World Conference Center Bonn

Unvollendetes vollendet

Thomas Geuder
18. Oktober 2016
Nach fast vier Jahren des Baustopps durften die Architekten von HW+P zusammen mit den Ingenieuren von Inros Lackner das WCCB vollenden. (Bild: Volker Stosberg / HW+P)

Projekt: Umbau und Fertigstellung Kongresszentrum World Conference Center Bonn (Bonn, DE) | Architektur: Heinle, Wischer und Partner Freie Architekten (Köln, DE) | Bauherr: Bundesstadt Bonn (Bonn, DE) | Hersteller: Heradesign, eine Marke der Knauf AMF GmbH & Co. KG (Ferndorf, DE), Kompetenz: Holzwolle-Akustikplatte Heradesign superfine

Im Bonner Bundesviertel direkt am Rhein gelegen, sollte das WCCB ein Vorzeigeprojekt werden und als internationales Kongresszentrum mit Weltrang der Stadt vielleicht das zurückgeben, was ihr seit dem Wechsel des politischen Geschehens nach Berlin verloren gegangen war. Den entsprechenden Wettbewerb zum Neubau, der den ehemaligen Plenarbereich des Deutschen Bundestages, darunter der Plenarsaal von Günther Behnisch aus dem Jahr 1992, um einen für bis zu 5.000 Konferenzgäste konzipierten Erweiterungsneubau erweitert, konnte im Jahr 2004 das Büro yes architecture (München/Graz) für sich entscheiden. Im Februar 2009 allerdings war der damalige Investor für den Erweiterungsbau SMI Hyundai nicht mehr in der Lage, das Projekt zum Abschluss zu bringen. Die Folge war der Baustopp. Zurück blieb ein unvollendetes Bauwerk, an dem erst nach einem kleinen Dornröschenschlaf von knapp vier Jahren Ende 2012 wieder weitergebaut werden konnte. Damals erteilte die Bundesstadt Bonn den Auftrag zur Fertigstellung des WCCB, mit dem Ziel, dort im Juni 2015 die UN-Klimakonferenz ausrichten zu können. Zuständig für die Generalplanung waren nun die Planer von Heinle, Wischer und Partner zusammen mit den Ingenieuren von Inros Lackner.

Architektonisch besonders hervorgehoben ist im Wettbewerbsentwurf von yes architecture das Foyer, dessen Dach aus verschiedenen zueinander geneigten Dreiecken einen «Kristall» formt. (Bild: Volker Stosberg / HW+P)

Als besondere Herausforderung erwies sich dabei, dass vom Gebäude aus urheberrechtlichen Gründen keine Bestandspläne vorlagen, weder also die Bauteile noch deren Zustand bekannt waren. So stand am Anfang der Projektarbeit zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme und -beurteilung des 41.000 m² großen Baus. Anschließend wurde das Projekt in puncto veränderter Bauvorschriften und technischer Anforderungen an ein modernes Konferenzzentrum weiterentwickeltet. So wurden etwa zahlreiche Oberflächen der Innenräume neu konzipiert und der bestehende Entwurf mit zurückhaltenden Materialien ergänzt und neu gestaltet. Die technischen Anlagen waren – wie viel anderes – nur zum Teil erstellt und mussten sogar rückgebaut werden. Ein besonderes Augenmerk galt natürlich dem 2.500 m² großen Saal, das Herzstück des WCCB. Um den Anforderungen der UN – der Dauernutzer des WCCB – gerecht zu werden, wurde der Saal mit einer 56 t schweren und über zehn Meter hohen Trennwand teilbar gemacht.

Herzstück des WCCB ist der Große Saal mit einer Fläche von 2.500 m², der eine aufwändige Raumteilung sowie ein neues Oberflächenmaterial erhielt. (Bild: Volker Stosberg / HW+P)

