Politik und Kultur vereint

gmp · Architekten
3. September 2014
Der in seiner äußeren Erscheinung erhaltene moderne Backsteinbau steht für eine kulturelle Epoche, die sich in ihren sozialen und demokratischen Visionen künstlerisch auch in der Architektur offenbart hat. (Foto: Hans-Georg Esch) 
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Das Hans-Sachs-Haus ist die gebaute Inkunabel für die sozial-demokratische Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet zur Zeit der Weimarer Republik. Es diente mit Bibliothek, Veranstaltungssaal samt Orgel, Hotel und Gastronomie der Volksbildung und dem kultivierten Gemeinschaftsleben in Gelsenkirchen. Es wurde im Kriege teilweise zerstört, danach notdürftig wieder aufgebaut, verfiel im Laufe der Jahrzehnte bis zur Baufälligkeit und sollte schließlich per Ratsbeschluss abgerissen werden. Dagegen protestierten die Bevölkerung und der Werkbund und setzten einen Architektenwettbewerb durch, bei dem die Funktionen eines neuen Rathauses mit kulturellen Angeboten im zu erhaltenen Gehäuse zu kombinieren waren. Die Erinnerung an die Geschichte und die architektonische Neuinszenierung von kulturellem und politischem Leben war das Ziel. 

Durch den Abriss des in den 1950er Jahren errichteten Ergänzungsbaus und dessen Rückbau an der Dreikro­nenstraße entstand ein dem Hans-Sachs-Haus als Rathaus zugeordneter „Bürgerplatz“, der Alfred-Fischer-Platz. Der Hotelturm wurde wieder freigestellt und so zum städtebaulichen Zeichen. (Foto: Hans-Georg Esch)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Außen erinnert die erhaltene und restaurierte Backsteinfassade an die kulturpolitische Tradition der Vergangenheit. Innen wird in der großen Atriumhalle mit angrenzendem Mehrzwecksaal und darüber liegenden Rats- und Funktionssälen ein sozialer Treffpunkt für kulturelle Aktivitäten und politische Selbstbestimmung neu inszeniert. Die Räume des Magistrats können wie ein Kongresszentrum genutzt werden, die Atriumhalle und die bürgerschaftlichen Umgänge um den Ratssaal für Ausstellungen, und die flexibel zuschaltbare Mehrzweckhalle im Parterre für jede Art von Festlichkeiten und Kulturdarbietungen. Diese Kombinationsmöglichkeiten sind unsere Leitidee für die Verbindung von Politik und Kultur.

Die denkmalgeschützte Backsteinfassade aus den 1920er Jahren mit horizontal, akzentuierten Gesimsbändern (Foto: Hans-Georg Esch) 
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das geschlossene Volumen des Hans-Sachs-Hauses präsentiert sich städtebaulich und architektonisch in seiner historischen Gestalt. Darüber hinaus öffnet es sich zu einem neuen städtischen Platz, der wie die räumliche Fortsetzung des Atriums und der Bürgerhalle wirkt. Der Ratssaal ist vom inneren Atrium wie vom äußeren Platz frei sichtbar. Damit entsteht Transparenz im neuen Rathaus.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die vorangegangenen heftigen Auseinandersetzungen um den Erhalt oder Abbruch des Hans-Sachs-Hauses haben den Umbau in das öffentliche Interesse gerückt und auf diese Weise zu einem Objekt der direkten politischen Teilhabe der Gelsenkirchener Bürger werden lassen. Das hat zu einer erfreulichen allgemeinen Akzeptanz geführt.

Im Erdgeschoss wird der Alfred-Fischer-Platz des neuen Hans-Sachs-Hauses als Bürgerforum fortgesetzt (Foto: Hans-Georg Esch)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Der mit dem ersten Preis ausgezeichnete und vom Preisgericht zur Ausführung empfohlene Entwurf wurde ohne Änderungen gebaut. Darüberhinaus wurden die öffentlich zugängigen Bereiche rund um den Ratssaal und die Fraktionsräume durch eine permanente Ausstellung über die Gelsenkirchener Geschichte bereichert und sind beliebtes Besuchsobjekt von Schulklassen geworden.

