Der neue Wert der Tradition: DIVIA Award 2025 für Trần Thị Ngụ Ngôn
Unter Architekturschaffenden wächst das Interesse an altbewährten klimagerechten Bauweisen, das spiegelt sich auch im Architekturpreis des Vereins Diversity in Architecture: Gewinnerin Trần Thị Ngụ Ngôn schöpft aus der Bautradition ihrer vietnamesischen Heimat und gestaltet behagliche Lowtech-Architekturen.
Der Goldene Löwe für den besten nationalen Beitrag zur 19. Architekturbiennale geht an Bahrain: Der Berliner Architekturprofessor Andrea Faraguna zeigt in seiner ausgezeichneten Schau »Heatwave«, wie Menschen in einer überhitzten Welt überleben können. Davon handeln auch andere Beiträge an der weltgrößten Architekturausstellung. Hitze entwickelt sich zu einer der größten Herausforderungen für Architektinnen und Architekten rund um den Globus. Während die Bauindustrie »smarte«, hochtechnisierte Lösungen anpreist, wenden sich viele von ihnen traditionellen Bauweisen zu, um klimatische Probleme mit architektonischen Mitteln zu lösen – so wie Trần Thị Ngụ Ngôn, die Gewinnerin des DIVIA Award 2025. Die vietnamesische Architektin entwirft hochästhetische Lowtech-Bauten, die trotz des zuweilen schwülheißen Klimas in ihrer Heimat wohlige Räume bieten.
Gemeinsam mit ihrem Partner Nguyễn Hải Long gründete sie 2011 in Ho-Chi-Minh-Stadt das Büro Tropical Space. Das Paar entwickelt aus traditionellen Konstruktionen und lokalen Baumaterialien eine zeitgemäße Architektur: Ihr famoses Bürohaus Premiere Office in Ho-Chi-Minh-Stadt bauten die beiden aus Lehmziegel. Eine Filterschicht aus Lochmauerwerk und tiefen, bepflanzten Loggien schützt das siebenstöckige Bauwerk vor dem Tropenklima: Die Konstruktion lässt zwar genug Tageslicht durch, verhindert aber, dass direkte Sonneneinstrahlung die dahinterliegenden Büros unangenehm aufheizt. Diese können dank großer Glasschiebetüren geöffnet werden, sodass an heißen Tagen ein kühlender Luftzug durch das Gebäude streicht. Der ästhetische Glanzpunkt dieser so einfachen wie intelligenten Sonnenschutzarchitektur ist das halbovale Atrium mit Rezeption, dessen Luftraum alle Geschosse verbindet. Von oben und seitlich einfallendes Tageslicht verstärkt seine beeindruckende Raumwirkung: Auf dem mit unterschiedlichen Verbänden und rhythmisch gesetzten Öffnungen gestalteten Mauerwerk entwickeln sich lebhafte Hell-Dunkel-Kontraste. Der kleine Innenhof fesselt, die faszinierende Architektur lässt den Alltag draußen vergessen.
Wie meisterhaft Trần Thị Ngụ Ngôn und Nguyễn Hải Long mit Helligkeitskontrasten, Mustern und Texturen umzugehen wissen, zeigt sich auch bei ihrem Termitary House (2014). Die textil anmutende Fassade des kleinen Wohnhauses aus Lehmziegel wirkt wiederum als Lichtfilter und konstruktiver Sonnenschutz. Im Inneren sind Korridore, Treppen und Sanitärräume um einen doppelgeschossigen Wohnraum mit Koch- und Schlafnische angeordnet. Die dunklen Gänge stehen in stimmungsvollem Kontrast zum hellen Wohnzimmer, dessen Mauerwerk dank von oben einfallendem Licht noch plastischer in Erscheinung tritt. Durch einen »Vorhang« aus mit Abstand vermauerten Lehmziegel erhascht man einen Blick auf die umlaufende Galerie im Obergeschoss. Doch das ästhetische Haus ist kein Luxusobjekt – ganz im Gegenteil: Trần Thị Ngụ Ngôn und Nguyễn Hải Long haben es für Menschen mit geringem Einkommen gebaut. Als Prototyp soll es zeigen, dass Sparsamkeit keineswegs zulasten der Architekturqualität gehen muss.
Um klimagerecht zu bauen, nutzt das Architektenpaar die physikalischen Eigenschaften von lokalen Naturbaustoffen klug: Bei der Terrakotta-Werkstatt des Künstlers Lê Đức Hạ am Thu-Bồn-Fluss sorgen Lehmziegel für gesunde Arbeitsbedingungen. Dank ihrer porösen Struktur können sie Feuchtigkeit und Wärme besonders gut aufnehmen. So bleibt das Raumklima in der Anlage angenehm, die aus einem 2016 gebauten Atelier und einem 2023 hinzugefügten Komplex mit Keramikofen, Künstlerarbeitsplätzen und Schaulager besteht. Ein Boden aus Stampflehm reguliert die Feuchtigkeit in den Arbeitsbereichen zusätzlich. Der Umwelt zuliebe und um durch kurze Transportwege Kosten zu sparen, wurden die Steine in den umliegenden Dörfern hergestellt und von Einheimischen vermauert.
Trần Thị Ngụ Ngôn auszuzeichnen, ist ein großartiges Signal: Die junge Architektin beweist, wie reich und qualitätsvoll einfach gebaute, klimagerechte Architektur sein kann. Jurychefin Martha Thorne lobt, es liege Tropical Space fern, ikonische, nach Aufmerksamkeit heischende Bauten zu entwerfen, vielmehr schaffe das Büro Sinnvolles. Der Verein Diversity in Architecture um die Kunsthistorikerin Ursula Schwitalla wird mit der Vergabe seines Architekturpreises, für den 25 Architektinnen aus sechs Kontinenten nominiert waren, dem eigenen Anspruch gerecht, Talenten mit vorbildlicher Haltung, die aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder kultureller Zugehörigkeit ins Abseits gedrängt werden, die verdiente internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Am 10. Mai konnte sich Trần Thị Ngụ Ngôn im Palazzo Mora in Venedig feiern lassen. Mit dabei waren die übrigen Finalistinnen Carolina Rodas und Carla Chávez (RAMA Estudio), Izaskun Chinchilla, Cazú Zegers und Patcharada Inplang. Einzig Surella Segú (El Cielo) fehlte: Die Mexikanerin unterrichtet an der Rhode Island School of Design und fürchtete, nach einem Venedig-Besuch nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen zu dürfen. Doch von der Politik der Trump-Regierung ließ sich an diesem Abend niemand die Laune verderben – denn Surella Segú war mit ihren Arbeiten präsent: Wie die aller Finalistinnen sind sie noch bis zum 23. November im Rahmen der Ausstellung »Time Space Existence« des European Cultural Centre im Palazzo Mora zu sehen. Zusätzlich werden sie in einem Buch zum DIVIA Award 2025 gebührend gewürdigt, das an der Preisverleihung Vernissage feierte. Und Biennale-Chefkurator Carlo Ratti lud die Finalistinnen zu einer Podiumsdiskussion ins Arsenale ein.