Der Kostendruck führte auch beim Saal dazu, dass die Oberflächen mit einem kostengünstigen Material versehen werden mussten, selbstredend ohne raumakustische, funktionale oder gar brandschutztechnische Abstriche machen zu müssen. So entschieden sich die Planer, die fast 3000 m² großen Wandflächen mit Holzwolleleichtbauplatten (HeraDesign) zu verkleiden. Das auch als «Sauerkrautplatte» verkannte Material ist eher ungewöhnlich an derart repräsentativen Orten, ebenso der Einsatz als Wandverkleidung. Bei entsprechender Unterkonstruktion allerdings erreicht man mit HWL-PLatten einen sehr guten Schallabsorptionsgrad, standardmäßig sind sie nicht brennbar, außerdem sind sie einfach überstreichbar, ohne die schallabsorbierende Eigenschaft zu verlieren. Sehr schön im Detail haben die Planer dann die 120 cm langen, im wilden Verband verlegten Platten horizontal durch ein Metall-U-Profil getrennt, das gleichzeitig die Befestigung der Platten kaschiert. Die Fugen nehmen dabei Rücksicht auf durch den Bestand vorgegebenen Kanten und Linien, etwa durch die Höhen der Türen, Empore, Fenster Dolmetscherkabinen oder des verfahrbaren Fußbodens. Die Höhe der Platten verringert sich nach oben außerdem von 55 cm auf 45 cm, um den Raum optisch höher wirken zu lassen. Eine gestalterische Zäsur im unteren Drittel erfährt die Wandfläche dann durch eine horizontale, nach oben fahrbare Stoffbespannung (Soft Cells, kvadrat), hinter der sich die Dolmetscherkabinen befinden. Der Einsatz von HW+P für das Projekt hat sich gelohnt: Am 7. Juni 2015 konnte der neue Konferenzbau des WCCB unter Teilnahme des UNO-Generalsekretärs Ban Ki-moon eröffnet werden – quasi während die erste Tagung, die Verhandlungen zur Vorbereitung des Weltklimagipfels in Paris, bereits in vollem Gange war.

Am Anfang stand eine umfassende Bestandsaufnahme des 41.000 m² großen Kongresszentrums sowie eine zeichnerische und fotografische Dokumentation. Im Bild: Der Große Saal vor dem Weiterbau. (Bild: Volker Stosberg / HW+P)
Lageplan (Quelle: HW+P)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: HW+P)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: HW+P)
Schnittansicht Großer Saal mit neuer Wandverkleidung (Quelle: HW+P)
Detailschnitte Wandverkleidung Deckenanschluss und Bereich Hubbühne (Quelle: HW+P)
Strukturiert werden die Wandflächen durch horizontale Fugen aus Metall-U-Profilen, wodurch gleichzeitig die Befestigung der Platten kaschiert wird. (Bild: Volker Stosberg / HW+P)
Der «Platz der Vereinaten Nationen» bildet das Zentrum des Bundesviertels zwischen dem Campus der Vereinten Nationen und dem World Conference Center Bonn. (Bild: Volker Stosberg / HW+P)

Projekt
Umbau und Fertigstellung Kongresszentrum
World Conference Center Bonn
Bonn, DE

Architektur
Heinle, Wischer und Partner Freie Architekten
Köln, DE

Team: Markus Kill (verantwortlicher Partner), Kerstin Rieck (Projektleitung LPH 1-5), Stefan Rohleder (Projektleitung LPH 6-9)

Wettbewerbsentwurf
yes architecture
München, DE

Hersteller
Heradesign
eine Marke der Knauf AMF GmbH & Co. KG
Ferndorf, DE

Kompetenz
Holzwolle-Akustikplatte Heradesign superfine

Weitere Hersteller:
Stoffbespannung Fenster Dolmetscherkabinen: Soft Cells, kvadrat

Auführung Wandverkleidung
Lindner Group
Arnstorf, DE
als Nachunternehmer des Generalunternehmers Züblin

Bauherr
Bundesstadt Bonn
Bonn, DE

Techn. Gebäudeausstattung
Inros Lackner SE
Rostock, DE

Tragwerksplanung, Verkehrsplanung
Krebs + Kiefer Ingenieure GmbH
Darmstadt, DE

Bauphysik und Raumakustik
Müller-BBM GmbH
Planegg, DE

Brandschutz
BPK Fire Safety Consultants GmbH & Co.KG
Düsseldorf, DE

Küchenplanung
Luxenburger und Partner Projektentwicklung GmbH
Neuss, DE

Leitsystem
hzw design consulting gmbh
Kassel, DE

Freianlagenplanung
Raumarchitektur Jochen Garbe
Berlin, DE

mit
scape Landschaftsarchitekten GmbH
Düsseldorf

BGF
40.896 m²

BRI
259.676 m³

Fertigstellung
2015

Fotografie
Volker Stosberg


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