Inspirierende Einordnung

Peter Zöch | 13. Juni 2025
Foto: © Peter Zöch

Landschaftsarchitekturprojekte und der Beitrag von wohl gestaltetem und kühlendem Freiraum zu lebenswerten Städten spielen im deutschen Pavillon der diesjährigen Architektur-Biennale eine wichtige Rolle. Wohin aber bewegt sich die Profession in Europa? Welche Trends und Tendenzen lassen sich in Zeiten des Klimawandels ablesen? Antworten darauf möchte die Stiftung Landscape Architecture Europe, kurz LAE, geben. Nun hat sie die siebte Ausgabe ihres alle drei Jahre erscheinenden englischsprachigen Jahrbuchs zur aktuellen Landschaftsarchitektur in Europa vorgelegt. Unter dem Titel »Full of Life« präsentiert LAE insgesamt 42 von einer Jury ausgewählte Projekte. Versammelt sind multifunktionale Parks im tschechischen Litomyšl, im irischen Dublin oder im spanischen Badalona ebenso wie Plätze im französischen Courbevoie oder im dänischen Thisted. Zusätzlich finden sich auch künstlerische Freiraum-Aktionen wie »Bosk« im Buch, eine mobile Pflanzen-Installation, die durch Leeuwarden in den Niederlanden bewegt wurden, oder Ausstellungen wie »Water Choreographies« zur Dynamik der von Wasser geprägten Landschaften rund um Lissabon. 

Essays und Porträts runden die 320-seitige Dokumentation ab; zum Beispiel Reflexionen darüber, was Ästhetik im Zeitalter des Anthropozäns bedeutet oder in Zeiten einer sozio-ökologischen Transformation. Gegliedert ist das Buch in die Hauptkapitel »Promise of Tolerance« und »Transitory Beauties«, die als thematische Klammern für unterschiedlichste Projekte wirken. Die Bezüge und Ähnlichkeiten hat die Jury bei der Begutachtung letzterer herausgefiltert. Weitere Unterkapitel ergänzen und präzisieren die Hauptthemen und geben Einblick in die Gedanken der Jury.

Foto: © Peter Zöch
Foto: © Peter Zöch

Das »Versprechen der Toleranz« unterstreicht eine ureigene Aufgabe des öffentlichen Freiraums, nämlich für alle da zu sein, Widersprüche auszuhalten und gleichzeitig Möglichkeiten zur Begegnung zu schaffen, zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus und Kulturkreisen. In immer bunteren Gesellschaften ist diese soziale Funktion – neben der Linderung der wachsenden Hitzebelastung – die wichtigste Entwurfsaufgabe der Landschaftsarchitektur. Die ausgewählten Projekte stehen für den Anspruch, eine intensive gestalterische Auseinandersetzung vorausgesetzt, dass räumliche Strukturen, Kompositionen und Atmosphären geschaffen werden können, die ein Miteinander und die Wertschätzung des »Anderen« fördern. Beim Schmökern bekommt man dann auch Lust, etwa im Quartier Little C in Rotterdam von Juurlink en Geluk, CULD und Inbo an einem Nachbarschaftstreff teilzunehmen oder durch die vom Büro SLA gestaltete Fußgängerzone von Silkeborg in Dänemark zu schlendern. Gerne möchte man auch im Stadtwald von Starachowice in Polen, der von eM4 Pracownia Architektury Brataniec gestalterisch aufgewertet wurde, entspannen.

Und wie wirken sich Chaos und Dynamik auf die Ästhetik aus? Wie beeinflussen Ungewissheit und stetige Anpassung unsere Sehgewohnheiten? Auf statische Szenerien ausgelegte Landschaftsentwürfe sind jedenfalls passé. Das Kapitel »Transitory Beauty« sucht den vorübergehenden Charakter der zeitgenössischen Ästhetik zu fassen. Die in diesem Buchteil vorgestellten Projekte zeigen Ansätze, wie mit Offenheit und Veränderung umzugehen ist. Beim Projekt »Edible Wadden Coast« im niederländischen Groningen denkt das Team des Büros Flux Landwirtschaft, Flutschutz, Biodiversität und naturnahe Produktion zusammen. Das Ergebnis ist eine zukunftsweisende Landschaftsgestaltung, bei der Natur und Landwirtschaft keine Gegensätze mehr sind.

Foto: © Peter Zöch
Foto: © Peter Zöch

Veränderung bedeutet aber auch, die Qualitäten von existierenden Anlagen zu würdigen, sie neu zu interpretieren und sanft weiterzuentwickeln – wie es zum Beispiel dem Büro Umland mit minimalen Eingriffen bei den Englischen Anlagen in Bern gelungen ist. Dort wachsen Änderungen und Adaptionen mit dem Park, als wären sie schon immer Teil der Gestaltung gewesen. Paradoxerweise wirken sie dann trotz einer gewissen Dynamik statisch, da sie die vorhandenen Qualitäten betonen.

Seit der Jahrtausendwende beschäftigt sich ein breit aufgestelltes Jury- und Redaktionsteam im dreijährigen Rhythmus mit den aktuellen Tendenzen der Landschaftsarchitektur. »Full of Life« ist – wie auch die bisher erschienenen Ausgaben – weit mehr als eine anregende Projektsammlung, die sich über den europäischen Kontinent spannt. Das Buch ist eine lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Stand der Dinge in der Profession. Den Versuchen einer Einordnung aktueller Tendenzen kann man zustimmen oder widersprechen, doch sie machen die Publikation in jedem Fall zu einer wertvollen Inspiration. 

Verwandte Artikel