Wie wird Hans Holleins Architektur heute rezipiert?
Zurzeit läuft im Architekturzentrum Wien die Ausstellung »Hollein Calling«. Im begleitenden Buch sprechen Architekt*innen über ihre Beziehung zum Werk des einzigen österreichischen Pritzker-Preisträgers.
Hans Hollein (1934–2014) gehört zu den Schlüsselfiguren der österreichischen Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre. Als junger Architekt schloss er sich in Wien gleichgesinnten Künstlern an, die den »trivialen Funktionalismus« der damaligen Architektur kritisierten. Furore machte der einzige Pritzker-Preisträger unseres Landes mit der Ausstellung »Architektur« (1963, Galerie St. Stephan), die er gemeinsam mit Walter Pichler entwickelt hatte. Die beiden zeigten utopische Entwürfe von Stadträumen und verfassten Manifeste, die sie im Ausstellungskatalog abdruckten. Zur selben Zeit erlangte Hollein mit kleinen Projekten wie seinem famosen Kerzengeschäft »Retti« (1965) Bekanntheit – ebenso wie mit seinem berühmten Text »Alles ist Architektur« (1967). In jenen Jahren stilisierte sich Hollein, der ein Leben lang ein akribischer Kurator seines Werks blieb, zum Avantgardisten. Später entwickelte er sich zum »Stararchitekten« und gestaltete Großprojekte. Mitunter überstrahlte dabei seine schillernde Persönlichkeit seine Architektur.
Doch welche Bedeutung hat Holleins Schaffen für Architekt*innen heute? Gibt es Gestalter*innen die bei seinen Bauten, Texten und Kunstwerken andocken oder sich an ihnen reiben? Dem geht das Architekturzentrum Wien (Az W) zurzeit mit der großen Ausstellung »Hollein Calling. Architektonische Dialoge« nach. Begleitend zur Schau ist bei Park Books ein Buch erschienen, das nach der Bedeutung Holleins für eine junge Architektengeneration fragt.
In der Ausstellung werden wegweisende Projekte von Hans Hollein Entwürfen von 15 europäischen Architekturbüros gegenübergestellt, die heute den Diskurs prägen und in der Szene den Ton angeben. Im Buch wird auf diese Form der Gegenüberstellung verzichtet. Stattdessen enthält es Interviews mit den 15 Büros. Jene sprechen darin über ihre Beziehung zu Hans Hollein und dessen Werk. Nicht ganz klar ist leider, wie die Auswahl der Büros erfolgte. Jedoch kann man sie vielleicht bis zu einem gewissen Punkt als Vertreter einer zeitgenössischen Avantgarde begreifen. So kann man das Buch, das ausschließlich in englischer Sprache erhältlich ist, auch als Gedanken zum Avantgarde-Konzept an sich interpretieren.
In den Interviews geht es um Diversität, Ressourceneffizienz und die Vermeidung von »Exzessen« – wichtige Themen, die Architekt*innen aktuell beschäftigen. Teils üben die Interviewten aus dieser Haltung heraus Kritik an Holleins Architektur. Viele ziehen sein Frühwerk mit kleinen Laden- und großen Museumsprojekten den Arbeiten des späteren »Stararchitekten« vor. Häufig wird seine Bedeutung jenseits der Wertschätzung bestimmter Projekte gesehen. Aslı Çiçek aus Brüssel zum Beispiel findet, dass die Diskussionen, die Holleins Bauten auslösen, interessanter sind als sie selbst. Caroline Lateur und Stefanie Everaert von Doorzon aus Gent sehen sich veranlasst, den Geniekult infrage zu stellen.
Den Herausgebern des Buches ist im Zuge der Gespräche aufgefallen, dass es für die Interviewten meist einfacher war, sich über die Arbeit von Hermann Czech der ausdrucksstarken Wiener Avantgarde-Architektur anzunähern als über Holleins. Bemerkenswert ist auch, dass sie über Holleins kleinere Projekte besser einen Zugang zu seiner Architektur finden. So beschreiben Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan, wie es Hollein gelungen ist, mit kleinen Projekten komplexe, gefühlvolle Universen zu schaffen, die mit Botschaften und Bedeutung aufgeladen sind. Letztlich mag der gemeinsame Nenner zwischen den Generationen die Konfrontation mit der Komplexität der Welt sein, die das schöpferische Potenzial herausfordert und gleichzeitig frisch entstehen lässt.
Neben den Interviews zeichnet das Buch auch den Aufbau des »Archivs Hans Hollein, Az W und MAK« nach, den auch die öffentliche Hand unterstützte. Eine Auswahl von Holleins Bauten wird anhand von Skizzen, Modellen, Fotos, Prototypen und Dokumenten aus dem Archiv präsentiert – vieles davon wurde bis anhin noch nie veröffentlicht. Die Darstellung wird vervollständig durch Texte, die die Projekte einordnen. Unter den »Archivperlen« ist das Kerzengeschäft Retti genauso wie das Museum »Vulcania« im französischen Saint-Ours-les-Roches (2002). Die Dokumentation lässt nachvollziehen, wie sich der Architekt an seine Aufgaben herantastete.
In einem abschließenden Essay beleuchtet unterdessen Architekt Mark Lee Hans Holleins Bedeutung für Amerika. Man liebt ihn dort demnach als Schöpfer von »Gesamtkunstwerken«, wertschätzt besonders seine Arbeit als Universalkünstler. Hollein selbst hegte große Bewunderung, ja Begeisterung für die Vereinigten Staaten. Das Land war einer der wichtigsten Einflüsse für seine Architektur.