Traditionsbewusste Industriearchitektur

Simon Moosbrugger Architekt | 28. Februar 2025
Blick auf die Ostfassade der Tischlerei mit dem technischen Nebengebäude (Foto: Simon Oberhofer)
Herr Moosbrugger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Möglichkeit, ein Bauwerk für einen über mehrere Generationen gewachsenen Familienbetrieb von Grund auf neu zu denken, war etwas Besonderes. Die Bauherrschaft bringt enormes Fachwissen aus jahrzehntelanger Erfahrung als Tischlereibetrieb mit und verfügt außerdem über einen ausgeprägten Sinn für Funktionalität und Ästhetik. Das machte die gemeinsame Arbeit am Projekt besonders reizvoll.

Der neue Holzbau steht umgeben von viel Grün und eingebettet in eine schöne Alpenlandschaft in der Talebene von Schnepfau (Foto: Simon Oberhofer)
Blick von Westen auf die Tischlerei (Foto: Simon Oberhofer)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Obwohl die Tischlerei natürlich einen anderen Maßstab hat, stand das historische Bregenzerwälder Bauernhaus als Einhof, bei dem alle landwirtschaftlichen Funktionen und der Wohnteil in einem Gebäude untergebracht sind, Pate. Seine ökonomischen, einfachen und offen nutzbaren Grundrisse, aber auch seine strukturiert geordneten Holzfassaden inspirierten mich bei vielen Entwurfsentscheidungen.

Eine Wechselfalzschalung in unterschiedlicher Ausrichtung strukturiert die Fassade. (Foto: Simon Oberhofer)
Der Haupteingang neben der Ladezone ist als Pausenbereich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beliebt. (Foto: Simon Oberhofer)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Es war sehr schwierig, in einer so klein strukturierten Gemeinde wie Schnepfau eine geeignete Stelle für ein Gebäude dieses Maßstabs zu finden. Gleichzeitig wünschten sich die Gemeinde und der seit vielen Generationen dort ansässige Betrieb, die neue Anlage im Ort verwirklichen zu können. Letztendlich war der ausgewählte Bauplatz am Ortsrand der einzig mögliche.

Nichtsdestotrotz reagiert der Neubau auf eine Vielzahl an regionalen, kulturellen, ökonomischen und auch topografischen Besonderheiten. Beispielsweise spielte der für Vorarlberg so prägende und identitätsstiftende Holzbau bewusst eine große Rolle, und der Bau erfolgte in enger Zusammenarbeit mit vielen heimischen planenden und produzierenden Betrieben. Das Bauwerk nimmt räumliche Bezüge in seinem Umfeld auf und ermöglicht ein hohes Maß an stimmungsvollen Ausblicken und Raumfolgen. Den geringen Höhenunterschied auf dem Grundstück habe ich genutzt, um einen für den Holzbau typischen mineralischen Gebäudesockel auszuprägen und eine LKW-Laderampe zu integrieren. Die volle Unterkellerung des Bauwerks erlaubte, die Ausdehnung des Neubaus eng zu begrenzen und die leider unausweichliche Flächenversiegelung auf ein Minimum zu begrenzen.

Das Nebengebäude aus Stahlbeton beherbergt technische Anlagen mit erhöhten Anforderungen an den Brandschutz. Zwischen den beiden Bauten führt eine Rampe in die Tiefgarage hinab. (Foto: Simon Oberhofer)
Die panoramaartigen Fassadenöffnungen geben schöne Blick auf die Berglandschaft ringsherum frei. (Foto: Simon Oberhofer)
Im Inneren sorgen viele Durchblicke mit zu öffnenden Fenstern für Transparenz. Das erzeugt ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Mitarbeitenden. (Foto: Simon Oberhofer)
Wie kamen Sie zu dem Auftrag?


Der Vorentwurf für das Bauwerk entstand 2014 im Zuge meiner Diplomarbeit. 2020 erhielt ich die Möglichkeit, ihn weiterzubearbeiten und schließlich zu verwirklichen.

Blick von der Maschinenhalle in den Bürobereich, der im ersten Obergeschoss untergebracht ist, (Foto: Simon Oberhofer)
Blendfreies Tageslicht dringt über Öffnungen in der Dachhaut in die Maschinenhalle (Foto: Simon Oberhofer)
Inwiefern haben die Bauherrschaft oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft erfolgte auf Augenhöhe und in engem Austausch. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tischlerei wurden bei der Gestaltung der verschiedenen Nutzungsabläufe in regelmäßigen Abständen in die Planung einbezogen. Ein Gebäude, das die Firma nach außen repräsentiert und gleichzeitig im Inneren perfekt auf die Bedürfnisse der dort arbeitenden Menschen abgestimmt ist, war das große Anliegen aller Beteiligten.

