Zeitgemäße Markenarchitektur – das Gut Wagram

Manuel Pestalozzi
24. März 2022
Die Innenarchitekt*innen von destilat gestalteten den Umbau in allen Details. Sie beteiligten sich selbst am Bepflanzungsplan des Anwesens. (Foto © Monika Nguyen)

 

Bei Clemens Strobl entsteht »handmade Wine«. Der Familienbetrieb in zweiter Generation bezeichnet sich selbst als unkompliziert und keiner Tradition verpflichtet. Die Firma verarbeitet eigene Trauben, die in biologischer Landwirtschaft angebaut werden. Als das Unternehmen nach einem neuen Firmensitz im niederösterreichischen Weinviertel suchte, stand ihm das Innenarchitekturbüro destilat aus Wien bereits bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie beratend zur Seite. Fündig wurden die Gestalter*innen nach längerer Suche schließlich in Kirchberg am Wagram.

 

Der Grundriss des Wohnhauses des einstigen Meierhofs wurde wesentlich abgeändert.

Die Wahl fiel auf den Meierhof des Schlosses Winkelberg, das im 19. Jahrhundert vollständig abgetragen wurde. Der Bau stand über Jahre leer. »Die Bausubstanz war katastrophal: Decken und Kreuzgewölbe waren eingebrochen, der Dachstuhl war morsch, und es hat reingeregnet«, erinnert sich Henning Weimer von destilat. Das 4000 Quadratmeter großen Ensemble besteht nun aus einer Betriebsstätte sowie dem Wohn- und Badehaus. Letzteres musste aufgrund seiner schlecht erhaltenen Bausubstanz von Grund auf saniert und durch Neubauten ergänzt werden. Nach der Sanierung erscheint das zweigeschossige Wohnhaus von außen in seiner historischen Anmutung. Innen hingegen wurde das verwinkelte Gebäude völlig neu erschlossen. Die große Haupttreppe wurde dafür »umgedreht«, und das Team von destilat entwickelte ein neues Geländer mit historischer Formensprache.

 

Eine neue Treppe nimmt die Formensprache des Bestandes auf. (Foto © Monika Nguyen)

Die Arbeit von destilat beschränkte sich bei diesen Projekt nicht auf die Innenarchitektur, das Büro war auch zuständig für die Fassaden- und Platzgestaltung sowie die Wegführung. Sogar der Bepflanzungsplan für den Schlossgarten übernahm das Büro in Kooperation mit einem Landschaftsplaner. Das Endresultat ist ein interessantes Beispiel zeitgemäßer Markenarchitektur. Zu dieser gehören auch der Respekt vor dem Bestand und die Nutzung des Vorhandenen. Authentische Baumaterialien und Handwerkstechniken standen bei der Revitalisierung des Objekts im Fokus: Die antiken Fischgrät- und Tafelparkettböden wurden in Anwesen aus dem 18. und 19. Jahrhundert entdeckt und recycelt, den Steinboden ließ man aus altem, getrommelten Travertin zusammensetzen. Wände und Decken wurden in traditioneller Pinselstrich-Technik gestrichen, Akkustikdecken unter dem tonnenschweren Stuck der historischen Gemäuer versteckt. Die originalen Kastenfenster wurden restauriert, und man versah sie mit Histoglas der deutschen Firma Dörr.

 

Der zurückhaltend repräsentative Charakter der Innenräume widerspiegelt das Credo des Unternehmens. (Foto © Monika Nguyen)

Die Innenarchitekt*innen sind auch stolz auf das eigens entwickelte Beleuchtungssystem: Es rücke alle Räumlichkeiten – vom Wellnessbereich im Kreuzgewölbe bis zum ausgebauten Dachboden – ins beste Licht. Und die Bauherrschaft trumpft mit einem alten Keller und neuer Technik auf. So stehen in den erweiterten historischen Gewölben neben einer alten Korbpresse unterschiedliche Gebinde aus Stahl, Holz und Beton, mit denen experimentiert wird. Der Keller sei jetzt energieautonom, heißt es von Clemens Strobl. – Und das passt zum naturnahen Charakter, mit dem die Firma an die Öffentlichkeit treten möchte.

 

Das neue Beleuchtungskonzept von destilat prägt die Raumstimmung vom Keller bis zum ausgebauten Dachboden. (Foto © Monika Nguyen)

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