Schlesisches Museum in Katowice

Eisiger Durchblick

Thomas Geuder
5. Juli 2016
Das Schlesische Museum in Katowice verbindet die alte Schwerindustrie und den Bergbau mit dem Aufbruch in eine neue Zeit. (Bild: Wojciech Kryński)

Projekt: Schlesisches Museum (Katowice, PL) | Architektur: Riegler Riewe Architekten (Graz, AT) | Bauherr: Muzeum Śląskie (Katowice, AT) | Hersteller: Glas Marte (Bregenz, AT), Kompetenz: Strukturglas ICE-H

Katowice – die Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Schlesien – liegt im Südwesten Polens, ganz in der Nähe zum Länderdreieck mit der Tschechischen Republik und der Slowakei. Hier gibt es reichhaltige Kohle- und Erzlagerstätten, weswegen sich im Laufe der Jahrhunderte auch die Bergwerke und die Schwerindustrie stark entwickelte. Das drückt sich nicht zuletzt im Wappen der Stadt aus, im Prinzip die stilisierte Nachbildung von der Gewinnung und Verarbeitung von Kohle und Erz. Der strukturelle Wandel der Wirtschaft führte in der letzten Zeit jedoch dazu, dass die Bedeutung der Schwerindustrie abnahm, zugunsten der Elektroindustrie und der Informationstechnik. Das Bergwerk Katowice existierte an diesem Standort bereits seit 1822 und wurde – nach der Förderung von 120 Mio. Tonnen Steinkohle – 1999 geschlossen. Das seit 1929 bestehende Schlesische Museum in Katowice hatte zu dieser Zeit eigentlich bereits an einem anderen Ort neu gebaut werden sollen, die leerstehenden Zeche-Gebäude aber boten einen gänzlich neuen Ansatz, die Geschichte der Stadt und die des Museums miteinander zu verknüpfen, nicht zuletzt weil das Gelände sich in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum befindet. Die markante, künstliche Landschaft, Industrieanlagen und Gebäude sind im kollektiven Bewusstsein der hier lebenden Menschen als unverwechselbares und identitätsstiftendes Erbe verankert.

Der Standort des Museums auf dem Gelände der ehemaligen Zeche „Warszawa“ befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum. (Bild: Paolo Rosselli)

So basiert die Entwurfsidee der Planer von Riegler Riewe Architekten aus Graz auf der Idee, mit von außen kaum sichtbaren Eingriffen in die Struktur des Ortes ein dennoch großzügiges Museum mit vielfältigem Nutzungsangebot zu erschaffen. Die logische Konsequenz aus diesem Anspruch war, nahezu alle Räume unterirdisch anzuordnen. Nicht zuletzt verstehen die Architekten das auch als eine Hommage an die ehemalige Funktion des Geländes als Bergwerk. Oben bleibt somit zunächst ein öffentlicher Naherholungsraum, der für die Bewohner der Stadt immer zugänglich ist, mit einem neu geschaffenen Netz aus Wegen, Plätzen und Grünanlagen. Der bestehende Förderturm wurde außerdem durch einen angebauten Lift für Besucher zugänglich gemacht und ermöglicht nun einen weiten Blick über Katowice und die umliegende Region.

Lediglich die abstrakten Glaskuben, die die darunterliegenden Ausstellungsflächen Tageslicht versorgen, sind von außen sichtbar. (Bild: Wojciech Kryński)

Neu auf dem Gelände sind verschieden große Glaskuben, die wie beliebig angeordnet auf der Fläche stehen. Sie sind Teil des unterirdischen Neubaus und versorgen die Ausstellungsflächen darunter mit Tageslicht, sind also – auch das als Verweis auf die Geschichte des Ortes – eine Art nach oben herausdringender Lichtschacht. Das Glas der Kuben jedoch lässt keinen Einblick zu, sondern besitzt eine ornamentale Oberfläche, die an Eisblumen erinnert. Es wirkt, als sei es mit Eiskristallen überzogen. Die Technik dahinter ist freilich keine neue. Patentiert im Jahr 1883 ist das Verfahren unter Glasproduzenten längst bekannt: Die Oberfläche wird im ersten Schritt durch Sandstrahlen aufgeraut, anschließend mit „Knochleim“ (einer Lösung aus Wasser und Gelatine) überstrichen. Wenn dieser trocknet, verliert er seine Feuchtigkeit und schrumpft, wodurch im Glas Spannungen aufgebaut werden. Das Glas bricht schließlich an der Oberfläche, wodurch sich Glasmuscheln herauslösen, deren. Das Muster, das sie erzeugen, erinnert an Eisblumen. Beim Schlesischen Museum in Katowice wurde übrigens ICE-H (Glas Marte) eingesetzt, eine Weiterentwicklung (gemeinsam mit dem Forschungsinstitut V-Research) des traditionellen Eisblumenverfahrens, bei dem der Fertigungsprozess nun weitestgehend kontrolliert ablaufen kann und so relativ gezielt Oberflächenstrukturen geschaffen werden können. Wo in Katowice einst typische Industriebauten die Stadt überragten, leuchten und läuten heute geheimnisvoll schimmernde Kuben in eine neue Zeit.
 

Der bestehende Förderturm wird durch den Anbau eines Lifts für BesucherInnen zugänglich und bietet einen Blick über ganz Katowice. (Bild: Wojciech Kryński)
Grundriss 1. Obergeschosse mit Grundstücksplan (Quelle: Riegler Riewe Architekten)
Grundriss 2. Untergeschoss (Quelle: Riegler Riewe Architekten)
Längsschnitt (Quelle: Riegler Riewe Architekten)
Querschnitt (Quelle: Riegler Riewe Architekten)
Die Gläser sind mit Klemmhalterungen versehen, wodurch sie nicht mit einem Loch geschwächt werden müssen. (Bild: Riegler Riewe Architekten)
Mit Knochenleim wird in der Glasoberfläche Spannung aufgebaut, wodurch sich flächige Glasmuscheln lösen und der Effekt von Eiskristallen auf Glas entsteht. (Bild: Riegler Riewe Architekten)
Der Innenraum erhält durch die großzügigen Oberlichter viel natürliches Licht. (Bild: Wojciech Kryński)
Wenige Materialien prägen die Museumsräume, die dadurch eine gewisse archaische Wirkung erhalten. (Bild: Paolo Rosselli)
Blick von der Stadt aus: Wie eine zusätzliche bauliche Schicht stehen die Glaskuben des neuen Schlesischen Museums vor den Industriebauten. (Bild: Paolo Rosselli)

Projekt
Schlesisches Museum
Katowice, PL

Architektur
Riegler Riewe Architekten ZT-Ges.m.b.H.
Graz, AT

Team: Paulina Kostyra-Dzierżęga (Projektleitung), Anna Zbieranek, Markus Probst, Nicole Lam, Mikołaj Szubert-Tecl, Lavinia Floricel, Minoru Suzuki, Bettina Tòth, Bartłomiej Grzanka, Tomasz Kabelis-Szostakowski, Dorota ŻZurek, Paweł Skóra

Hersteller
Glas Marte GmbH
Bregenz, AT

Kompetenz
Strukturglas ICE-H

Bauherr
Muzeum Śląskie
Katowice, AT

Generalunternehmer
Budimex S.A.
Poznan, PL

Statik
Inżynierska Statyk
Katowice, PL

Grundstücksfläche
27.332 m²

Nutzfläche
25.067 m²

Bebaute Fläche
3.343 m²

Umbauter Raum
228.702 m³

Fertigstellung
2014

Fotografie
Wojciech Kryński
Paolo Rosselli
Riegler Riewe Architekten


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