochen, doch eine echte Wahlmöglichkeit hatten die Menschen nicht: Blieben sie ihrer Heimat treu, mussten sie eine repressive Italianisierungskampagne ertragen. Und das Nazi-Regime machte zusätzlich Druck. So entschieden sich zunächst 98 Prozent für die Auswanderung ins »Dritte Reich«, und um 70 Prozent der Betroffenen ließen dem tatsächlich Taten folgen. In Südtirol lag die Bereitschaft, die Heimat gen Norden zu verlassen, übrigens mit rund 30 Prozent deutlich niedriger.

Wohnraum für die Umgesiedelten

Um diese Menschen unterzubringen, entstanden vielerorts spezielle Siedlungen. So auch die Kanaltalersiedlung in Villach, deren Zukunft aktuell umstritten ist. Die Anlage besteht aus langen, niedrigen, ins Gelände eingepassten Reihenhäusern, die teilweise Höfe umschließen, in denen Gemeinschaftsgärten angelegt wurden. Das Quartier hat Heimatstil-Charakter, man sieht ihm seine Entstehungszeit deutlich an. Es verfügt neben Wohnbauten auch über Geschäfte.

Ein geschichtliches Zeugnis mit städtebaulicher Qualität, doch veraltet?

Vor rund sechs Jahren schon beschloss die gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Neue Heimat, die Siedlung abzubrechen und mit mehrgeschossigen, punktförmigen Wohnhäusern zu ersetzen. Der Bestand sei hoffnungslos veraltet, argumentierten die Verantwortlichen damals. Von Anfang an gab es gegen diesen Plan Proteste. Trotzdem wurden die ersten zwei Etappen des Vorhabens umgesetzt. Daraufhin bildete sich eine Bürgerinitiative, die bis heute mit Aktionen und Begehungen um den Erhalt des Restbestands der historischen Anlage kämpft. 

Begehungen wie diese sollen die Bevölkerung wachrütteln und auf den architektonischen und städtebaulichen Wert der Kanaltalersiedlung aufmerksam machen. (Foto © Initiativgruppe für die Neue Heimat-Kanaltalersiedlung Villach)
Wieder miteinander sprechen

Im Rahmen des LandLuft Baukulturgemeinde-Preises 2021 erhielt die Bürgerinitiative nun den LandLuft-Sonderpreis für außergewöhnliches Engagement. Als Erfolg wird in diesem Zusammenhang die Erarbeitung des Leitfadens »Quartier & Wir« genannt, der Wege zur nachhaltigen Weiterentwicklung von Bestandsquartieren aufzeigt. Zuletzt stellten sich die Villacher Grünen auf die Seite der Bürgerinitiative und kritisierten, dass das Projekt bisher zu wenig breit diskutiert worden sei. Schließlich sprechen auch ökologische Aspekte für Sanierung und Erhalt der Bauten. Inzwischen ist zumindest etwas Bewegung in die Sachen gekommen, die Fronten sind nicht mehr gänzlich verhärtet: Die Wohnbaugenossenschaft hat sich bereit erklärt, mit Vertreter*innen der Bürgerinitiative Gespräche zu führen. Man glaube daran, hieß es unlängst, doch eine für alle Seiten akzeptable Lösung finden zu können. Ein runder Tisch ist angekündigt. Und erste Architekturschaffende machen bereits Vorschläge, wie die Siedlung fit für die Zukunft gemacht werden könnte.

Andere Artikel in dieser Kategorie