La Cité du Vin in Bordeaux

Dem Wein ein Haus

Thomas Geuder
29. November 2016
In Bordeaux haben XTU Architects ein neues Wahrzeichen geschaffen, dessen amorphe Form und goldfarben schimmernde Fassade weithin sichtbar sind. (Bild: Anaka / XTU)

Projekt: La Cité du Vin (Bordeaux, FR) | Architektur: XTU Architects (Paris, FR) | Bauherr: Stadtverwaltung Bordeaux (Bordeaux, FR) | Hersteller: Schott Technical Glass Solutions GmbH (Jena, DE), Kompetenz: PYRAN S Rauchschürzensystem | vollständige Bautafel siehe unten

Wegen ihrer Lage nur etwa 45 km auf dem Landweg vom Atlantik entfernt und über die Garonne sowie den gut 70 km langen Mündungstrichter Gironde auf dem Wasserweg mit dem Atlantik verbunden, kam der Stadt Bordeaux immer schon eine wichtige strategische wie wirtschaftliche Bedeutung zu. Und nicht nur das: Die Böden hier sind mager und aufgrund ihrer Wasserdurchlässigkeit sowie der Fähigkeit, Wärme zu speichern, bestens geeignet für den Weinbau. Dazu tragen auch die Mikroklimate bei, bei denen Pinienwälder und Gewässer einen temperaturausgleichenden Effekt erzeugen. So verwundert es nicht, dass der Wein und der Seehandel wichtige Wirtschaftsfaktoren für die Stadt waren und sind. Auch das Stadtbild von Bordeaux hat viel zu bieten und besticht nicht zuletzt durch seine fast vollständig erhaltene Anlage der historischen Innenstadt, einer Mischung aus palastartiger Architektur und Handelsstadt am Fluss, mit schmalen Bürgerhäusern, hie und da einzelne Repräsentationsbauten, dazwischen ragen Kirchen und alte Stadttore empor. Dennoch, auch für eine Stadt, die derart auf ihr historisches Erbe bauen kann, muss es einen Weg in die Zukunft geben, und so entstehen seit Ende der 1990er-Jahre immer wieder Bauten, die auf das Stadtbild wirken und weltweite Beachtung finden, wie etwa die Erweiterung des Justizpalastes von Richard Rogers von 1998 oder das Fußballstadion von Herzog und de Meuron von 2015.

In einem langgezogenen Bogen fließt die Garonne durch die Stadt. In unmittelbarer Nähe zur Cité du Vin befindet sich die als Hubbrücke konzipierte Pont Jacques Chaban Delmas. (Bild: P.Caumes / XTU)

Dieser Runde gesellt sich nun ein weiterer architektonischer Meilenstein hinzu: Die «Cité du Vin» befindet sich in Bacalan, einem nördlichen Stadtteil von Bordeaux, am linken Ufer der Garonne, im Hafenviertel «Port de la Lune». Entworfen wurde das Gebäude von XTU Architects aus Paris, die mit ihrem Entwurf vom Charakter des Weins inspirieren ließen. Von den Architekten als Konzentration ineinander übergehender horizontaler wie vertikaler Bewegungen erdacht, wirkt das Gebäude wie eine Skulptur, die die kreisende Bewegung von Wein in einer Dekantier-Karaffe oder einem Glas nachbildet. Die Fassade schimmert dabei goldfarben, immer wieder unterbrochen von Glasflächen, wodurch dem Betrachter vor Augen geführt wird: Was hier präsentiert wird, ist für die Stadt wie für die Region eines der wichtigsten Güter. Obwohl eher am Rand der Stadt auf dem ehemaligen Hafengelände am Ufer der Garonne gelegen, markiert das amorphe Gebäude so einen weithin sichtbaren Punkt im städtischen Gefüge.

Das Erdgeschoss verdichtet sich zu zwei gegenläufigen Treppen hin, die sich um den offenen Patio winden und den Besucher zur Ausstellung führen. (Bild: XTU)

Der Innenraum ist erwartungsgemäß räumlich großzügig: Als Besucher gelangt man über zwei mögliche Eingänge ins Foyer im Erdgeschoss. Von hier aus wird das Gebäude über zwei freitragende Treppen und Aufzüge erschlossen. Kernstück der Ausstellung ist der «parcours permanent» im zweiten Obergeschoss, der von XTU nicht als fester Rundgang angelegt ist, sondern zum eigenständigen Mäandrieren durch die Welt des Weins animieren soll. Imposant und raumprägend ist hier die Rippenkonstruktion aus Holz, deren Materialität und Konstruktion auf den Weinhandel und die Schifffahrt versinnbildlichen will. Die architektonische Idee bringt es mit sich, dass der Besucher nirgendwo durch Zäsuren aufgehalten werden sollte. So sind die Räume, in denen er sich bewegt, als komplexes, in fließenden Übergängen organisiertes Kontinuum gestaltet, das ihn vom Eingang bis zum Belvédère im obersten Stock leiten soll, wo sich ein weiter Blick über die Stadt bietet.

