Vom ländlichen Bauen in Deutschland zum Klimawandel in den Philippinen
Peter Cachola Schmal ist seit 2000 am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main, wo der ausgebildete Architekt seit 2006 als Direktor wirkt. Nach 25 Jahren ist es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, bevor seine Tätigkeit im Sommer 2027 endet.
Das Deutsche Architekturmuseum, kurz DAM, macht Ausstellungen, Programme, Publikationen und Veranstaltungen, lobt Architekturpreise aus und hat ein großes Archiv. Als was versteht sich das Museum unter deiner Leitung?
Wir sind all das und noch viel mehr. Ein Zentrum, eine Plattform, ein Netzwerk für Architektur. Ausgehend von unserem Archiv mischen wir uns in aktuelle Themen ein, mit nationalem und internationalem Blick, aber auch mit lokalem Bezug. Dies gelingt uns, da wir als neutrale Vermittler wahrgenommen und geschätzt werden, auch bei politisch heiklen Themen.
Das DAM hat einen großen Namen, wird aber nur lokal finanziert. Wie funktioniert das?
Kulturdezernent Hilmar Hoffmann und Direktor Heinrich Klotz gründeten 1979 das erste Architekturmuseum in Deutschland und gaben ihm den Namen Deutsches Architekturmuseum. Diesem Anspruch fühlen wir uns verpflichtet, auch wenn wir ein städtisches Museum sind. Das hilft uns international ungemein.
Wie viele Mitarbeiter hat das DAM?
Etwa 20 Angestellte und einen Kreis von freien Mitarbeitern mit Werkverträgen.
Du bist seit dem Jahr 2000 am DAM und seit 2006 auch leitender Direktor. Im Sommer 2027 wirst du aufhören. Was waren in den letzten 25 Jahren die aufregendsten Projekte?
Es gab viele spannende Projekte. Natürlich die beiden Biennale-Beiträge für Deutschland: Auf der VII. Internationalen Architekturbiennale São Paulo (2007) zeigten wir »Ready for Take-Off« und an der 15. Internationalen Architekturausstellung La Biennale di Venezia (2016) waren wir mit »Making Heimat. Germany Arrival Country« vertreten. Letztere Ausstellung war besonders intensiv und mit nur knapp sechs Monaten von der Beauftragung bis zur Eröffnung eine große Herausforderung. Mit unserem Thema der Ankunftsstädte als Einwanderungsland haben wir genau ins Schwarze getroffen – das Thema hat bis heute nichts von seiner Brisanz verloren.
Gerne erinnere ich mich auch an Mammutprojekte wie »SOS Brutalism« (2017), das mit den ungeliebten Betonmonstern für Aufregung sorgte, an die große Entdeckung »Design für die sowjetische Raumfahrt – Die Architektin Galina Balaschowa« (2015) oder an »Think Global, Build Social! Bauen für eine bessere Welt« (2013), die eine neue Haltung in der Architektur verkündete. Folgenreich war die Ausstellung »Paulskirche – Ein Denkmal unter Druck« (2019), in der wir vor der Zerstörung des Nachkriegsdenkmals warnten und die zu einer Kommission des Bundespräsidenten und einem Wettbewerb für ein Haus der Demokratie neben der Paulskirche führte.
Am zufriedenstellendsten sind Ausstellungen mit konkreten Folgen. Nach »Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand« (2022) wurden zwei große Gebäude hier in Frankfurt erhalten. So wurde das DAM Ostend, das wir seit 2021 als Interim während der Sanierung bespielen, nun zum Kulturdenkmal erklärt. Es ist schön, wenn eine Ausstellung wichtige Impulse geben kann wie »Fahr Rad! Die Rückeroberung der Stadt« (2018). Danach wurde ganz Frankfurt zur Fahrradstadt.
Im Moment wird das DAM saniert. Auf was kann sich das Publikum bei der Wiedereröffnung freuen?
Auf ein strahlendes Architekturdenkmal. Die verspätete Fertigstellung findet nun Ende Mai statt. Wir werden einige Ausstellungen zeigen wie »Energie + Architektur« mit Werner Sobek. »Stadt für Alle« von einer Prager Gruppe als Vermittlungsangebot an Laien, sich an der Entwicklung unserer Städte zu beteiligen, und »Stadt Bauen Heute? Die Herausforderungen neuer Quartiere« über Methoden, wie man heute doch noch ein neues Stadtviertel realisiert bekommt. Letztere Ausstellung ist Teil einer Reihe von Feierlichkeiten anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums des Neuen Frankfurts von Ernst May, der in nur fünf Jahren die unglaubliche Zahl von 12'000 Wohnungen plante und realisierte.