Mobile in dem lichtdurchfluteten und in alle Richtungen transparenten Atrium (Foto: Hans-Georg Esch)
Der Fußboden im Bürgerforum ist ein dunkler Steinbelag, der sich draußen auf dem Alfred-Fischer-Platz fortsetzt (Foto: Hans-Georg Esch)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Natürlich wurde eine dauerhafte Architektur ohne schnelles modisches Verfallsdatum und eine Bauweise für seinen sparsamen Betrieb umgesetzt. Die Backsteinfassade macht aufwendige Reinigungen überflüssig, das überdachte hohe Atrium reduziert die äußere Gebäudehüllfläche und damit die Heizkosten auf ein Minimum. Die massiven Fassaden und freien Etagendecken bilden ausgleichende Temperaturspeicher. Die Gründungspfähle nutzen die Erdwärme zur Energieersparnis.

Blick in den Ratssaal: Das Bürgerforum und der Ratssaal, die Sitzungssäle und die Räumlichkeiten des Oberbürgermeisters werden durch die beibehaltene historische Fassade mit einer zweibündigen Raumschicht aus Büros und dienenden Funktionen gefasst.  (Foto: Hans-Georg Esch)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Die traditionellen Mauerwerksfassaden aus hartgebranntem Klinker sowie die bewährten Holzrahmenfenster (zum Teil noch aus den 1920er-Jahren), sie sind haltbar und haben sich in nunmehr bald einem Jahrhundert architektonisch wie bautechnisch in ihrer Nachhaltigkeit bewährt.

Lageplan (Zeichnung: gmp · Architekten)
Erdgeschoss (Zeichnung: gmp · Architekten)
2. Obergeschoss (Zeichnung: gmp · Architekten)
 
Schnitt (Zeichnung: gmp · Architekten)
Neues Hans-Sachs-Haus
2013
Ebertstraße 11
45879 Gelsenkirchen

Bauherr
Stadt Gelsenkirchen, Zentrales Immobilienmanagement

Architektur
gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg
Entwurf: Volkwin Marg und Hubert Nienhoff mit Rüdiger von Helmolt und Carsten Borucki
Assoziierter Partner: Christian Hoffmann
Projektleitung: Jutta Hartmann-Pohl
Mitarbeiter: Ausführung Gesche Arns-Büsker, Stefan Greuel, Michael Haase, Vera Hendrix, Rouja König, Evelyn Martens, Angela Modemann, Franz Lensing, Simone Schröder-Ripp, Tom Siehoff, Philipp Weber
Mitarbeiter Bauleitung: Frank Haake, Dirk Buchhalla, Jörg Schlieckmann, Knut Nell, Peter Autzen, Nicole Bäumer, Dominik Zimmer, Dennis Schrowang, Sandra Koopmann

Planungsgemeinschaft mit 
Winter Ingenieure

Fachplaner
Tragwerksplanung: Kempen Krause Ingenieurgesellschaft, Aachen
Kostenmanagement: emproc GmbH, Starnberg
Technische Gebäudeausrüstung: Winter Beratende Ingenieure für Gebäudetechnik GmbH, Düsseldorf
Bauphysik / Schallsschutz: von Rekowski und Partner Ing.-Büro für Bauphysik, Weinheim
Raumakustik: ADA Acoustic Design Ahnert, Berlin
Bodenmechanik: BauGrund Ingenieurgesellschaft mbH, Bochum
Vermessung: Kühnhausen Dübbert Semler, Köln
Brandschutz: hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH, Berlin
SiGeKo: Ingenieurbüro Dr. Regina Töpfer, Willich
Fassadentechnik: Rache Engineering GmbH, Aachen
Freiraumplanung: Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten
Lichtplanung: Conceptlicht

Firmen
Fassade Neubau inkl. Glasdach: BFTI GmbH, Berlin
Holzfenster: Tischlerei Rittmeier GmbH, Duderstadt/Nesselröden;  Johannes Brockmann GmbH & Co. KG, Bottrop
Fassadensanierung: Keilberg Gebäudesanierungs GmbH & Co. KG, Glauchau
Naturwerksteinarbeiten: Zeidler & Wimmel GmbH 6 Co KG, Kirchheim/Unterfranken
Trockenbauarbeiten: Quarz Akustikbaugesellschaft mbH, Friesoythe
Mobile Trennwände, Objektdesign: Lindner Group, Arnstorf
Wandbedruckung: Fuhrmann GmbH, Lichtenfels
Kinetisches Mobile: Wilking Metallbau GmbH, Berlin
Ratsaalmöblierung: bzr Bürozentrum GmbH, Dortmund
Blendschutz: Clauss Markisen Projekt GmbH, Bissingen-Ochsenwang

Bauzeit
2010-2013

BGF
23.170 m²
 
Fotos
Hans-Georg Esch