Traditionsbewusste Industriearchitektur
Der Architekt Simon Moosbrugger hat den neuen Sitz der Tischlerei Rüscher in der Vorarlberger Gemeinde Schnepfau gestaltet. Der Holzbau greift die örtliche Bautradition auf und ist mit seiner angenehmen, gesunden Arbeitsumgebung ein Gewinn.
Herr Moosbrugger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Möglichkeit, ein Bauwerk für einen über mehrere Generationen gewachsenen Familienbetrieb von Grund auf neu zu denken, war etwas Besonderes. Die Bauherrschaft bringt enormes Fachwissen aus jahrzehntelanger Erfahrung als Tischlereibetrieb mit und verfügt außerdem über einen ausgeprägten Sinn für Funktionalität und Ästhetik. Das machte die gemeinsame Arbeit am Projekt besonders reizvoll.
Obwohl die Tischlerei natürlich einen anderen Maßstab hat, stand das historische Bregenzerwälder Bauernhaus als Einhof, bei dem alle landwirtschaftlichen Funktionen und der Wohnteil in einem Gebäude untergebracht sind, Pate. Seine ökonomischen, einfachen und offen nutzbaren Grundrisse, aber auch seine strukturiert geordneten Holzfassaden inspirierten mich bei vielen Entwurfsentscheidungen.
Es war sehr schwierig, in einer so klein strukturierten Gemeinde wie Schnepfau eine geeignete Stelle für ein Gebäude dieses Maßstabs zu finden. Gleichzeitig wünschten sich die Gemeinde und der seit vielen Generationen dort ansässige Betrieb, die neue Anlage im Ort verwirklichen zu können. Letztendlich war der ausgewählte Bauplatz am Ortsrand der einzig mögliche.
Nichtsdestotrotz reagiert der Neubau auf eine Vielzahl an regionalen, kulturellen, ökonomischen und auch topografischen Besonderheiten. Beispielsweise spielte der für Vorarlberg so prägende und identitätsstiftende Holzbau bewusst eine große Rolle, und der Bau erfolgte in enger Zusammenarbeit mit vielen heimischen planenden und produzierenden Betrieben. Das Bauwerk nimmt räumliche Bezüge in seinem Umfeld auf und ermöglicht ein hohes Maß an stimmungsvollen Ausblicken und Raumfolgen. Den geringen Höhenunterschied auf dem Grundstück habe ich genutzt, um einen für den Holzbau typischen mineralischen Gebäudesockel auszuprägen und eine LKW-Laderampe zu integrieren. Die volle Unterkellerung des Bauwerks erlaubte, die Ausdehnung des Neubaus eng zu begrenzen und die leider unausweichliche Flächenversiegelung auf ein Minimum zu begrenzen.
Der Vorentwurf für das Bauwerk entstand 2014 im Zuge meiner Diplomarbeit. 2020 erhielt ich die Möglichkeit, ihn weiterzubearbeiten und schließlich zu verwirklichen.
Die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft erfolgte auf Augenhöhe und in engem Austausch. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tischlerei wurden bei der Gestaltung der verschiedenen Nutzungsabläufe in regelmäßigen Abständen in die Planung einbezogen. Ein Gebäude, das die Firma nach außen repräsentiert und gleichzeitig im Inneren perfekt auf die Bedürfnisse der dort arbeitenden Menschen abgestimmt ist, war das große Anliegen aller Beteiligten.
Um das vorgegebene Budget einhalten zu können, wurde das Gebäude in mehreren Schritten flächenmäßig optimiert. Die höhere Kompaktheit des Bauwerks führte gleichzeitig zu einer besseren ortsräumlichen Verträglichkeit und zu kürzeren Wegen im täglichen Produktionsablauf.
Die Verwendung von Holz als Baustoff blickt in der Region auf eine lange Tradition zurück und hat sich über Jahrhunderte vielfach bewährt. Das hölzerne Tragwerk aus BSH-Stützen und Fachwerkträger aus Baubuche wird durch Außenwandelemente in Rahmenbauweise und aussteifende Stahlbetonstützen ergänzt. Den Innenausbau hat der Betrieb in Eigenleistung übernommen. Wenige weitere Materialien wie Lehm-Kasein-Anstriche, eingefärbte Kalkputze, Teppiche oder beschichtete Industrieböden bilden die gesamte Material-Collage ab. Lediglich erdberührende Bauteile und Bereiche mit erhöhten Brandschutzanforderungen wurden in Stahlbeton ausgeführt.
Ich beschäftige mich schon sehr früh im Entwurf mit diesen Fragen. Entscheidend ist dabei letztlich aber immer, inwieweit die Bauherrschaft den vorgeschlagenen Weg mitgeht. Gerade bei Industriebauten liegt die Prämisse naturgemäß oft auf der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit. Ich glaube, dass wir es bei diesem Projekt geschafft haben, viele wichtige Themen gleichermaßen abzubilden und einen guten Mix umzusetzen. Mehrkosten zugunsten ökologischer und sozialer Themen wurden von der Bauherrschaft in Kauf genommen, wobei es in der Nachbetrachtung so scheint, als würden sich diese Ausgaben in Form von sehr zufriedenen Mitarbeiterinnen und Kunden rasch amortisieren.
2022
6882 Schnepfau, Vorarlberg, Österreich
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Tischlerei Rüscher GmbH, Schnepfau
Architektur
DI Simon Moosbrugger Architekt ZT, Bersbuch
Fachplaner
Örtliche Bauaufsicht und Projektleitung: i+R Industrie- & Gewerbebau GmbH, Lauterach
Tragwerksplanung Holzbau: i+R Holzbau, Lauterach
Statik: zte Leitner GmbH, Schröcken
HSLK: elplan Lingg Elektroplanungs GmbH, Schoppernau
Geologe: 3P Geotechnik, Bregenz
Brandschutz: IHW – Ingenieurbüro Huber GmbH, Weiler
Bauphysik: DI Günter Meusburger GmbH, Schwarzenberg
Vermessung: Bernhard Ender, Langen bei Bregenz
Entwässerungs- und Außenanlagenplanung: Ingenieurbüro Landa, Dornbirn
Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator: Gau Kurt Planungs- und Baukoordination, Feldkirch
Energiestandard
Büro: 45 kWh/m² im Jahr (HWB)
Produktion: Nachweise erfüllt
Bruttogeschossfläche
5350 m² inklusive Tiefgarage
Gebäudekosten
5'500'000 €
Fotos
Simon Oberhofer