Es gab auch immer wieder Architekturausstellungen im DAM zu den jährlich wechselnden Gastländern der Frankfurter Buchmesse. Gibt es da eine kontinuierliche Kooperation?
Ja, es gibt eine Zusammenarbeit mit der Buchmesse, die die Kulturverantwortlichen der Gastländer mit uns Museen zusammenbringt, um die Möglichkeit gemeinsamer Projekte zu diskutieren. Ich vertrete zeitgenössische Ansätze und schlage vor, einen kuratorischen Partner im Gastland zu finden. Wenn die Beteiligten einverstanden sind, suche ich nach leistungsfähigen Institutionen oder Akteuren und hoffe, dass unser gemeinsames Projekt finanziert wird. Das ist nicht immer einfach, aber meistens gelingt es. So haben wir seit 2007 die verschiedensten Ausstellungsprojekte realisieren können: von Katalonien (»Patent Solutions«), die Türkei (»Becoming Istanbul«), Südkorea (»Megacity Network«), China (»M8 in China«), Argentinien (»Von Deutschland nach Argentinien«), Island (»Island und Architektur?«), Brasilien (»Nove Novos«), Finnland (»Suomi Seven«), Indonesien (»Tropicality Revisited«), Flandern (»Maatwerk«), Georgien (»Hybrid Tbilisi«) bis nach Norwegen (»Hunting High and Low«). Dann war Schluss wegen Corona und unserer Sanierung.
Was mich ein bisschen stolz macht, ist, dass aus diesem Kreis von Kuratoren diejenigen aus Südkorea und Indonesien die ersten Architekturmuseen in ihren Ländern gegründet haben. Es gab aber auch Länder, die ihre eigenen Vorstellungen hatten, wie sie sich repräsentiert sehen wollten. Und dann ist die Schau zum Gastland bei uns ausgefallen.
Was können wir 2025 erwarten?
Mein Herzensprojekt, denn das nächste Gastland sind die Philippinen, das Land meiner Mutter. Dort gibt es keine Architekturinstitutionen und nur selten Architekturausstellungen. Über den ersten Architekturführer zu Manila des DOM Verlags bin ich auf eine junge Architektin aus Toronto gestoßen, die mich mit ihrem Netzwerk in Manila und den USA verbunden hat. Das Kuratorenteam arbeitet an einer Ausstellung über zeitgenössische Architektur auf den Philippinen, die sich mit dem Umgang mit dem Klima beschäftigt und Anleihen bei der vernakulären Architektur sucht. Der Anstieg des Meeresspiegels wird in Zukunft lebensbedrohlich sein. Wie geht man damit um, wenn man kein Geld hat? Wie reagieren die oft in Amerika ausgebildeten Architekten? Wo gibt es Vorbilder?
Am DAM gibt es ein Archiv mit einer großen Sammlung. Wie ist die aktuelle Sammlungspolitik und wie der Umgang mit dem Bestand?
Unsere Archivkapazitäten sind weitgehend erschöpft. Wir sammeln jetzt oft nach dem Parameter der Größe und sehr selektiv. Der Schwerpunkt liegt auf der Nachkriegszeit seit den 1970er-Jahren, wir verstärken das und konzentrieren uns jetzt mehr auf einzelne Werke als auf komplette Nachlässe. Das heikle Thema des »Entsammelns« muss diskutiert und Konzepte dafür müssen entwickelt werden. Denn ein ewiges lineares Wachstum werden wir weder räumlich noch personell abbilden können.
Hast du da einen Lieblingsnachlass und warum?
Es ist uns gelungen, von Jan Kaplickýs Witwe ein großartiges Modell des mobilen Wohnpods »Peanut« von Future Systems zu bekommen. Diese Arbeit inspirierte mich schon als Student, und es hat mich sehr bewegt, dass etwas davon in unsere Sammlung gekommen ist.
2016 warst du mit dem Thema »Making Heimat. Germany, Arrival Country« Generalkommissar des Deutschen Pavillons der 15. Architektur-Biennale von Venedig. Darin wurde Deutschland als Einwanderungsland thematisiert. Wie fällt das Fazit im Rückblick aus?
