Menschenfreundlicher Geschichtenerzähler
Gemeinsam haben riccione architekten und Rudolf Palme das Sozialzentrum Zell am Ziller gestaltet. Clemens Bortolotti spricht über den Entwurfsprozess. Wie passt sich der Bau architektonisch in das einstige Bauerndorf ein, das heute urban geprägt ist?
Herr Bortolotti, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die große Herausforderung für uns bestand darin, ein Wohn- und Pflegeheim zu entwickeln, das mitten in der Gemeinde Zell steht und dessen Bewohnende ein fester Bestandteil der Dorfgemeinschaft sein sollen. Außerdem galt es, den richtigen Ausdruck in der Architektursprache zu finden.
Zell am Ziller ist zwar nicht so intensiv wie andere Gemeinden im Zillertal, aber doch auch von Tourismusarchitektur geprägt. Es ist kein kleines Bauerndorf mehr: Hotel- und Wohngebäude sind bis zu vier Geschosse hoch. Es galt daher, einen Städtebau zu entwerfen, der sich mit dieser »dörflichen Urbanität« verträgt. Fündig sind wir im nahen Südtirol geworden, das seit jeher eine starke Verbindung zum Zilletrtal hat. Unterhalb von Bozen befindet sich der kleine Ort Neumark / Egna. Die dort typischen Bauten mit Lauben und zwei Wohngeschossen darüber sind für uns zum Vorbild für unsere Gestaltung »dörflicher Urbanität« geworden.
Die Gemeinde hat mit Robert Pramstrahler einen aus unserer Sicht sehr guten Bürgermeister gewählt, der unser Bauherrenvertreter war. Er ist ein wahrer Humanist, der seine menschenfreundliche Einstellung in den Entwurf eingebracht hat.
Bauherrschaft und Nutzende waren uns immer eine Unterstützung und haben vor allem programmatisch den Entwurf weiterentwickelt. So haben wir zum Beispiel das Fassadenkonzept gemeinsam gestaltet: Es gibt keine großen Verglasungen, die bei Demenzkranken Angst auslösen können und im Sommer zur Überhitzung der Räume führen, aber einen kleinen französischen Balkon. Und nicht nur bei den Fassaden haben wir intensiv zusammengearbeitet: Auch das Farbkonzept hat funktionelle Hintergründe und wurde gemeinsam entwickelt.
Wie schon bei unserem Projekt in Salzburg für die dortige Pädagogische Hochschule haben wir versucht, eine Szenerie zu entwickeln. In Salzburg griffen wir die Architektursprache der Bestandsgebäude aus den 1960er-Jahren auf, entwickelten sie weiter und wollten ihre Wirkung verstärken. In Zell haben wir uns nun getraut, eine »narrativen« Architektur zu entwerfen. Wir möchten mit unserem Gebäude Geschichten erzählen.
Unser Ziel war es, den Kunststoffanteil bei den Baumaterialien so gering wie möglich zu halten. Darum gibt es zum Beispiel keinen Vollwärmeschutz. Die Außenwände sind aus gebrannten Hochlochziegeln konstruiert. Grundsätzlich wird das Gebäude über zwei Wärmepumpen beheizt, die wiederum mit Photovoltaik betrieben werden.
Ein relativ geringer Glasanteil bei den Fassaden verhindert im Zusammenspiel mit dem massiven Mauerwerk und dem expliziten Sonnenschutz eine übermäßige Aufheizung im Sommer. Wir erreichen mit der Bauweise sehr gute bauphysikalische Werte.
Die gebrannten Hochlochziegel der Firma Wienerberger. Die Steine haben uns ermöglicht, die Fensterelemente an unterschiedlichen Positionen in der Fassade anzuordnen.
Sozialzentrum Zell am Ziller
Standort
Gerlos Straße 5, 6280 Zellam Ziller
Nutzung
Wohn- und Pflegeheim mit Mitarbeiter*innenwohnungen, verschiedene soziale Einrichtungen
Auftragsart
EU-weit offener Wettbewerb, Generalplanerauftrag
Bauherrschaft
Kaiser-Franz-Josef-Stiftung
Architektur
riccione architekten, Innsbruck, mit Rudolf Palme
Fertigstellung
2023
Fotos
Gregor Graf