Neubau CHUM in Montréal von CannonDesign und NEUF architect(e)s

Menschlicher Maßstab

Thomas Geuder
17. September 2018
Der neue Krankenhauskomplex CHUM in Montréal ist ein Zusammenschluss mehrerer Krankenhäuser der Stadt. (Bild: Adrien Williams)

Projekt: Centre hospitalier de l’Université de Montréal (CHUM) (Montréal, CDN) | Architektur: NEUF architect(e)s (Montréal/Ottawa, CDN) mit CannonDesign (Toronto, CDN, New York, USA etc.) | Bauherr: Construction Santé Montréal (Montréal, CDN) | Hersteller: diverse | weitere Projektdaten siehe unten

Mit fast 1,7 Mio. Einwohnern ist Montréal (bitte französisch aussprechen, schließlich befinden wir uns hier in Kanadas französischsprachiger Provinz Quebec) die zweitgrößte Stadt des Landes, nach (dem englischsprachigen) Toronto. Die ganze Metropolregion, die die Île de Montréal nahezu kreisförmig umgibt, hinzugerechnet sind es gar über 4 Mio. Menschen – die natürlich auch medizinische Hilfe benötigen. Gut ausgestattet mit verschiedenen Krankenhäusern und Forschungsstätten war Montréal bereits zuvor. Drei davon wurden bzw. werden derzeit unter einem Dach vereint: das Hôpital Notre-Dame de Montréal, das Hôpital Saint-Luc und das Hôtel-Dieu de Montréal. So ist das „CHUM - Centre hospitalier de l’Université de Montréal“ entstanden, ein Netzwerk, das als solches genau genommen bereits seit 1996 besteht, nun aber die Kräfte an einem Ort bündelt.

Das 279.000 m² große CHUM in Montréal definiert allein durch seine schiere Größe ein ganzes Stadtquartier neu. Im Hintergrund links: das 1976 erbaute Olympiastadion mit dem makanten, abgehängten Dach, errichtet von dem französischen Architekten Roger Taillibert. (Bild: Adrien Williams)

Das Ensemble, an dem seit nunmehr fast zehn Jahren geplant und gearbeitet wird, entsteht im Osten der Stadt, nur drei Blocks entfernt vom Sankt-Lorenz-Strom. Ganze zwei Blöcke der weitgehend orthogonalen Stadtstruktur nimmt es hier ein und reklamiert damit für sich, der größte Gesundheitsbau in der Geschichte Nordamerikas zu sein: 22 Stockwerke oberhalb und 5 Stockwerke unterhalb der Straßenebene, am Ende 9 Gebäudeteile, eine Fläche von 3 Mio. Quadratfuß (knapp 280.000 m²), 772 Patientenzimmer, 400 Behandlungszimmer, 40 Operationssäle, über 12.000 Zimmer insgesamt und 13 großformatige Kunstwerke. Hier findet sich wirklich alles, was mit den Themen Medizin und Gesundheit zu tun hat, von der ambulanten über die stationäre Versorgung und die Forschung bis hin zu öffentlichen Flächen mit Amphitheater. Mit dem CHUM wollen die Macher des Projekts nicht nur das gesamte Quartier neu belebt, sondern einen ganzen Gesundheitsbezirk mit Strahlkraft entwickeln: das „Quartier de la Santé“.

Die Hauptverkehrsflächen und öffentlichen Bereiche sind als Orte der Begegnung gestaltet, in denen die Orientierung leicht fällt. (Bild: Adrien Williams)

So war die wichtigste Aufgabe bei der Planung für die Architekten von CannonDesign und NEUF architect(e)s zunächst, diese enorme Masse sinnvoll und effektiv zu stemmen. Ihr Plan: Parallel zum Bau des bereits 2013 fertiggestellten Forschungszentrums CRCHUM in direkter Nachbarschaft wurde das Baugelände freigeräumt, lediglich das Hôpital Saint-Luc blieb erhalten. Mit der Bauphase I wurde dann der größte Teil – etwa 85 % der gesamten Baumasse – errichtet, ein funktionierendes Krankenhaus mit Diagnose- und Therapieeinrichtungen, ambulantem Zentrum sowie einigen Logistikflächen. In der Phase II wird derzeit das noch bestehende Hôpital Saint-Luc abgerissen und durch ein weiteres Ambulanzzentrum sowie Verwaltungsflächen ersetzt. Diese Bauphase beinhaltet auch den Bau eines Amphitheaters mit 500 Plätzen, dessen kupferfarbene Fassade und abgerundete Form dem ansonsten recht funktional gestalteten Ensemble einen städtebaulichen Mittelpunkt gibt. Baulich eingebunden sind außerdem originale Artefakte von Bauwerken, die sich hier einst befanden: der Kirchturm der Saint-Saveur-Kirche (neues Kirchturmdach: Uginox) sowie zwei Fassaden des Garth Hauses. Damit wollen die Architekten zumindest punktuell eine Art heimelige Maßstäblichkeit zurückholen – was vor dem superlativen Hintergrund natürlich ein mühsames Unterfangen ist.