Blick vom Pausenraum über die Handwerkshalle in die Maschinenhalle (Foto: Simon Oberhofer)
Der Treppenhauskern ist mit gefärbtem Kalkputz gestaltet. Hier führt eine zweiläufige Stahlbetontreppe mit Holzbrüstung nach oben. (Foto: Simon Oberhofer)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


Um das vorgegebene Budget einhalten zu können, wurde das Gebäude in mehreren Schritten flächenmäßig optimiert. Die höhere Kompaktheit des Bauwerks führte gleichzeitig zu einer besseren ortsräumlichen Verträglichkeit und zu kürzeren Wegen im täglichen Produktionsablauf.

Die Büroräume verfügen über Nischen mit Einzelarbeitsplätze. Der Blick geht sowohl in die Umgebung als auch zum Innenhof. (Foto: Simon Oberhofer)
Der Schauraum besitzt eine Kassettendecke und einen Lehm-Kasein-Boden. (Foto: Simon Oberhofer)
Blick in die Ausstellungsküche mit dahinter anschließendem Ruheraum für die Mitarbeitenden (Foto: Simon Oberhofer)
Warum haben Sie sich für die eingesetzten Materialien entschieden?


Die Verwendung von Holz als Baustoff blickt in der Region auf eine lange Tradition zurück und hat sich über Jahrhunderte vielfach bewährt. Das hölzerne Tragwerk aus BSH-Stützen und Fachwerkträger aus Baubuche wird durch Außenwandelemente in Rahmenbauweise und aussteifende Stahlbetonstützen ergänzt. Den Innenausbau hat der Betrieb in Eigenleistung übernommen. Wenige weitere Materialien wie Lehm-Kasein-Anstriche, eingefärbte Kalkputze, Teppiche oder beschichtete Industrieböden bilden die gesamte Material-Collage ab. Lediglich erdberührende Bauteile und Bereiche mit erhöhten Brandschutzanforderungen wurden in Stahlbeton ausgeführt.

Der Innenhof zwischen Büros und Schauraum ist mit Sitzmöbeln gestaltet und lädt zum informellen Austausch ein. (Foto: Simon Oberhofer)
Inwiefern beschäftigten Sie sich im Büro mit der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit?


Ich beschäftige mich schon sehr früh im Entwurf mit diesen Fragen. Entscheidend ist dabei letztlich aber immer, inwieweit die Bauherrschaft den vorgeschlagenen Weg mitgeht. Gerade bei Industriebauten liegt die Prämisse naturgemäß oft auf der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit. Ich glaube, dass wir es bei diesem Projekt geschafft haben, viele wichtige Themen gleichermaßen abzubilden und einen guten Mix umzusetzen. Mehrkosten zugunsten ökologischer und sozialer Themen wurden von der Bauherrschaft in Kauf genommen, wobei es in der Nachbetrachtung so scheint, als würden sich diese Ausgaben in Form von sehr zufriedenen Mitarbeiterinnen und Kunden rasch amortisieren.

Blick auf die Tischlerei am Ortsrand unweit des Gemeindezentrums (Foto: Simon Oberhofer)
Grundriss Untergeschoss (© Simon Moosbrugger Architekt)
Grundriss Erdgeschoss (© Simon Moosbrugger Architekt)
Grundriss Obergeschoss (© Simon Moosbrugger Architekt)
Längsschnitt (© Simon Moosbrugger Architekt)
Querschnitt (© Simon Moosbrugger Architekt)
Neubau Tischlerei Rüscher
2022
6882 Schnepfau, Vorarlberg, Österreich
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Tischlerei Rüscher GmbH, Schnepfau
 
Architektur
DI Simon Moosbrugger Architekt ZT, Bersbuch
 
Fachplaner
Örtliche Bauaufsicht und Projektleitung: i+R Industrie- & Gewerbebau GmbH, Lauterach
Tragwerksplanung Holzbau: i+R Holzbau, Lauterach
Statik: zte Leitner GmbH, Schröcken
HSLK: elplan Lingg Elektroplanungs GmbH, Schoppernau
Geologe: 3P Geotechnik, Bregenz
Brandschutz: IHW – Ingenieurbüro Huber GmbH, Weiler
Bauphysik: DI Günter Meusburger GmbH, Schwarzenberg
Vermessung: Bernhard Ender, Langen bei Bregenz
Entwässerungs- und Außenanlagenplanung: Ingenieurbüro Landa, Dornbirn
Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator: Gau Kurt Planungs- und Baukoordination, Feldkirch
 
Energiestandard
Büro: 45 kWh/m² im Jahr (HWB)
Produktion: Nachweise erfüllt
 
Bruttogeschossfläche
5350 m² inklusive Tiefgarage
 
Gebäudekosten
5'500'000 €
 
Fotos
Simon Oberhofer

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