Referenzen und Fragmente
Ulf Meyer
30. März 2023
Vermeintlich besteht das Doppelhaus aus zwei Bauten. Doch unterirdisch sind die beiden Hausteile miteinander verbunden. (Foto: © Gustav Willeit)
Die Südtiroler Architekturschaffenden Nadia Erschbaumer und Martin Seidner haben einen niedergebrannten Hof durch ein Doppelhaus ersetzt. Die auf den ersten Blick moderne Architektur steckt voller Bezüge zur lokalen Bautradition.
Die kleine Ortschaft Orsonnens liegt im Westschweizer Kanton Fribourg inmitten einer ländlichen Gegend. Als dort 2019 die neue Dorfschule von TEd’A arquitectes eingeweiht wurde, sorgte die unbekümmerte Verwendung von alpenländischer Holz-Schnitz-Ornamentik an dem modernen Bau noch für einiges Aufsehen und durchaus auch für eine gewisse Aufregung. Doch in den letzten Jahren ist es im Alpenraum üblich geworden, abstrahierte Folklore-Elemente bei zeitgenössischen Bauten einfließen zu lassen und ihnen so einen interessanten ästhetischen Touch zu geben. So auch bei einem neuen Doppelhaus in der Südtiroler Gemeinde Pflersch, das vom Büro Naemas Architekturkonzepte aus Bozen entworfen wurde.
Die Gestaltung stammt aus der Feder der Architekturschaffenden Nadia Erschbaumer und Martin Seidner. Sie bekamen den Auftrag, nachdem ein Brand den Erbhof der Bauherrschaft 2018 zerstört hatte. Die Eigentümer wollten das Gebäude zunächst an einer anderen Stelle neu errichten lassen, um dem unmittelbaren Genius Loci zu entkommen. Die Analyse des Baugrundstücks nach Parametern wie Orientierung, Blick und Lichteinfall, Topografie und Baurecht führte schließlich jedoch dazu, dass der Neubau in ähnlicher Lage wie das vorherige Gebäude errichtet wurde. Die erhöhte Position an einem Südhang bietet auch im Winter gute Besonnung. Mehrere Bergspitzen, die Kapelle des nahen Weilers Ast und ein alter Apfelbaum dienen als »point de vue«.
Die Architekten scheuten sich nicht davor, bei dem Neubau traditionelle Ornamente zu zitieren und zahlreiche Referenzen an die Südtiroler Baugeschichte in ihre Gestaltung einfliessen zu lassen. (Foto: © Gustav Willeit)
Aufgrund der Lawinengefahr befindet sich die Anlage am Waldrand. (Foto: © Gustav Willeit)
Foto: © Gustav Willeit
Das Doppelhaus besteht aus zwei Baukörpern. Sie wurden horizontal wie auch vertikal unterschiedlich positioniert. Von außen kann man deutlich zwei Häuser wahrnehmen, die sich jeweils ins Gelände einfügen. Unterirdisch aber sind beide Gebäude miteinander verbunden.
Die Anordnung an einem baumbestandenen Wanderweg ist der nahen Lawinenzone geschuldet. Die moderne Architektur scheut, wie eingangs erwähnt, weder historische Zitate noch traditionelle Materialien. Ein asymmetrisches Satteldach, Holz und Stein prägen die Gestaltung. Die Chalets haben Fassaden aus dunkel lasierter Lärche mit reicher Ornamentik und zwei naturbelassenen Nischen.
Foto: © Gustav Willeit
Das Doppelhaus wartet mit sorgsam arrangierten Ausblicken in die Südtiroler Bergwelt auf. (Foto: © Gustav Willeit)
Im Inneren sind die beiden Häuser unterschiedlich gestaltet: Der tiefer gelegene Baukörper ist innen in Lärche, Naturstein und Leinenstoffen gehalten. Der obere hingegen ist das moderne Gegenbild. Er besteht aus eingefärbtem Sichtbeton, weist Terrazzoböden und Einbaumöbel in poppigen Farben auf. Der Wohnraum dieses Baus ist eine Neuinterpretation der traditionellen Stube: Sichtbeton, eine getäfelte Holzstruktur und ein farbiger Ofen sind dort miteinander kombiniert. Und dank einer historischen Fotografie konnte ein Fassaden-Muster aus dem Altbau in den Neubau übernommen werden.
Die Innenräume leben von der Spannung zwischen Geschichte und Gegenwart. (Foto: © Gustav Willeit)
Foto: © Gustav Willeit
Foto: © Gustav Willeit
Grundriss Ebene 1 (© Naemas Architekturkonzepte)
Grundriss Ebene 2 (© Naemas Architekturkonzepte)
Grundriss Ebene 3 (© Naemas Architekturkonzepte)
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