Die baulichen Dimensionen des immerhin größten Gesundheitsbaus in der Geschichte Nordamerikas sind trotz aller Bemühungen um die Maßstäblichkeit beachtlich. (Bild: Adrien Williams)

Im Innenraum wollen die Planer ein Wohlfühl-Ambiente schaffen, mit fachkundigem Personal und modernster medizinischer Ausrüstung natürlich, aber auch mit „zeitgenössischer Architektur“ und geeigneten Materialien und Oberflächen (siehe Liste). Große Fenster lassen viel Tageslicht herein, umgekehrt hat man von oben einen atemberaubenden Blick über die Stadt. Die enorme Anzahl an Räumen haben die Planer durch ein Standardisierungskonzept mit nur wenigen Raumtypen gestemmt. Der Genesung zuträglich soll schlussendlich auch die Kunst am Bau sein, die beim CHUM sogar weit mehr als das gesetzlich vorgeschriebene eine Prozent des Budgets in Anspruch nahm: 13 großformatige, weithin sichtbare Werke schmücken die Außenhaut.

Es geht darum, den Aufenthalt in der Gesundheitsmaschine für Patienten, Besucher und Mitarbeiter auf ein menschliches bzw. menschenfreundliches Level zu holen, mittels räumlicher Großzügigkeit, freundlicher, nicht knallender und psychologisch wirksamer Farben, hochwertiger Materialien, Spiegelwände, leuchtender Elemente oder einer Skybridge als Design-Intervention. Öffentlich zugängliche Bereiche suchen das Bauwerk mit der Stadt und den Menschen zu verbinden und die Distanz, die man für gewöhnlich zu Krankenhäusern hat, zu nehmen. Dieses Gesamtpaket kommt an, wie nicht zuletzt die Preise zeigen, mit denen das CHUM ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem INSIDE Award auf dem World Architecture Festival 2017, dessen Jury dem CHUM eine „urbane Erfahrung“ bescheinigt. Die Choreographie des Bauwerks mit dem Blick auf die Stadt sei bemerkenswert. Bleibt also nur noch zu ergänzen, dass „chum“ übersetzt so viel wie „Kumpel“ heißt, womit auch dieser letzte Bezug zum Menschen hergestellt wäre.

Von oben aber betrachtet erkennt man, dass es sich bei den Grasstreifen um Kunst am Bau handelt, einem von insgesamt 13 großformatigen Werken. (Bild: Adrien Williams)
In der vorgängten Glasfassade integriert finden sich auch Bedruckungen, die ebenfalls ins küntlerische Konzept des CHUM gehören. (Bild: Adrien Williams)
Ein hoher Inszenierungswill steckt auch in der Verbindungsbrück zwischen zwei Hochhäusern im Ensemble, die mit einer gelochten Blechverkleidung eine Art Sternenhimmel auf den Weg zaubert. (Bild: Adrien Williams)
Bei der Integration von vorherigen Bauten kann man den Architekten durchaus einen ehrlichen und offensichtlichen Umgang mit der Geschichte unterstellen. (Bild: Adrien Williams)
Als „funktional und freundlich“ kann man den Innenausbau bezeichnen, bei dem die Planer auch mit Farbkennzeichnungen gearbeitet haben. (Bild: Adrien Williams)
Licht und Luft sind den Architekten und Architektinnen wichtige Parameter ihres Entwurfs, neben der Ausstattung mit modernster Technik und Technologie. (Bild: Adrien Williams)
Selbstfahrende Transport-Roboter gehören beim CHUM zum Alltag. (Bild: Laura Peters)
Lageplan (Quelle: CannonDesign + NEUF architect(e)s)
Übersicht CHUM-Bereiche und öffentliche Bereiche (Quelle: CannonDesign + NEUF architect(e)s)
Grundriss typisches Geschoss (Quelle: CannonDesign + NEUF architect(e)s)
Schnitt durch die öffentlichen Bereiche (Quelle: CannonDesign + NEUF architect(e)s)
3D-Planung der medizinischen Ausrüstung (Quelle: CannonDesign + NEUF architect(e)s)

Projekt
Centre hospitalier de l’Université de Montréal (CHUM)
Montréal, CDN

Architektur
NEUF architect(e)s
Montréal/Ottawa, CDN

mit
CannonDesign
Toronto, CDN, New York, USA etc.

Bauherr
Construction Santé Montréal
Montréal, CDN

Hersteller
Vorhangfassade: GAMMA
Kirchtumspitze: Uginox
Architekturglas: Chronoglas
Aufzüge: Kone
Innenraumglas: Vitrerie SurMesure inc.
Vinylboden: Gerflor Group
Terrazzoboden: Franklin Terrazzo Company Inc.
Deckensystem: Armstrong Ceilings
Akustikpaneele: Decoustics
Möblierung: Groupe Lacasse, Global Furniture Group
Wandverkleidung Metall innen: Carritec Inc.

Ingenieure
Pasquin St-Jean & Associates
Montréal, CDN

HH Angus & Associates Limited
North York, CDN

Groupe SM International
Longueuil, CDN

Landschaftsarchitektur
NIP Paysage
Montréal, CDN

Geschossfläche
3 Mio ft² (ein ungefährer Wert) = 278.709 m² (rund 279.000 m²)

Bauzeit
2000-2017 (Bauphase I), -2021 (Bauphase II)

Fotografie
Adrien Williams
Laura Peters


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