Aufbruchszeit in Übersee

Elias Baumgarten | 28. März 2025
Komplex der Hafenverwaltung CEPA in Acajutla, 1958 (Foto: © Archiv Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller)

Ein ornamentales Gitterwerk aus Beton schützt die Hafenverwaltung von Acajutla (1958) vor der glühenden Sonne Mittelamerikas: In seinem Schatten bleiben die Büros trotz ihrer großen Fenster angenehm kühl. Der markante Bau an El Salvadors Pazifikküste ist eine der ikonischsten Arbeiten des österreichischen Architektenpaars Ehrentraut Katstaller-Schott und Karl Katstaller. Meisterhaft wussten die Wienerin und der Tiroler die Architektursprache der Moderne und ihr in Europa erworbenes technisches Wissen mit lokalen Bautraditionen zu verbinden, um eine elegante, natürlich belüftete und gekühlte Architektur für das tropische Klima El Salvadors zu schaffen. Ab 1952 prägten sie das Land mit ihren Bauten: Sie errichteten zahlreiche Schulen, Märkte und Gemeindeämter und entwarfen große Verwaltungs- und Kulturbauten wie San Salvadors Museum für Anthropologie (1962) oder die Nationalbibliothek (1959). Auch bauten sie ab 1954 die Architekturfakultät an der Universität von San Salvador mit auf, die erste Architekturschule des Landes, und Ehrentraut wurde als erste bauende und lehrende Architektin El Salvadors zum Vorbild für viele junge Frauen. Doch in Europa blieb das Paar weitgehend unbekannt, kaum jemand interessierte sich für seine Leistungen.

Das änderte sich erst vor Kurzem: Ehrentraut und Klaus’ Enkeltochter Rachel Katstaller, die heute in Innsbruck lebt, erzählte der Kulturjournalistin Ivona Julčić und der Kuratorin Nicola Weber stolz von der Karriere ihrer Großeltern. Die beiden begaben sich auf Spurensuche und reisten nach El Salvador. Sie besuchten die hochbetagte Ehrentraut (1924–2024), die zurückgezogen in dem Haus lebte, das sie mit Klaus entworfen hatte, und sichteten ihr Privatarchiv. An ihre Ankunft im früheren Atelier der Katstallers erinnern sich die Kuratorinnen genau: »Als wir es zu Jahresbeginn 2023 zum ersten Mal betreten, wirken die Zeichentische wie eben erst verlassen, in den Schränken und Regalen lagern unzählige Entwurfsmappen, Skizzen, Papierrollen, Fotografien, Auftragsbücher, Briefe und persönliche Dokumente.« Das Material zu untersuchen war eine enorm aufwendige Arbeit, mit der Julčić und Weber einen wichtigen Beitrag zur Architekturgeschichtsschreibung geleistet haben. Jetzt zeigen sie die Ergebnisse ihrer Recherche in der Ausstellung »aufbruch in die architekturmoderne el salvadors« im Innsbrucker Architekturzentrum aut und einem Buch, das beim Zürcher Verlag Park Books erschienen ist.

Primarschule, San Vicente, um 1954 (Foto: © Archiv Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller)
Sportstadion Óscar Quiteño, Santa Ana, 1963 (Foto: © Archiv Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller)
Staatliches Museum für Anthropologie, San Salvador, 1962 (Foto: © Archiv Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller)
Eine fulminante Karriere

Im Adambräu-Sudhaus, das passenderweise von Lois Welzenbacher entworfen wurde, in dessen Meisterklasse an der Wiener Akademie der bildenden Künste sich Ehrentraut und Karl einst ineinander verliebt hatten, sind Entwurfsskizzen, Pläne und Architekturfotografien zu sehen. Persönliche Dokumente, Korrespondenzen und Filmaufnahmen erzählen die Lebensgeschichte der beiden. Ehrentraut und Klaus kamen zusammen, als sie Ende der 1940er-Jahre an der Umsetzung eines von Welzenbacher entworfenen Hauses im Taunus arbeiteten. Es folgte die Gründung eines gemeinsamen Büros in Deutschland, doch so richtig durchstarten sollte das Paar erst 1952, als es einen Aufruf der salvadorianischen Regierung las, die damals im Ausland Architekten anwarb. Die beiden reisten in das mittelamerikanische Land, um für das staatliche Departement für Urbanisierung und Architektur (DUA) zu arbeiten – eine Rückkehr nach Europa kam für sie bald nicht mehr infrage.

Karl Katstaller und Ehrentraut Schott, um 1950 (Foto: © Archiv Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller)

In den zehn Jahren nach ihrer Ankunft entwarfen Ehrentraut und Klaus Bauten für das Modernisierungsprogramm der Regierung, die mit den Gewinnen aus dem florierenden Kaffeehandel einen modernen Wohlfahrtsstaat aufbauen wollte. In dem zu diesem Zeitpunkt von Experimentierfreude und Aufbruchsstimmung geprägten Land entwickelten sie einen eigenen Architekturstil, der die Sprache und Prinzipien der Architekturmoderne mit lokalen Bautraditionen verband. Einige ihrer Bauten gewinnen ihre Kraft auch aus eleganten Beton-Hängedachkonstruktionen wie die Grundschule von San Vicente (1954) oder das Óscar-Quiteño-Stadion in Santa Ana (1963). In ihrer damals konservativ geprägten Heimat, aber auch in der jungen Bundesrepublik wäre all dies schwerlich möglich gewesen.

Doch Ehrentraut und Klaus, die 1962 heirateten, arbeiteten nicht nur im Auftrag des DUA an öffentlichen Bauten. Sie entwarfen auch Wohnhäuser für ausländische Geschäftsleute, gestalteten Bürogebäude und bauten sogar Industrieanlagen. Gerne designten sie auch Möbel: In den 1970er-Jahren hatten sie im Garten ihres Wohnhauses eine eigene Möbelwerkstatt eingerichtet.

Haus Funes Hartmann, San Salvador, um 1960 (Foto: © Archiv Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller)
Gestalterin bis ins hohe Alter

Jäh gedämpft wurde die außergewöhnliche Karriere der Katstallers, als in den 1970er-Jahren die politische Lage in El Salvador immer instabiler und gefährlicher wurde, bevor sich die Unruhen 1980 zu einem langen und blutigen Bürgerkrieg steigerten. Ehrentraut und Klaus blieben zwar, doch bauen konnten sie kaum noch. 1989 starb Klaus unerwartet. Ehrentraut, deren Pionierrolle und Vorbildfunktion als Architektin und Professorin in Mittelamerika die aut-Kuratorinnen besonders interessiert, entwarf bis ins hohe Alter Umbauten und gestaltete Inneneinrichtungen, ehe sie 100-jährig verstarb. Die sehenswerte Ausstellung im aut ist noch bis zum 14. Juni geöffnet. Die architekturhistorische Forschung zu Ehrentraut Katstaller-Schott und Karl Katstaller steht indes wohl erst am Anfang.

Blick in die Ausstellung (Foto: © Günter Richard Wett)

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