Reisen? Ja, aber verantwortungsbewusst
Urlauber brachten vielen Regionen Wohlstand. Doch zu einem hohen Preis: Oft geht der Boom mit Umweltzerstörung und Verdrängung einher. In einer großen Wanderausstellung zeigt das Architekturzentrum Wien nachhaltigere Alternativen zum Massentourismus. Bald gastiert die Schau in Innsbruck.
Tourismus ist Fluch und Segen. Von Tirol über den bayerischen Alpenrand bis in die Schweiz haben Feriengäste viel Geld in vormals arme Bergregionen getragen. Doch der wirtschaftliche Aufschwung durch den Massentourismus ist teuer erkauft: Endlose Staus verstopfen die Straßen, Skipisten zerstören Almwiesen, Sportautos und Motorräder röhren durch sensible Hochgebirgslandschaften. Und nicht nur die Natur zahlt einen hohen Preis. Oft reisen einfach zu viele Gäste an: In Tirol kamen 2019 auf 750'000 Einwohnerinnen und Einwohner 49.6 Millionen Nächtigungen. Eine Folge des Ansturms sind explodierende Bodenpreise: Einheimische finden nur noch schwer erschwingliche Wohnungen und werden aus ihren Dörfern und Städtchen verdrängt.
Das Architekturzentrum Wien mischt sich mit dem großen Ausstellungsprojekt »Über Tourismus« in die Debatte über das Reisen und seine Folgen ein. Zuvor war das Museumsteam während der Recherchearbeit für die Schau »Boden für Alle« im Zusammenhang mit dem Bodenverbrauch immer wieder auf das Themenfeld Tourismus gestoßen. Vom 27. Juni bis zum 18. Oktober wird die Wanderausstellung im Tiroler Architekturzentrum aut in Innsbruck gezeigt.
Natürlich sind die Schattenseiten unseres Reiseverhaltens ein wichtiger Teil von »Über Tourismus«. Die Auswirkungen von Kurzzeitvermietungsplattformen, weiten Flugreisen, riesigen Kreuzfahrtschiffen, immer größeren und luxuriöseren Hotelanlagen und Ferienhäuser, die zur beliebten Geldanlage wohlhabender Städter geworden sind, diskutiert die Schau kritisch. Die Folgen für Natur, Landwirtschaft und einheimische Bevölkerung veranschaulichen viele Illustrationen, Beispiele und umfangreiches Datenmaterial. Trotzdem geht es nicht darum, Urlaubsreisen zu verteufeln: Die Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter fragen, wie ein sanfter, menschen- und umweltfreundlicher Tourismus aussehen könnte.
Zu den Positivbeispielen gehören Hotels, die einen ungewöhnlichen Geschäftsweg eingeschlagen haben. Zum Beispiel der Berghof in der Tiroler Gemeinde Seefeld: Das Ende der 1920er-Jahre erbaute Hotel, ein wichtiger Zeuge des alpinen Bauens in Österreich, befindet sich bis heute in Familienbesitz. Zwar wurde die Anlage immer wieder umgestaltet. Doch statt das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude zu vergrößern, haben die Eigentümer die Zimmerzahl sogar reduziert. Man müsse nicht immer wachsen, ist der Hotelchef Peter Woldrich überzeugt. Auch ins Luxussegment vorzudringen, war nie seine Absicht – bis heute ist der Berghof ein 3-Sterne-Hotel geblieben. Den »klassischen Gast« spreche man so nicht an, erklärt Woldrich. Aber das macht nichts: Zahlreiche Architekturinteressierte aus Österreich und dem Ausland nächtigen gerne bei ihm.
Wertvolle Arbeit zwischen Tourismus und Denkmalpflege leistet die Stiftung Ferien im Baudenkmal des Schweizer Heimatschutzes: Sie übernimmt – sei es durch Kauf oder Vereinbarungen mit den Eigentümern – von Abriss und Verfall bedroht Baudenkmäler, restauriert sie liebevoll und vermietet sie dann als Ferienwohnungen. Die Preise sind für Schweizer Verhältnisse gemäßigt, denn die Stiftung verfolgt idealistische Ziele: Baukultur zu erleben, soll Menschen für den Wert historischer Bauwerke sensibilisieren. Viele der Feriendomizile befinden sich in abgelegenen Bergregionen, die von Abwanderung betroffen sind. Hier schafft die Stiftung mit ihrem Engagement die Grundlage für einen nachhaltigen, sanften Tourismus und lokale Wertschöpfung.
Im aut wird die Ausstellung von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm mit Führungen, Kurzfilmabend und spannenden Vorträgen begleitet. Am 16. Oktober etwa stellt Christine Matthey die Arbeit der Stiftung Ferien im Baudenkmal vor. Wer sich noch weiter in die Debatte vertiefen möchte, liest das Buch zur Ausstellung. Toll: Verantwortungsvollen Hoteliers und gutgemeinten Initiativen gegenüber bewahren die Autorinnen kritische Distanz. Das Schweizer Bundesgesetz über die Zweitwohnungen, das den Gemeinden eine Höchstquote für Zweitwohnungen vorschreibt, geht ihnen nicht weit genug. Auch kritisieren sie das italienische Konzept, Urlauber in historischen Gebäuden unterzubringen, statt neue Hotels zu bauen, um Wertschätzung zu steigern und lokalen Klein- und Familienbetrieben eine Perspektive zu bieten: Der an sich gute Ansatz mache Gemeinden vom Tourismus abhängig und transformiere sie womöglich zu Freiluftmuseen.
So schön und ermutigend die in »Über Tourismus« vorgestellten Projekte und Initiativen sind, es bleiben Einzelangebote für Menschen, die ohnehin Interesse und Problembewusstsein mitbringen. Doch für eine tiefgreifende Veränderung braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Wertewandel. Und der ist noch nicht absehbar, solange außer einer kleinen Gruppe Umweltbewusster die große Mehrheit für das persönliche Vergnügen oder die Prahlerei mit der letzten Luxusreise die ökologischen und sozialen Folgen ausgeblendet. Es kommt darauf an, ob das egoistische Ich-will-aber, das momentan das Denken vieler zu prägen scheint, zugunsten einer reflektierteren Haltung überwunden werden kann. Vielleicht macht die Wanderausstellung neugierig und lässt zumindest einige Besucherinnen und Besucher das eigene Handeln hinterfragen, vielleicht inspirieren die Positivbeispiele Nachahmer – es wäre zu wünschen.
Die Ausstellung im aut (Lois Welzenbacher Platz 1, 6020 Innsbruck) dauert vom 27. Juni bis zum 18. Oktober dieses Jahres. Mehr Informationen