Zehn Jahre nach dem Flüchtlingsherbst planen wir gerade mit einer Stiftung eine mögliche Ausstellung, um die Datenbank der Flüchtlingsbauten von damals zu aktualisieren. Was ist aus ihnen geworden? Wer wohnt dort? Existieren sie noch? Manche Projekte sind berühmt geworden, wie Florian Naglers Dantebad I und II in München, wo heute neben Flüchtlingen auch Sozialhilfeempfänger und Studenten wohnen. Der Modulbau hat zugenommen, aber die Sonderregelungen von damals sind leider alle abgeschafft worden. Einige Projekte wurden wieder zurückgebaut.
Wir leben im Moment in stürmischen Zeiten, in denen die politische Rechte wieder hoffähig zu werden scheint. Gleichzeitig sind wir vom Klimawandel betroffen, und der Baubedarf steigt, während die Materialien zur Neige gehen. Ändern sich dadurch auch die Themen, die im Museum verhandelt werden?
Das sind drängende Themen für den Bausektor, der für einen großen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Wir greifen diese Themen auf – von »Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand« (2021) über »Architektur + Energie« im Juni bis hin zu »Too Hot« im nächsten Jahr, wo es konkret um Lösungen gegen die Überhitzung geht. Welche positiven Beispiele und Instrumente gibt es? Was haben sie bewirkt? Die Ausstellung »Schön hier. Architektur auf dem Land« (2022) hat gezeigt, dass sich seit der Corona-Pandemie und der Klimabewusstseinsbildung einiges tut, aber der ländliche Raum noch nicht darauf vorbereitet ist, sondern noch dem früheren Narrativ der Schrumpfung folgt.
Wie wirken sich technologische Entwicklungen der sozialen Medien und KI im Ausstellungsmachen und in der Architekturvermittlung aus?
Soziale Medien haben Einfluss und eine enorme Reichweite. Jüngere Menschen sind nur dort zu erreichen. Deshalb stellt sich für alle Museen, für Verlage und Zeitschriften die Frage: Wer liest unsere Produkte? Wir fragen uns daher: Welche Kataloge machen wir, wie teuer dürfen sie sein? Wann ist ein Katalog sinnvoll und wann nicht, wann bieten wir ein PDF zum kostenlosen Download an? Die Kataloge von »Einfach Grün« und »Protest/Architektur« wurden tausendfach verkauft, weil sie preiswert waren und geballte Informationen enthielten. Günstige Preise für riesigen Content sind eine gute Methode für Kataloge.
KI ist ein neues Thema. Wir nutzen sie für Texte, Transkriptionen und Übersetzungen. Wir werden Veranstaltungen mit Architekturbüros organisieren, um herauszufinden, ob und wie sie KI beim Entwerfen oder bei Wettbewerben einsetzen. Die Auswirkungen sind noch nicht klar.
Worauf bist du besonders stolz?
Auf die Erfindung des DAM Preises, den wir seit 2007 jährlich durchführen. Wir nominieren und publizieren bei jeder Ausgabe etwa 100 Projekte, die von der Jury weiter differenziert werden bis der Gewinner feststeht. Alle beteiligten Architekturbüros fühlen sich dadurch sehr wertgeschätzt. Ein Ehrenpreis von Architekten für Architekten, ohne eigenen finanziellen Nutzen. Der Preis ist längst etabliert zum »wichtigsten deutschen Architekturpreis für unlängst fertiggestellte Projekte«, so Bernhard Schulz im Tagesspiegel. Dieser Preis vernetzt uns nicht nur direkt mit der aktuellen Szene der besten Büros und des spannendsten Nachwuchses – summacumfemmer und Düsing + Hacke waren kürzlich als Neulinge Gewinner –, er dient uns auch zur internen Fortbildung und der Allgemeinheit als Dokumentation des Baugeschehens in Deutschland. Ähnliches gilt für den Internationalen Hochhaus Preis und den jährlichen DAM Architectural Book Award.
Welche Ausstellungen, die du gerne gemacht hättest, sind nicht entstanden?
Viele. Eine, die mich jahrelang gewurmt hat, die ich zusammen mit Oliver Elser für den Deutschen Pavillon auf der Biennale vorgeschlagen hatte, war über die Paten der Grünen Bewegung: Frei Otto lebte noch, Ot Hoffmann lebte noch und auch Gernot Minke. Wir besuchten die drei, sahen verrückte Dinge von Minke in Kasseler Kellern, erlebten Ottos Atelier, und Hoffmann zeigte uns sein Baumhaus. International kannte man nur Frei Otto. Was für eine verpasste Chance, die drei nicht zu Lebzeiten in Venedig zu zeigen! Wir haben den Fehler gemacht, diese Ausstellung nicht einfach im DAM zu machen. Über Minke wird derzeit gearbeitet, bei Ot Hofmann kann man aber wirklich sagen: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben auch.