Die Rippenkonstruktion versinnbildlicht in ihrer Materialität den Weinanbau und in ihrer Konstruktion den Weinhandel und die Schifffahrt. (Bild: Julien Lanoo / XTU)

Was architektonisch sinnvoll klingt, erfordert vom Bandschutz-Experten besondere Leistung. Vor allem was zunächst die Entrauchung angeht, bei der die Ausbreitung von Brandgasen innerhalb des Gebäudes eingeschränkt und die Rettungswege während einer Evakuierung weitgehend rauchfrei gehalten werden sollen. Gleichzeitig sollen diese Maßnahmen die räumliche Durchgängigkeit nicht beeinträchtigen. So haben die Planer Rauchschürzen aus Glas (Pyran S, Schott) abgehängt an den Deckendurchbrüchen der Treppenräume angebracht, die somit ein Viertel der lichten Höhe unsichtbar schließen. Auch an den gebogenen Rippen wurden die gläsernen Rauchschürzen als Sonderform angeordnet. Die Gläser sind nur 5 mm dick, bestehen aus thermisch vorgespanntem Borosilicatglas und besitzen eine hohe Transparenz in Weißglasqualität, verspricht Schott. So können die Besucher einen ungestörten Blick auch über die einzelnen Ebenen hinweg auf die gesamte Ausstellung und den spannenden Innenraum genießen. Als Belohnung für den langen Weg nach oben gibt es im Belvédère ein Glas Wein – das selbstredend im Eintrittspreis enthalten ist.

Für ein offenes Raumkontinuum und den nötigen Brandschutz sorgen von der Decke abgehängte Rauchschürzen, als Sonderform an den gebogenen Rippen. (Bild: Julien Lanoo / XTU / Schott)
Kernstück der Ausstellung ist der «parcours permanent» im zweiten Stock, an den 19 thematische, in sich abgeschlossene Module andocken. (Bild: Julien Lanoo / XTU)
Das Belvédère im obersten Geschoss bietet – selbstredend bei einem Glas Wein – einen eindrucksvollen Blick über Bordeaux. (Bild: Anaka / XTU / Schott)
Lageplan (Quelle: XTU)
Dachaufsicht (Quelle: XTU)
Grundriss parcours permanent (Quelle: XTU)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: XTU)
Formale Entwurfsidee (Quelle: XTU)
Längsschnittverlauf (Quelle: XTU)
Querschnittverlauf (Quelle: XTU)
Im Innenraum (hier als Baustellen) gibt es nirgendwo eine Zäsur, die den Besucherfluss aufhalten könnte, die komplexen räumlichen Zusammenhänge sind in fließenden Übergängen organisiert. (Bild: P.Tourneboeuf / XTU)
Goldfarben schimmert die Außenhaut, deren Stoßfugen einem der Form entsprechenden Verlauf folgen. (Bild: XTU)
Nicht zuletzt von diesem neuen Bauwerk erhofft sich die Stadt Bordeaux einen ähnlichen Effekt wie beim Guggenheim-Museum in Bilbao. (Bild: Julien Lanoo / XTU)

Projekt
La Cité du Vin
Bordeaux, FR

Architektur
XTU Architects
Nicolas Desmazieres + Anouk Legendre
Paris, FR

Projektleitung: Mathias Lukacs, Dominique Zentelin
Projektteam: Joan Tarragon, Delphine Isart, Claire Leroux, Thibault Le Poncin, Joan Tarragon, Gaëlle Le Borgne, Stefania Maccagan, Cristina Sanchez

Hersteller
Schott Technical Glass Solutions GmbH
Jena, DE

Kompetenz
PYRAN S Rauchschürzensystem

Bauherr
Stadtverwaltung Bordeaux
Bordeaux, FR

Szenographie
Casson Mann

Tragwerk
SNC-Lavalin

Umwelttechnik
Le Sommer Environnement

Wettbewerb
April 2011

Geschossfläche
12.927 m²

Fertigstellung
2016

Fotografie
Julien Lanoo
Patrick Tourneboeuf
P. Caumes
Anaka
XTU
Schott


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